Die Stadt braucht Bauland. Dringend. Und viel. Rund 100 Ein- und Zweifamilienhäuser pro Jahr, noch einmal so viele Wohnungen in Mehrfamilienhäusern. Das jedenfalls sagen die Statistiker und Stadtentwickler. Das Problem: Um so viel zu bauen, benötigt die Stadt auch dringend Flächen. Bauland, das in einer kleinen Stadt wie Delmenhorst naturgemäß knapp ist. Zumal wenn die Stadt selbst daran Schuld trägt, dass sie ihre eigenen Flächen nicht mehr nutzen kann. Wie zum Beispiel das Tiefe Moor.
Die Geschichte dieses Fleckchens Erde zwischen Tiefer Weg und Klosterdamm, zwischen Uferweg und Schliemannstraße begann irgendwann in den 70er-Jahren, vielleicht auch noch früher. 1977 schließlich nahm die Geschichte Fahrt auf, der Rat beschloss im April, einen Bebauungsplan für die Fläche aufzustellen. „Ziel dieser Planung ist es, weitere Flächen für den Wohnungsbau bereitzustellen, zumal gegenwärtig in der Delme-Stadt ein großer Baulandbedarf besteht“, berichtete der Delmenhorster Kurier seinerzeit. 80 bis 100 Wohneinheiten sollten dort entstehen, in Form von Einfamilien-, Zweifamilien- und Reihenhäusern. „Das vorgesehene Gebiet erfüllt nach Ansicht der Stadtplaner alle Voraussetzungen für eine weitere Wohnbebauung, da es in einem Stadtbezirk liegt, der mit allen für diesen Zweck erforderlichen Infrastruktureinrichtungen weitgehend ausgestattet ist.“
Die Fläche wäre auch mit Blick auf die aktuelle Situation ein Filetstück. Innenstadtnah, Schulen und Kindertagesstätten in der Nähe, rundherum liegen bereits Versorgungsleitungen – doch die Stadt kommt an ihre eigene Fläche nicht mehr heran. Denn der Bedarf, den die Stadtplaner 1977 noch ausgemacht hatten, schien schon bald nicht mehr vorhanden zu sein. Und so lag die Fläche brach. Einige Jahre. Viele Jahre. 1991 tauchte das Tiefe Moor in den politischen Beratungen wieder auf. Die Verwaltung musste der Politik mitteilen, dass ein Wohngebiet an der Stelle nicht mehr möglich sei. „Das Tiefe Moor, von der Stadt einstmals als Bauland erworben, hat sich prächtig entwickelt und wird seinem Namen so gerecht, daß es nach dem Naturschutzgesetz nun als Biotop eingestuft werden muß“, schrieb unsere Zeitung am 28. Februar 1991. Was vor allem den Liberalen Heino Behnken im Landwirtschafts- und Umweltausschuss damals ärgerte, denn die Stadt habe einst nichts anderes als eine verwilderte Kuhweide erworben, und zwar für viel Geld.
An der Schutzwürdigkeit nach Paragraf 30 Bundesnaturschutzgesetz hat sich seither nichts geändert. Der Fachdienst Stadtgrün und Naturschutz gesteht der Fläche als Moor- und Feuchtgebiet „innerhalb dichter städtischer Bebauung“ sogar eine besondere Bedeutung zu, wie es in einer Vorlage für die Politik aus dem April 2015 hieß. Schutzwürdig ist es deswegen, weil in dem sehr kleinen Moorgebiet Hochstauden-, Seggen- und Binsensümpfe vorkommen. Zudem leben dort nach Zählungen 13 verschiedene Heuschreckenarten, davon „vier anspruchsvollere Arten der niedersächsischen Roten Liste“, erklärt Stadtsprecher Timo Frers.
Margitta Spiecker vom Naturschutzbund (Nabu) berichtet, dass in dem Gebiet unter anderem Nachtigallen vorkommen, auch Turteltauben wurden dort bereits gesichtet. Allerdings habe das Moorgebiet nicht nur Vorzüge. „Es ist isoliert, die Vernetzung zu anderen Gebieten fehlt derzeit.“ Die müsste, wenn die Stadt das Gebiet unter Schutz stellt und eventuell noch aufwerten will, geschaffen werden. Und dass das Gebiet mehr Schutz als derzeit benötige, steht für sie außer Frage. Schon 1998, als der Landschaftsrahmenplan der Stadt aufgestellt wurde, hieß es darin, dass das Tiefe Moor sogar flächennaturdenkmalwürdig sei.
Auch die Umweltbehörde wünscht sich mehr Schutz an der Stelle. „Aufgrund des hohen Nutzungsdruckes auf die vergleichsweise kleine Fläche sieht die Verwaltung Handlungsbedarf zur Einleitung des Unterschutzstellungsverfahrens. Die Fläche genießt zurzeit keinen rechtlich formulierten Flächenschutz.“ Was ein wenig so klingt, als wenn die Bauplaner die alten Bebauungspläne wieder aus den unteren Schubladen gezogen haben, um an der Stelle doch ein Wohngebiet zu entwickeln. „Derzeit gibt es keine konkreten Planungen zum Bereich Tiefes Moor“, sagt Frers. Das betreffe alle baurechtlichen Aspekte. Aber auch die naturschutzrechtlichen.