Es war ihr letztes Konzert in Delmenhorst, wo sie die vergangenen drei Jahre als Kantorin und Organistin an der Stadtkirche wirkte: Friederike Spangenberg verlässt die Stadt und übernimmt, wie berichtet, eine Stelle an der St.-Marien-Kirche in Bochum. Diese Stelle ist eine ihrer Ausbildung entsprechende A-Kantoren-Stelle. Das ist wichtig, um zu verstehen, warum sie geht. Die Kantorenstelle an der Stadtkirche ist nach der Pensionierung des kurz darauf verstorbenen Gerd Hofstadt zu einer B-Stelle herabgestuft worden. Und die eine Stelle teilen sich zudem zwei Kantorinnen, neben dem klassischen Profil gibt es noch die Popkantoren-Stelle von Karola Schmelz-Höpfner, die formal allerdings an der St.-Stephanus-Gemeinde angesiedelt ist.
Auch das ist wichtig zu wissen. Weil es bedeutet, dass die Stadtkirchen-Kantorin faktisch eine ganze Stelle ausfüllen musste. Dazu gehören dann auch Dinge wie die Planung und Vorbereitung eines Konzerts wie des „Passionskonzerts“ am frühen Sonntagabend, zu dem sich eine erfreulich große Zahl von Zuhörern eingefunden hatte. Das Programm war beispielhaft für die Arbeit dieser Kantorin, die noch einmal die Vielfalt ihrer Fähigkeiten präsentierte.
Zum Beispiel als Chorleiterin, bei der es allein schon ein Vergnügen ist, ihr beim Dirigieren zuzuschauen. Dies Dirigat schlägt sich aber direkt nieder in der Gestaltung der jeweiligen Musik. Etwa gleich beim einleitenden „De profundis“ des frühklassischen Komponisten Carl Georg Reutter mit seinem ausschwingenden Klang und der atmenden, großbogigen, aber hochdifferenzierten Phrasierung. Der Evangelische Stadtchor klagt über Nachwuchsprobleme, singt in Kammerchorgröße mit unterbesetzten Männerstimmen. Aber Friederike Spangenbergs sorgfältige Chorarbeit hat die Wenigen bei der Stange gehalten, was ihrem Interims-Nachfolger, dem Schönemoorer Kirchenmusiker Ralf Mühlbrandt, auch zu wünschen ist.
Dann zeigte sich Friederike Spangenberg als versierte Sängerin mit schlankem, vibratolosem Alte-Musik-Sopran in einer Schütz-Arie, einem geistlichen Lied aus dem Bach-Schemellischen Gesangbuch, und der berühmten Arie aus der Matthäus-Passion „Aus Liebe will mein Heiland sterben“, die sie mit nuancierter, leicht geführter Sopran-Innigkeit sang. Udo Honnigfort, Friederike Spangenbergs oft und gern gesehener Gast von der katholischen Marienkirche, begleitete an der Orgel mit sensibler, am Orchesteroriginal orientierten Bläserregistern.
Der Chor zeigte sich dann in einem Chorsatz aus der „Johannes-Passion“ von Heinrich Schütz auch stabil im kontrapunktischen A-cappella-Satz, gewann aber deutlich an Sicherheit, als Udo Honnigfort am Flügel als Orchesterersatz einsetzte. Wie lyrisch-kantabel ein Satz frühbarocker Vokalpolyfonie klingen kann, zeigte Friederike Spangenberg mit ihrem Chor am Beispiel des „Im Garten leidet Christus Not“ von Joachim a Burck. Dabei wie auch in Melchior Francks „Ach, treuer Heiland" meisterte der a cappella singende Chor die hohen Ansprüche der Musik mit musikalischer Überzeugungskraft, fühlte sich aber bei der abschließenden „Graduale“-Komposition von Johann Michael Haydn, bei der Udo Honnigfort am Flügel den Orchesterpart spielte, hörbar wohler, ließ den Klang in klassischer Schönheit strömen. In der Begleitung der vier Gemeindechoräle, die das Publikum am Musizieren beteiligten, wechselte man sich an Orgel und Flügel ab, was einmal die Wegezeit der Musiker von der Empore in den Altarraum, wo der Chor sang, überbrückte, zum anderen für reizvolle klangliche Abwechslung sorgte.
Zum Schluss an der Geige
Für den letzten Choral „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ improvisierte Friederike Spangenberg eine typisch romantische Klavierbegleitung, die dem Todeschoral wundersam tröstende Bewegtheit gab. Vorher hatte sie sich auf der Orgelempore auch als überlegene Geigerin erwiesen. Blitzblank begleitet von Udo Honnigfort an der Orgel spielte sie eine Sonate in d-Moll, der „Todestonart“, von Georg Friedrich Händel, die aber gar nicht so dunkel gestimmt war: Das einleitende „Grave“ war fast beschwingt mit seinem festlichen Rhythmus. Für das Allegro hatte die Geigerin nuancierte Violinfarben parat; das formal etwas ausgeschlossen wirkende „Adagio“ war in seiner Kürze melodisch schön ausschwingend, das Schlussallegro geriet etwas glatt, ohne den ihm eigenen Tanzcharakter.
Diese Abschiedsvorstellung hatte den langen, herzlichen Abschiedsbeifall vollauf verdient. Wie sie auch die Gegenwart eines Geistlichen der Gemeinde verdient hätte. Über deren Abwesenheit herrschte am Schluss unter den Mitwirkenden und im Publikum kopfschüttelndes Unverständnis. Welchen Stellenwert hat die Kirchenmusik eigentlich an der Stadtkirche, fragten sich Besucher. Und wer soll da wegen einer halben B-Stelle demnächst dies Amt übernehmen und motiviert sein, länger als Friederike Spangenberg zu bleiben?
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