
Der Ton wird aggressiver, die Wortwahl schärfer und der Ruf nach Konsequenzen lauter: Neben Forderungen, das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei aufzukündigen oder die EU-Beitrittsgespräche zu stoppen, wird auch die doppelte Staatsbürgerschaft infrage gestellt, ein Finanzierungsstopp für Moscheegemeinden in Deutschland aus dem Ausland diskutiert, und – als würde es hierzulande vor Burka-Trägerinnen nur so wimmeln – auch mal wieder ein Verbot der Ganzkörperverschleierung gefordert.
Nach Deeskalation zwischen Berlin und Ankara klingt das nicht – längst ist die außenpolitische Krise zwischen Deutschland und der Türkei in der Innenpolitik angekommen. Zwar ist es nicht hilfreich, auf Erdogans Konfrontationskurs allein mit Drohgebärden zu reagieren – dazu ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern zu wichtig. Aber eben auch nicht alles, was jetzt nach dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ in die Debatte geworfen wird, ist unüberlegt oder gar populistisch.
So wird seit Langem Kritik geübt an der Rolle des türkisch-islamischen Dachverbands Ditib für den islamischen Religionsunterricht in Deutschland. Verständlich, handelt es sich bei Ditib doch um eine türkische Religionsbehörde mit politischem Auftrag. So warnt der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi vor einer „Radikalisierung durch Imame aus dem Ausland“ und zählt die von der Türkei finanzierten Ditib-Geistlichen eindeutig dazu. Die muslimischen Dachverbände in Deutschland seien „meilenweit entfernt“ von einem aufgeklärten humanistischen Islam, genau der aber müsse gefördert werden. Ditib sowie der Zentralrat der Muslime verträten die Interessen ihrer Herkunftsländer und „sind unserem Staat nicht loyal gegenüber“. Eine Einschätzung, die nicht nur Ourghi teilt. „Wer mit Ditib kooperiert, kooperiert mit Ankara“, sagt auch der Grüne Volker Beck und fordert mehr Mut zum Streit mit den Islam-Verbänden. Die Forderung der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), dass islamische Religionslehrer in Deutschland ausgebildet sein müssten, ist daher nur konsequent. Dort wurden jetzt die Gespräche mit den islamischen Verbänden ausgesetzt.
Wie aber umgehen mit Forderungen nach einer Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft? Verhindert die seit Juli 2014 geltende Regelung tatsächlich die Integration von hier lebenden Migranten, wie jetzt unter anderem CDU-Politiker Jens Spahn behauptet? Unter der Überschrift „Unser Präsident heißt Gauck, nicht Erdogan“ hatte der in einem Zeitungsbeitrag vor der Groß-Demonstration von Erdogan-Anhängern in Köln gefragt: „Zu wem haltet ihr?“
Damit hat Spahn zu Recht eine Debatte befeuert, weil nicht nur er sich diese Frage stellt. Und es ist wichtig, darüber zu debattieren, gerade weil die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei so wichtig sind. Und weil in Deutschland fast drei Millionen Menschen türkischer Herkunft leben, von denen etwas mehr als die Hälfte die deutsche Staatsangehörigkeit hat.
Wenn sich Spahn also darüber wundert, dass sich „hunderttausende in Deutschland lebende und teils bei uns eingebürgerte Türken (…) mehr mit der Türkei Erdogans identifizieren als mit ihrer neuen Heimat“, dann trifft er damit den Kern der Irritation vieler. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte 1995, als er als Bundestagsabgeordneter erstmals in die Türkei reiste: „Ich bin nicht der stolze Nationaltürke, auf den ihr wartet.“ Die in Köln jetzt für die autokratische Politik Erdogans demonstrierenden Menschen sagten das nicht. Nachdenklich macht das schon.
Und angemessen ist es auch, der vom Publizisten Jakob Augstein aufgeworfenen Frage nachzugehen, was denn das Wort Staatsbürgerschaft eigentlich bedeuten soll und ob der Weg, sich nicht für einen Staat entscheiden zu müssen, ein Irrweg ist? Zumal dann, wenn sich, wie auch Spahn im Fall der Türkei und Deutschlands schreibt, „die Interessen, Ziele und Prinzipien“ immer stärker widersprechen.
Augsteins Antwort: „Die doppelte Staatsangehörigkeit hat 500 000 Türken in Deutschland die Möglichkeit gegeben, sich nicht entscheiden zu müssen.“ Man kann das liberal nennen, aber auch inkonsequent. Leichtfertig nennt es Augstein und verweist auf die USA. Die dort eingewanderten Iren und Italiener hätten weder ihre Geschichte noch ihre Traditionen verloren, auch wenn sie heute Amerikaner seien. Integration, und da hat Augstein recht, hat viel mit „sich entscheiden“ zu tun. Eine Reform des Staatsbürgerrechts könnte hier für Klarheit sorgen.
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