Delmenhorst. Nun sind die Bagger doch auf den freien Flächen an der Langenwischstraße angerollt und haben mit den vorbereitenden Arbeiten für das dort geplante Baugebiet begonnen. Gegen Mittag starteten sie, noch am Dienstag sollten sie bereits fertig sein. Mitglieder von zwei Bürgerinitiativen hatten noch versucht, die Arbeiten vorerst zu stoppen und wieder in den Dialog über den Umgang mit der Moorfläche an der Stelle einzusteigen. Der Naturschutzbund (Nabu) hatte Ende vergangener Woche, wie berichtet, über die Rechtsanwältin Joy Hensel sogar einen „Antrag auf Einschreiten als Fachaufsicht wegen Gefahr im Verzug“ beim niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz eingereicht.
„Wir wollen einfach verhindern, dass ohne politischen Beschluss für den hinteren Bereich durch den Bagger Fakten geschaffen werden“, sagte Silvia Schierenbeck von der Bürgerinitiative (BI) Langenwisch/Menkens-Moor, die beim Thema Wohnbauentwicklung in Stickgras eng mit der BI Stickgras zusammenarbeitet, noch am Montag. „Dass dort früher ein Müllabladeplatz war, ist seit zwölf Jahren bekannt“, sagt sie. Warum ausgerechnet jetzt, noch bevor der Bebauungsplan endgültig beschlossen ist, das Sumpf-Weiden-Gebüsch auf dem Menkens-Moor gerodet werden müsse, sei nicht nachvollziehbar. „Wir wollen einfach eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema.“ Das sei im Nachhinein, wenn wertvolle ökologische Strukturen bereits zerstört sind, allerdings kaum noch möglich.
Die Stadt verweist darauf, dass es sich um eine routinemäßige Erkundung des Baugrundes handelt. „Da es Erkenntnisse über eine vermutlich mit Bauschutt und Hausmüll verfüllte Torflinse im Untergrund gibt, muss diese genauer untersucht werden“, teilt die Stadtverwaltung mit. Im ersten Schritt wurde deswegen jetzt das Gebüsch weggenommen. Im zweiten Schritt soll der Boden analysiert werden. Auch deswegen, weil offenbar Stoffe aus der Müllhalde ins Grundwasser gesickert sind. „Die sogenannten Geringfügigkeitsschwellenwerte wurden nachweislich für zwei Parameter überschritten“, erklärt die Stadtverwaltung. Dabei handelt es sich um Arsen und Nickel. Nun soll untersucht werden, welche Auswirkungen auf das Grundwasser, aber auch auf das neue Baugebiet bestehen könnten, um zu entscheiden, was deswegen getan werden muss – reicht eine Sicherung aus, muss komplett saniert werden? Zudem verweist die Stadt darauf, dass es sich dabei um ein Standardverfahren handele, das immer angewandt werde. Eine „Altablagerung gegenüber der Kindertagesstätte Langenwischstraße wurde bereits vor dem Bau der Kita saniert. Das heißt: Der Abfallkörper wurde komplett gegen Sand ausgetauscht.“
Yvonne Ingenbleek, die beim Nabu das Referat „Nachhaltige Siedlungsentwicklung“ leitet, zeigte sich am Dienstag in einer Mitteilung verärgert darüber, dass die Stadt nicht mehr bereit war, in einen weiteren Dialog einzusteigen. „Wir müssen mit großem Bedauern feststellen, dass deutliche Appelle und sogar fachaufsichtliche Nachfragen die Stadtverwaltung nicht zu einem Innehalten und transparenten Begründen bewegen können. Offensichtlich kann dies nur mit gerichtlichen Verfügungen bewirkt werden. Das werden wir uns merken müssen.“ Dabei hat das Umweltministerium bei der Stadt nach der Beschwerde des Nabu sogar nachgehakt – aber wohl nicht mit der erhofften aufschiebenden Wirkung. „Die Stadt Delmenhorst wird deshalb einen Bericht abgeben“, teilt die Verwaltung mit.
Hauptkritikpunkt des Nabu ist unter anderem, dass die Bauverwaltung sich quasi selbst ihre Ausnahmegenehmigung ausstellen kann, ein Biotop zu zerstören, weil wiederum die Untere Naturschutzbehörde ebenfalls ein Teil des Fachbereiches 5 ist. „Eine unabhängige Stellungnahme aus naturschutzrechtlicher Sicht ist so nicht möglich“, erklärt Yvonne Ingenbleek. Sie geht davon aus, dass die Stadt mit ihrem Vorgehen gegen das Bundesnaturschutzgesetz verstoßen hat. Zumal den Bürgerinitiativen Schreiben der Naturschutzbehörde vorliegen, die dafür sprechen könnten. Am 20. Juli noch verwies die Naturschutzbehörde darauf, dass eine sogenannte Befreiung nach Paragraf 30 Absatz 2 nicht möglich sei. Sprich: Die stadteigenen Naturschützer sprachen sich dagegen aus, die Moorstrukturen zu zerstören. Nur eine Woche später, am 27. Juli, wurde dann doch eine Befreiungserklärung abgegeben – „trotz unveränderten Sachverhalts“, wie die Rechtsanwältin konstatiert.
Die Bürgerinitiativen verwiesen zum einen darauf, dass vor dem 30. September keine Sträucher entfernt werden dürfen. Aber das gelte nicht für behördlich angeordnete Maßnahmen, entgegnete die Verwaltung, dass kein Rechtsverstoß ihrerseits vorliege. Und auch der von den BIs angeführte Igelschutz sei zu vernachlässigen, „wenn die zerstörte ökologische Funktion im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird“.