Ulla Lange tat das, was die SPD im Moment immer noch ganz dringend braucht. Sie streichelte die Seele der rund 120 Gäste beim Jahresempfang der Delmenhorster Sozialdemokraten. Und sie machte deutlich, dass es sich lohne, für die Werte und die Inhalte der Partei zu kämpfen, gerade in diesen Zeiten, in denen Rechtspopulisten, -extremisten und zunehmend -terroristen das politische Geschehen in diesem Land prägen. „Diese Hetzer bringen unser Land nicht voran. Sie spalten es! Sie sind Feinde der Demokratie!“ Es gab viel Applaus und viel Lob für dieses feurige Grußwort.
Es sagt aber auch viel über die Partei aus, dass ausgerechnet Ulla Lange die beeindruckendste Rede an diesem Sonnabendvormittag in der Markthalle hielt. Ulla Lange tauchte nämlich noch bei einem zweiten Programmpunkt auf: Ehrung der Jubilare. Vor 50 Jahren, 1970, traten sie und ihr mittlerweile verstorbener Mann in die Partei ein. Ulla Lange war in all den vielen Jahren Parteimitgliedschaft vieles, unter anderem auch Vorsitzende des Unterbezirks. Und nun stand sie vorne am Mikrofon und versuchte, das Feuer wieder zum Lodern zu bringen. Es vermittelte einen guten Eindruck, mit welchem Herzblut vor einem halben Jahrhundert in der Partei und mit dem politischen Gegner gestritten wurde.
„Als ich in die Partei eingetreten bin, da holten wir bei der Stadtratswahl 58 Prozent, die absolute Mehrheit. Bei der Bundestagswahl stimmten fast 60 Prozent der Wähler für uns. Und heute wollen gerade einmal 15 Prozent der Befragten bei der Sonntagsfrage ihre Stimme der SPD geben“, rief sie den Genossen zu. Diese Zahlen machen deutlich, welches Selbstverständnis die Partei in der Stadt einst hatte. Mittlerweile müssen die Sozialdemokraten befürchten, bei der Oberbürgermeisterwahl 2021 den Chefsessel im Rathaus nicht wieder zu besetzen. Auch weil, wie es manchmal scheint, nicht mehr die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien im Vordergrund steht, sondern der interne Zwist. Ulla Lange wandte sich an diese „Störer“, wie sie sie nannte – auch wenn die, die sie ansprechen wollte, an diesem Vormittag nicht in die Markthalle gekommen waren. „Lasst das sein!“, rief Ulla Lange zur Geschlossenheit auf. „Unterstützt Mechthilds integrativen Kurs.“
Mechthild Harders-Opolka ist eine von Ulla Langes Nach-Nach-Nachfolgern auf dem Stuhl des Unterbezirkchefs. Und an den beiden Frauen wird durchaus augenfällig, wo die SPD so ihre Probleme hat, nachdem sich die Partei im vergangenen Sommer vor allem mit sich und ihren internen Streitigkeiten verlustiert hatte. Von dem Feuer einer Ulla Lange ist die aktuelle Vorsitzende in ihrer etwas hausmütterlich anmutenden Art weit entfernt. Und mit Blick auf die Lebenserfahrung ist es augenfällig, dass der SPD in dieser alles andere als einfachen Zeit junge Köpfe mit Führungsanspruch fehlen. Am Dienstag, bei der nächsten Sitzung des Unterbezirks, wollen die Genossen unter anderem über eine andere Frage von großer Bedeutung für die Partei reden, nämlich wie sie einen Oberbürgermeisterkandiaten finden wollen, nachdem Axel Jahnz erklärt hat, nicht wieder anzutreten.
Dabei biete die SPD doch Inhalte von großer Relevanz für alle Menschen. Das sagte Ulla Lange. Das machte auch die Bundestagsabgeordnete Susanne Mittag in ihrem kurzen Bericht aus Berlin deutlich. Und auch der Landtagsabgeordnete Deniz Kurku, der unter anderem das Wohnraumschutzgesetz hervorhob, das mit Fug und Recht Lex Delmenhorst genannt werden darf. Das Gesetz soll verhindern, dass Vermieter ihre Wohnungen einfach verkommen lassen und Menschen darin in unwürdigen Bedingungen leben müssen. „So bekommen wir gegen die unverschämten Praktiken einiger Unternehmen ein scharfes Schwert an die Hand.“
Den Festvortrag des Tages hielt Carola Reimann, niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, deren Haus in besonderem Maße etwas für Delmenhorst tut. 150 Millionen Euro Fördergelder ermöglichen den Bau eines komplett neuen Krankenhauses in der Stadt. Aber das war gar nicht ihr Thema an diesem Vormittag. Die Ministerin sprach über ihre Idee eines „vorsorgenden Sozialstaates“. Ein großes Thema ist dabei der Umgang mit der wachsenden Zahl von Senioren im Land. Und die Bekämpfung von Kinderarmut. „Es darf kein Armutsrisiko sein, Kinder zu haben oder ein Kind zu sein. Das darf nicht sein, nicht in Deutschland.“ Ihre Idee ist es, den Zugang zu dem, was es an Hilfe in Deutschland gibt, zu erleichtern. „Wir wollen eine Kindergrundsicherung entwickeln. Denn viele Leistungen kommen bei den Kindern nicht an.“ Das Problem der Grundsicherung: Sie kostet Geld. So viel, dass sich auch die Finanzminister dafür interessieren. Von daher wird es wohl noch ein Weilchen dauern, bis dieses Paket wirklich verabschiedet ist. Aber Carola Reimann will für diese Idee kämpfen: „Es geht darum, dass alle gute Startbedingungen vorfinden, egal in welcher Familie sie leben, sodass sie später ohne Unterstützung des Staates leben können.“
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