
Danach tummeln sich in Gegenden, in denen intensiv gefüttert wird, mehr Nesträuber. Bei manchen Brutvogelarten nimmt dadurch die Überlebenschance der Jungtiere stark ab. Deutschlands vermutlich bekanntester Ornithologe, Professor Peter Berthold, sieht in solchen Effekten jedoch nur Nebensächlichkeiten. Der Verhaltensforscher, der viele Jahre die Vogelwarte Radolfzell in Baden-Württemberg, eine Einrichtung des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, geleitet hat, hält Füttern für eine „moralische Pflicht“. „In unserer weit he-runtergewirtschafteten Natur ist jede Art von Fütterung Artenschutz“, sagt er.
Rund 30 Vogelarten sind in Deutschland laut Roter Liste vom Aussterben bedroht. Drei Viertel der Arten, die sich in offenen Landschaften heimisch fühlen, gelten als gefährdet. Berthold geht nach eigenen Angaben davon aus, dass die Zahl der Vögel auf deutschen Wiesen, in Wäldern und Gärten nur noch einen Bruchteil dessen beträgt, was beispielsweise im Jahr 1800 üblich war. Was den verbleibenden Tieren vor allem fehle, sei Futter. Deshalb setzt sich der Ornithologe dafür ein, das ganze Jahr über zu füttern. In anderen Ländern, so etwa in Indien, den USA, Großbritannien oder Neuseeland, habe dies Tradition.
Anders sieht dies die Biologin Silke Voigt-Heucke von der Freien Universität Berlin. Es gebe nur sehr wenige Studien zur Frage, welche Effekte vom Menschen angebotene Nahrung habe, sagt sie. In einer dieser Untersuchungen fanden britische Forscher heraus, dass Junge von im Winter gefütterten Blaumeisen beim Schlüpfen im Schnitt kleiner sind, weniger wiegen und seltener flügge werden. „Ein Grund könnte sein, dass Füttern im Winter relativ schwachen Vögeln dabei hilft, zu überleben und zu brüten“, erklärt die Studienautorin Kate Plummer von der Universität Exeter. Diese Tiere brächten dann weniger Jungtiere durch.
Forscher aus Neuseeland wiesen nach, dass Amseln, die regelmäßig an Futterstellen fressen, häufiger von Würmern befallen sind als Artgenossen. Genau andersherum verhalte es sich allerdings beim Weißbrust-Brillenvogel, einem fast ausgestorbenen neuseeländischen Vogel. Bei Spatzen an Futterhäuschen fanden die Forscher wiederum mehr Federmilben als bei Artgenossen, die nicht gefüttert wurden.
Wegen der Gefahr, dass Krankheitserreger übertragen werden, lehnen Experten des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) offene Futterhäuschen ab. Sie raten zu Behältern, bei denen das Futter aus einem Loch herausfällt. Dies hat den Vorteil, dass die Vögel nicht mit dem Kot anderer Tiere in Kontakt kommen.
Nach Darstellung des Göttinger Vogelkundlers Hans Dörrie gibt es unter den Fachleuten niemanden mehr, der sich grundsätzlich gegen das Füttern von Vögeln ausspricht. Die früher vertretene Haltung, dass Tiere, die nicht ohne Hilfe überleben können, sterben müssen, scheint inzwischen keine Rolle mehr zu spielen. Die Frage, an der sich die Geister scheiden, ist heute vielmehr die, ob das Füttern wirklich hilft, gefährdete Arten in ihrem Bestand zu schützen. Berthold beantwortet sie mit einem eindeutigen Ja, stößt dabei aber zum Beispiel bei dem Naturschutzbund-Mitarbeiter Lars Lachmann auf Widerspruch. Man könne zwar einzelnen Individuen mit Zusatzfutter durch den Winter helfen, aber mit Artenschutz habe dies nichts zu tun, sagt der Naturschützer. „Man hilft nur sehr wenigen Vogelarten, die nicht bedroht sind.“ Höchstens zehn der insgesamt rund 200 Arten, die es in Deutschland gebe, kämen überhaupt zum Fressen an Futterstellen. Und selbst bei denen, die das Angebot annähmen, wachse nicht unbedingt die Population. „Wenn man massenweise Meisen durch den Winter füttert, gibt es im Frühjahr und Sommer trotzdem nicht mehr Brutpaare“, sagt Lachmann. Geeignete Nistplätze und das Insektenfutter für die Jungvögel blieben schließlich begrenzt.
Berthold indes lässt sich von solchen Argumenten nicht beeindrucken. Gerade weil es nur noch so wenige Insekten gebe, müsse gefüttert werden. Die Elterntiere müssten viel weiter fliegen als früher, um genug Futter für die Jungtiere zu sammeln. Das Fett der Meisenknödel gebe ihnen die Energie dazu. Wer wie er selbst das ganze Jahr über füttere, mache zudem die Erfahrung, dass er bald mehr als 50 Arten am Vogelhäuschen begrüßen könne. Auch die hygienischen Einwände gegen Vogelhäuschen will er nicht gelten lassen. Er selbst habe Versuche mit Vogelhäuschen in unterschiedlichem hygienischem Zustand gemacht. Unterschiede bei der Gesundheit der Vögel habe es dabei nicht gegeben.
Trotz aller offenen wissenschaftlichen Fragen und Meinungsunterschiede besteht bei Fachleuten Einigkeit darüber, dass das Füttern von Vögeln einen wichtigen Effekt hat. Lachmann drückt es so aus: „Leute lernen Vögel kennen und lieben, und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für den Artenschutz einsetzen.“
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