
Ein Schlecker-Markt, ein Callcenter, eine Garderobe mit zwei offenbar vergessenen Jacken und ein fast leerer Snack-Automat – Alberta Niemann und Jenny Kropp bringen alltägliche Orte und Objekte in die Welt der Kunst. „Shift“ nennen die beiden Künstlerinnen mit Bremer Wurzeln ihre Ausstellung in der Kestnergesellschaft in Hannover, die parallel in einer zweiten Präsentation Werke des Malers Dominik Sittig zeigt. Orte künstlerisch inszenieren, Räumen und Dingen durch subtile Eingriffe eine Bedeutung geben, die sie eigentlich gar nicht haben – das ist die Arbeit der Künstlerinnengruppe FORT, die 2008 in Bremen entstand und dann nach Berlin wechselte. Alberta Niemann, Jenny Kropp und bis 2013 auch Anna Jandt haben in dem Kollektiv und in Kooperation mit Kolleginnen wie dem „dilettantin produktionsbüro“ schon während und nach ihrem Studium an der Bremer Hochschule für Künste (HfK) aufsehenerregende Projekte realisiert. Ihr für wenige Tage in der Zollabfertigung Hansator existierendes Hotel erhielt 2007 den renommierten Preis des HfK-Freundeskreises. Und auch ihr Restaurant-Projekt „dreijahre“ im Viertel erregte große Aufmerksamkeit. Die Nahtstelle von Kunst und Alltag, das Spiel mit der Wahrnehmung des vermeintlich Vertrauten interessieren die Künstlerinnen, wenn sie doppeldeutig gesellschaftliche Phänomene aufs Korn nehmen und mit viel Neugier, Humor und gewollter Irritation in Kunstobjekte verwandeln. Ihre Installationen, Videos und performativen Aktionen zeigen Zustände, auf die sich der Betrachter seinen ganz eigenen Reim machen kann und soll.
Für die von Lotte Dinse kuratierte Ausstellung in der Kestnergesellschaft haben Alberta Niemann und Jenny Kropp zwei Arbeiten aus den Jahren 2012 („Leck“) und 2014 („The Calling“) ausgewählt und zwei neue geschaffen. „Leck“ ist das vollständige Interieur einer früheren Schlecker-Filiale. Das sind leere graue Regale mit den typischen blauen Leisten unter kalt leuchtenden Neonröhren, der Beobachtungsspiegel in der Raumecke, die Kassenzeile, deren Laufband in einer Endlosschleife ohne Waren rotiert und deren Kassenzettel mit dem Datum „29.06.12, 21.03 Uhr“ das Ende dieses ursprünglich in Berlin beheimateten Drogeriemarktes anzeigt. Der skelettierte Laden wird als Kunstwerk jetzt zum Symbol eines Niedergangs. In 20 Jahren, so vermutet Alberta Niemann, wird diese typische Schleckermarkt-Ästhetik den Menschen nichts mehr sagen. Hektik, Leistungsdruck und Reizüberflutung kennzeichnen die Arbeitswelt eines Callcenters. In seinem zehnminütigen Video „The Calling“ zeigt das FORT-Kollektiv mit extremen Nahaufnahmen und wie in Zeitlupe gefilmten Überblicken eine ganz andere Situation: Die Telefonisten sind wie im Märchen von Dornröschen alle in den Schlaf gefallen, hängen in den Bürostühlen, liegen auf den Tischen. Das Callcenter ist verstummt, nur die Geräusche der Klimaanlage und der Gerätschaften sind noch zu hören. Ganz im Gegensatz zu dieser aufwendigen filmischen Installation stehen zwei neue, eher minimalistisch wirkende Arbeiten. Die im Titel an eine literarisch-filmische Figur erinnernde Arbeit „Lonesome Raider“ zeigt einen x-beliebigen Snackautomaten. Er ist in Betrieb, aber leer – bis auf einen einzigen Schokoriegel der Marke Raider, die 1991 in Twix umbenannt wurde. Man könnte ihn für 80 Cent unter der Nummer 46 ziehen, aber macht das jemand in so einer Ausstellung? Zwei einsame Jacken an einer langen Garderobe prägen das Bild einer weiteren Arbeit, die den (falschen) englischen Titel „Somebodies“ trägt. Die Kleidungsstücke schwingen leicht hin und her, so, als wenn deren Besitzer gerade „fort“-gegangen wären.
In einer zweiten Ausstellung zeigt die Kestnergesellschaft in ihrem Obergeschoss 25 Bilder des Malers Dominik Sittig, die seit 2011 entstanden sind. Sittig aast geradezu mit Ölfarben, formt sie expressiv und geradezu skulptural auf seine Leinwände. In seinen jüngeren, nun mit Acrylfarben gemalten Bildern verändert sich die Anmutung nicht – Sittig klebt nun Textilien auf seine Leinwände und bewahrt so den haptischen Charakter seiner in der Ästhetik an die Werke des Informel erinnernden Arbeiten.
Kestnergesellschaft Hannover, beide Ausstellungen bis 25. Mai. Geöffnet: täglich außer montags 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr
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