Der Winter war so grau, so kalt, so trostlos. Und alles war neu: das Land, die Kollegen, die Arbeit, die Sprache, die Einkaufsläden. Und die Familie? So weit weg, mehr als 10.000 Kilometer. „Im ersten Moment wollte ich wieder zurück nach Hause. Zurück auf die Philippinen“, erzählt Jeufeil Laurente. Doch sie stieg nicht in den Flieger. Sie blieb. Und sie ist froh, dass sie sich durchgebissen hat. „Einen Monat später hatte ich mich an all die Dinge gewöhnt, die ich nicht kenne. Auch dank meiner Familie im Krankenhaus.“ Ihrer neuen, ihrer deutschen Familie im Josef-Hospital Delmenhorst. Jeufeil Laurente ist eine der ersten Mitarbeiterinnen am JHD, die über das Projekt „Rekrutierung von Pflegefachpersonal aus dem Ausland“ gewonnen wurde.
Es war im November vergangenen Jahres, als die junge Philippinerin in Deutschland angekommen ist. Zugegeben: Es gibt besser Ankunftsmonate in Nordwestdeutschland. Nun ist sie eine der ersten zwei ausländischen Fachkräfte am JHD, deren Ausbildung anerkannt wurde. Denn obwohl sie auf den Philippinen vier Jahre gelernt hat, darf sie in Deutschland nicht einfach direkt als Pflegerin starten. Die Anerkennung ist mit hohen Hürden versehen. Aber Delmenhorst bietet eine gute Infrastruktur, um diese Hürden zu nehmen. Da ist das Institut für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege (IWK) auf der Nordwolle. Dort durchlaufen die Fachkräfte einen sechsmonatigen Kurs, um die angeblichen Defizite aus der deutschen Perspektive in Praxis und Theorie zu eliminieren. Und nebenan, in der Volkshochschule (VHS), büffeln sie Deutsch. Auch nach einer anstrengenden Schicht stehen sie dort am späten Nachmittag auf der Matte, um weiter zu lernen.
Im vergangenen Jahr haben Pflegedienstleiterin Christa Ibelings und Aline Becker, Assistentin der Geschäftsführung, damit angefangen, ihre Fühler ins Ausland auszustrecken. „Der Fachkräftemangel in der Pflege spitzt sich immer weiter zu“, sagt Christa Ibelings. Selbst die hauseigene Pflegefachschule reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. Ganz bewusst haben sie sich am JHD entschieden, Kandidaten aus unterschiedlichen Ländern zu gewinnen. Auch um ein bisschen zu schauen, was in Deutschland mit Blick auf die kulturellen Unterschiede gut funktioniert. Und ganz bewusst sollen aus den Herkunftsländern immer mehrere Fachkräfte geholt werden, damit niemand alleine kommt und immer jemanden hat, mit der er reden kann, die wegen der gleichen Herkunft das Heimweh vielleicht besser als andere lindern kann. Was nicht immer funktioniert. „Zwei sind wegen des Heimwehs wieder zurückgegangen“, erzählt Aline Becker.
In Delmenhorst Fuß fassen
Das soll mit Amra Mujezinovic nicht passieren. Sie stammt aus Bosnien, und demnächst soll ihre Schwester auch nach Delmenhorst ziehen, auch im JHD arbeiten. Die 26-jährige Hebamme ist mittlerweile seit fast zwei Jahren in Deutschland. „Ich bin als Au-pair gekommen. Danach habe ich nach einem Weg gesucht, wie ich weiter in Deutschland bleiben kann.“ Eine Agentur aus ihrem Heimatland half ihr. Und ihre Kollegen im Krankenhaus, im Kreißsaal, halfen ihr auch, in Delmenhorst Fuß zu fassen. „Ich habe da sehr gute Leute kennengelernt.“ Ihre Anerkennung steht noch aus.
Rund 20 Pflegekräfte möchte das JHD aus dem Ausland absehbar gewinnen, die Suche nach neuen Mitarbeitern wird also fortgesetzt. Der Aufwand ist groß, trotzdem wird er nicht gescheut. Daran zeigt sich schon, wie dringend die Kräfte benötigt werden. Jeder neue Kollege wird persönlich am Flughafen oder Bahnhof in Empfang genommen. Und mit Olaf Mehlis, selbst Pfleger und zudem für Personalmarketing und -entwicklung am JHD zuständig, haben sie auch einen Kollegen an ihrer Seite, der bei der Integration helfen soll. Er begleitet sie zum Beispiel bei Behördengängen. „Da wird man mit einer Mammut-Bürokratie konfrontiert – das verstehe ich manchmal nicht, was da gefordert wird“, erzählt er. Umso wichtiger, dass diese Steine den neuen Kollegen mit Hilfe des JHD-Teams aus dem Weg gerollt werden.
Hürden gab es durchaus auch innerhalb der Belegschaft. Olaf Mehlis spricht von einer gewissen Skepsis bei Kollegen, aber auch bei Patienten. „Aber die Kollegen haben schnell gemerkt, dass unsere Neuen eine absolute Bereicherung sind“, erzählt er JHD-Integrationscoach. „Sich in Deutschland zurechtzufinden ist sehr schwer“, erzählt auch Mohamed Mehdi Elgolli. Der 25-Jährige hat in seiner Heimat Tunesien drei Jahre lang Pflege studiert, in Deutschland hat er bereits die Anerkennung durchlaufen. „Die Sprache ist schwer, die Kultur ist so anders“, erzählt er. Trotzdem will er bleiben. Ihm gefällt vor allem das Gesundheitssystem. „Es ist besser als in Tunesien, wegen der Finanzierung.“ In Tunesien gehört Korruption zum Alltag. Dass er schnell in Deutschland Fuß fassen konnte, verdanke er auch der Hilfe der Kollegen. „Ohne sie würde ich es nicht schaffen. Sie sind immer für mich da.“
Wobei sie auch nicht immer helfen können. „Mohamed hatte mich anfangs gefragt, ob ich nicht den Wecker abstellen könnte. Was ich gar nicht verstanden habe“, erzählt Olaf Mehlis. Doch dann fiel der Groschen. Die neuen Kollegen wohnen im Heim an der Westerstraße, der Wecker war der Turm der St. Marien-Kirche. Aber da konnte selbst er nicht helfen. Die Glocken bimmeln weiter.