Delmenhorst. Es kam vieles zusammen. Nicht alles, aber eben doch einiges von dem, was Spiele – egal in welcher Sportart – zu ganz besonderen Erlebnissen macht. Als die Handballer der HSG Delmenhorst im Mai 2012 in zwei Partien auf den VfL Horneburg trafen, ging es für sie um nicht weniger als den Aufstieg in die Verbandsliga. Ein weiteres Jahr in der Landesliga hätte ihnen nicht unbedingt gut zu Gesicht gestanden, also standen die Delmestädter vor den beiden Vergleichen durchaus unter Druck. Letztlich sollte der Relegations-Doppelpack an Dramatik kaum zu überbieten sein – mit dem besseren Ende für die HSG, die mit einem 31:27 im Rückspiel den Aufstieg perfekt machte.
Doch für Frederic Oetken war nicht diese Partie die wohl besonderste seiner Laufbahn. Das Hinspiel, obgleich hier nur ein 32:32 heraussprang, hatte in seinen Augen eine noch größere Bedeutung. „Wir haben zu dem Zeitpunkt die Handball-Euphorie in Delmenhorst entfacht“, blickt der 28-Jährige zurück. Dieses Urteil bezieht er auf die gesamte Saison 2011/12. „Wir hatten da eine junge, wilde Truppe und haben echt eine geile Runde gespielt. Das war der Startschuss für das, was hier in den letzten Jahren aufgebaut wurde“, meint Oetken.
450 Zuschauer in der Stadionhalle
Die von ihm erwähnte Euphorie lässt sich mit Zahlen belegen. Satte 450 Zuschauer verfolgten das Hinspiel gegen Horneburg in der Delmenhorster Stadionhalle, was in der Landesliga nun nicht gerade als alltäglich bezeichnet werden darf. Frederic Oetken stand vor dem Abschluss seiner ersten Saison im Herrenbereich. Zuvor hatte er in der A-Jugend-Landesliga gespielt, „nichts Weltbewegendes“, wie er selbst anmerkt. Doch der Sprung zu den Männern gelang Oetken in beeindruckender Manier. „Ich habe meines Erachtens eine starke erste Saison in der Landesliga gespielt. Das Spiel gegen Horneburg war ein bisschen die Krönung“, erinnert sich die mittlerweile erfahrene Stammkraft der HSG. Damals war er gerade mal 20 Jahre alt. Aber die Situation, in einer prall gefüllten Halle eine bedeutende Begegnung zu bestreiten, überforderte Oetken nicht. Im Gegenteil. Er drehte groß auf und steuerte 14 Tore zum Unentschieden bei, darunter acht Siebenmeter. „Die Atmosphäre werde ich nie vergessen. Die Halle ist aus allen Nähten geplatzt. In der eigenen Stadt vor allen Leuten, die man kennt, zu spielen – das hat viel hergemacht“, denkt Oetken zurück. Die Partie selbst lief für die Delmenhorster um den damaligen Spielertrainer Andre Haake allerdings nicht nach Wunsch. In der gesamten ersten Halbzeit ließ ihre Chancenverwertung zu wünschen übrig, nach 13 Minuten lagen sie mit 5:8 zurück. Anschließend glichen sie zwar zum 9:9 aus (17.), doch Horneburg holte sich die Führung zurück (13:11/23.). Das Hin und Her setzte sich lange Zeit fort. Die Gastgeber drehten den Spieß mit vier Treffern in Folge wieder um, ehe der VfL noch zweimal erfolgreich war und so zur Pause auf 15:15 stellte.
Auch nach dem Seitenwechsel schenkten sich die beiden Mannschaften nichts. Nach dem 17:17 (34.) lagen die Gäste stets vorne, schafften es jedoch nicht, sich entscheidend abzusetzen. Nachdem die Delmenhorster in der 52. Minute mit 25:28 in Rückstand geraten waren, schlug die große Stunde des Frederic Oetken. Er hielt sein Team mit seinen Toren im Spiel, konnte aber auch nicht verhindern, dass sich Horneburg wieder auf 32:29 absetzte und den Sieg vermeintlich bereits in der Tasche hatte (58.). Die Haake-Sieben gab aber nicht auf. Keeper Mirko Lettmann parierte stark, im Gegenzug behielt Oetken bei zwei Siebenmetern die Nerven und sorgte so in der letzten Minute für den 32:32-Ausgleich. Damit war der Schlusspunkt dieses Krimis allerdings noch nicht gesetzt. Wenige Sekunden vor dem Abpfiff bekamen die Gäste noch einen Siebenmeter zugesprochen – den Malte Cordes im HSG-Kasten entschärfte.
Die Stimmung, die in der Schlussphase der Partie in der Stadionhalle herrschte, hat Oetken noch genau im Kopf. „Die Atmosphäre in der Halle ist echt übergekocht. Das hat uns die zweite Luft gegeben, sodass wir noch ausgeglichen haben.“ Dass Cordes in der letzten Szene das Remis festhielt, spielte aus Oetkens Sicht allein schon psychologisch eine wichtige Rolle. „Das Unentschieden war für uns im Kopf wie ein Sieg und für Horneburg wie eine Niederlage“, meint er mit Blick auf die Drei-Tore-Führung des Kontrahenten zwei Minuten vor dem Abpfiff. Ein Treffer mehr oder weniger mache in solch einer Situation mental einen enormen Unterschied. Hätten die Horneburger das letzte Tor erzielt und dadurch gewonnen, „hätten sie das euphorisch gefeiert“, vermutet Oetken. Dass es beim 32:32 blieb, sei für seine Mannschaft „ganz wichtig“ gewesen, „dann gehst du anders in das Rückspiel.“
Eine Szene, zu der es während des Duells kam, will der HSG-Spielmacher nicht unerwähnt lassen. Er hatte an jenem Tag mit Wadenproblemen zu kämpfen und blieb deshalb zwischendurch am Boden liegen. Neben dem eigenen Physiotherapeuten kam auch jener der Horneburger aufs Feld, um Oetken zu behandeln. „Das fand ich eine sportlich super faire Geste in so einem Spiel“, lobt er.
Letztlich ist es das Gesamtpaket, das dieses Unentschieden gegen Horneburg für Oetken zum Spiel seines Lebens macht. Eine große Kulisse, eine starke eigene Leistung, ein dramatischer Verlauf – und eben der nachhaltige Effekt, den die Partie zusammen mit dem wenige Tage später geglückten Aufstieg für den Handball in Delmenhorst hatte.
Der bejubelte Aufstieg oder ein tränenreicher Abstieg. Ein unvergessener Sieg oder die bittere Niederlage in letzter Sekunde. In unserer Serie „Das Spiel meines Lebens“ erinnern sich Sportlerinnen und Sportler an den größten Moment ihrer Laufbahn – ganz egal, ob positiv oder negativ.
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