Delmenhorst. Wer sich dem tönenden Geschehen auf der Bühne und im Saal hingeben konnte, hätte sein diebisches Vergnügen haben können an dieser lustvoll-anarchischen Ausgelassenheit der chaotisch lärmenden Ausbruchspartien in „CON-fetti“ von Hans-Joachim Hespos. Dies und auch die stilleren, klanglich-melodisch verdröselten Teile machten das Werk zum Höhepunkt dieses Abends der Neuen Musik am Sonnabend im Kleinen Haus. Zum 48. Mal bereits fand die „Neue Musik in Delmenhorst“ am symbolträchtigen 11.11. statt.
Es tut der Ernsthaftigkeit der Neuen Musik keinen Abbruch, wenn man ihr in „CON-fetti“ auch eine gewisse Nähe zu karnevalistischen Clownerien zuschreibt. Hier ist die Neue Musik ganz spürbar auch Zeichen der Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, von denen das Leben so übervoll ist. Sicher ist dies Stück auch eine Zumutung, weil Hespos ja kategorisch fordert, dass die Neue Musik eine Zumutung zu sein habe. Aber man kann sich ihr auch anvertrauen und damit Neues wagen.
„CON-fetti“, ist komponiert 2013 „für sopran, junge störlichttechnikerin, mobilen coachdirigenten und 20köpfiges ensemble“ als Auftragswerk des Chiffren-Ensemble Kiel, das es auch am Sonnabend aufführte. Die Sopranistin Julia Spaeth gehört auch zur Stammbesetzung für dieses Stück, wie auch der Dirigent Johannes Harneit es bei allen Aufführungen dirigierte.
Wuseliges Musiktheater
Im Saal ist es dunkel. Der Dirigent tritt auf und erstarrt in einer machtvollen Pose. Später wird er gestisch eindringlich, jedoch durchaus unmobil dirigieren. Die „junge Störlichttechnikerin“ tritt auf mit Blaumann, Helm, Trittleiter und werkelt an diversen Scheinwerfern. Eine Geigerin kommt auf die hintere Bühne, beginnt sich zaghaft einzuspielen. Ein Kontrabass tritt auf, duettiert mit der Violine. Mit einem gellenden Schrei stürmen Musiker aus dem Saal auf die Bühne, die nach und nach sich füllt mit unruhig wuseligen, ständig den Platz wechselnden Instrumentalisten für eine ungewöhnliche Besetzung zwischen kleiner Klarinette, Kontrabassfagott oder Basstuba. Und sie spielen Hespos mit aller Einfühlung in sein schrill versponnenes, sanft gellendes, feinst ziseliertes Melos. Bis das befreiende Chaos ausbricht. Die Sopranistin ist Mitspielerin in dieser musiktheatralischen Aktion, sie flüstert stockende Silben, schrillt sirenenhaft, prunkt mit sinnlicher Sopranschönheit. Die „störlichtechikerin“ putzt den Flügel und Johannes Harneit beschwört seine Musiker mit magischen Gesten.
Von diesen Musikern erfuhr man in einem Bühnengespräch nach der Pause mit Hans-Joachim Hespos, Johannes Harneit und Gründer Friedrich Wedell, dass der Delmenhorster Auftritt den Abschied bedeute. Seit 2009 traf man sich jeweils in der letzten Sommerferienwoche zum intensiven Proben und abschließenden Konzert. Man war eingeladen zu den zentralen Neue-Musik-Festivals, war hochengagiert. Hespos schwärmt vom hochkompetenten und jung-unbefangenen Umgang mit der Neuen Musik. Nun fehlt der finanzielle Background, das Projekt muss aufgegeben werden. Hespos wünschte den jungen Musikern, dass sie Botschafter der neuen Musik blieben.
Der erste Teil des Abends gehörte den stilleren „Zumutungen“. Er begann mit dem „Bremer Punkt“, der Studenten der Bremer Hochschule Möglichkeiten gibt, ihre Werke aufzuführen. Hier war es das „Stillleben für Cello und Elektronik“ von Mattia Bonafini (geb.1980). Er regulierte die Technik, Richard Ander-Donath saß am Cello, ohne Bogen, mit minimalen Spielgesten für einen einzigen, minimal modifizierten Ton mit einem überraschenden Pizzicato: Neue Musik, „eintönig“ und hoch spannend zugleich.
Von Gérard Grisey (1946-1998) waren die „Quatre Chants Pour Franchir Le Seuil“ für Sopran und 15-köpfiges Ensemble. Dies Requiem, „um die Schwelle zu überschreiten“, ist komponiert auf Texte aus dem Gilgamesch Epos oder altägyptische Sarkophag-Texte. Die Musik changiert zwischen meditativer Ruhe, meditativer Unruhe und tobender Erregtheit, ihre melodischen Mittel reichen von der Ausdruckskraft punktueller Klänge über kleinteilige Motivbewegungen bis in die ausschwingende Melodiegeste. Das Orchester sorgt auch hier für vielstimmige Klangfarbigkeit und glänzt mit brillantem Zusammenspiel. Johannes Harneit ist ein Dirigent der suggestiven Gesten und ein wirkungsvoller Dirigenten-Darsteller. Julia Spaeths Sopran tönt zwischen karger Tonlosigkeit und großer arioser Sinnlichkeit im abschließenden Wiegenlied. Oder im wunderschönen Sopran-Violoncello-Duett vorher. Griseys so poetische Neue Musik hatte die Kraft, über fast 50 Minuten Dauer ihre Spannung zu erhalten.
Langer Beifall vom stattlichem Publikum. Und für 2018, dann ist Hespos schon achtzig, ist der 11.11. schon verplant mit dem Ensemble „klank“ aus Bremen.
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