
Eigentlich ist Thomas Tuchel ein Trainer, der zwischendurch auch mal auf seiner Trainerbank Platz nimmt, der sich die Ruhe für ein paar reflektierende Gedanken gönnt, aber das Stadion an der Anfield Road ließ ihm an diesem Abend keine Ruhe für solche Momente. Die Ehrfurcht war ihm vor diesem magischen Ort war dem Trainer des BVB vor dieser atemberaubenden 3:4 (2:0)-Niederlage anzumerken, mit einem Lächeln auf den Lippen betrat er das Großheiligtum in der Mythologie des Fußballs, seine Traineraugen leuchteten voller Glück, als die 45 000 vor dem Anpfiff ihren berühmten Gesang anstimmten, jeden Moment dieser großen Nacht saugte er auf – bis Dejan Loven in der ersten Minute der Nachspielzeit , das Tor erzielte, das den BVB aus dem Wettbewerb beförderte.
Dabei schien schon nach acht Minuten so gut wie klar, dass nicht der FC Liverpool, sondern der BVB diesen Abend als Sieger beenden würde, denn da hatten die Dortmunder schon zweimal getroffen. Liverpools Trainer Jürgen Klopp hatte ja in den vergangenen Wochen immer wieder von den zwei Gesichtern seines Teams erzählt. Es gebe Tage, da könne der FC Liverpool jeden Gegner dieser Welt schlagen, in manchen Partien wirke sie aber auch wie ein schwer gebeutelter Krisenklub. Und die erste Viertelstunde dieses Duells gehörte eindeutig in die zweite Kategorie.
Dem FC Liverpool unterliefen gleich mehrere fürchterliche Ballverluste, von denen der BVB zwei in Tore umsetzte. Nach fünf Minuten eroberte Henrikh Mkhitaryan einen Ball in der eigenen Hälfte, der BVB über Shinji Kagawa und Gonzalo Castro landete der Ball bei Pierre-Aubameyang am Elfmeterpunkt. Den Schuss des Stürmers wehrte Simon Mignole noch ab, aber den Nachschuss versenkte dann Mkhitaryan. Und drei Minuten später eroberte Marco Reus einen Ball 60 Meter vor dem Tor, fand einen tollen Laufweg durch das Mittelfeld, spielte einen großartigen Pass auf Aubameyang, der aus zehn Metern in den kurzen Winkel traf. Ein großartiger Treffer, dem einer dieser hinreißenden Reus-Momente vorausgegangen war.
Liverpool brauchte nun drei Tore, um das Halbfinale zu erreichen, und mit diesem komfortablen Vorsprung im Rücken wurde der BVB nachlässig. Die Engländer hatten viel Platz und vor der Pause fünf gute Chancen durch Divock Origi (17., 25.), Alberto Moreno (18.) und Coutinho (38.). Da hatten die Dortmunder Glück.
Es war nun ein richtig gutes Fußballspiel, vor großartiger Kulisse, die vor dem Anpfiff mit aufeinander abgestimmten Choreografien im Dortmunder Fanblock und auf der legendären Liverpooler Fantribüne „The Kop“ den Toten der Hillsborough-Katastrophe, die sich am heutigen Freitag zum 27. mal jährt. Am 15. April 1989 waren im Stadion von Sheffield 96 Menschen gestorben, die meisten von ihnen Liverpool-Fans.
In der zweiten Hälfte zeigte das Stadion war dann auch zu spüren, warum dieses Publikum so gefürchtet ist. Nach einem klugen Steilpass von Emre Can tauchte Origi plötzlich vor Weidenfeller auf und nutzt diese Möglichkeit endlich zu einem mittlerweile verdienten Anschlusstor. Nun war das Publikum wach und entwickelte eine wahrlich Furcht einflößende Wucht.
Allerdings reagierten die Dortmunder wie ein Weltklasseteam auf diese Energie. Plötzlich kontrollierten sie wieder das Mittelfeld, und nach 57 Minuten spielte Mats Hummels einen großartigen Ball in den Strafraum auf Marco Reus, der das dritte Dortmunder Tor erzielte. Aber auch das raubte den Engländern nicht den Glauben, Coutinho gelang nach tollem Doppelpass mit James Milner aus 18 Metern das 3:2, es war wieder spannend, erst recht nach dem Mamadou Sakho nach einer Ecke Lukasz Piszczek entwickelte und das dritte Liverpool-Tor köpfte. Als Lovren dann in der Nachspielzeit das vierte Tor geköpft hatte, konnte Jürgen Klopp seinen bisher größten Moment als Trainer in England feiern.
Das Gesamtbild der Saison leuchtet zwar immer noch in strahlendem gelb, aber die ganz großen Träume werden wohl nicht mehr in Erfüllung gehen. Beim 2:2 auf Schalke, als der BVB mit einem Reserveteam antrat, haben sie ihre Meisterschaftsambitionen aufgegeben, und die Europa League, die einzige wichtige Trophäe, die noch nicht in den Vitrinen des Klubs steht, werden sie auch nicht gewinnen. Denn nun bleibt nur noch die vage Hoffnung auf den DFB-Pokal, jenen Wettbewerb, in dem die Dortmunder in den vergangenen beiden Jahren jeweils das Endspiel verloren. Auf das Halbfinale bei Hertha BSC Berlin freut sich nach diesem enttäuschenden Abend an Anfield Road erst mal niemand.
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