
Auch im Rundfunk und im Internet ist Russlands Präsident in voller Länge zu hören. Ernst, bisweilen mit gezwungenem Lächeln stellt sich der 63-Jährige in seiner Bürgersprechstunde den Fragen der Nation. Zum 14. Mal seit dem Jahr 2000. Mehr als drei Millionen Fragen gehen diesmal ein. Doch gerade einmal auf 80 davon gibt es Antworten.
Wegen der schweren Krise im Land ist die Lage ernst. Das räumt auch Putin ein. Ob die Stimmung in der russischen Wirtschaft "schwarz oder weiß" sei, wird er gefragt. "Grau" lautet seine Antwort. Dann gibt es aber die üblichen aufmunternden Worte: Die Talsohle der Krise sei wohl überwunden, für 2017 gingen Experten von einem Wachstum vom 1,4 Prozent aus. Aber die Zuschauer unter dem imposanten Glasdach des Handelshofs Gostiny Dwor quittieren die Zuversichtsfloskeln ihres Präsidenten oft mit Schweigen.
Die TV-Show ist vor allem als Ventil für viele Russen angelegt. Sie sollen ihren Frust abladen. Eine Frau in der sibirischen Millionenstadt Omsk beklagt Schlaglöcher in den Hauptstraßen. Auch der Bau einer U-Bahn verzögere sich seit Jahren. Putin verspricht Hilfe – und kurz darauf berichten Staatsmedien vom Versprechen der Omsker Behörden, die Straßen bis zum 1. Mai in Ordnung zu bringen.
Leere Kassen sind kein Hindernis
Auch großzügige Finanzversprechen für sozial schwache Bürger vergisst Putin nicht. Leere Kassen? Kein Hindernis. Das "Winken mit dem Füllhorn" ist nicht neu, macht sich aber vor der Parlamentswahl Mitte September besonders gut. Kremlkritiker verhöhnen die alljährliche Talkshow schon lange als "Dauerwerbesendung".
Die Fragen folgen der gewohnten Choreographie: Handverlesene Gäste dürfen mit Putin im Studio sitzen. Und immer wieder schaltet das Staatsfernsehen in Orte des Riesenreichs, wo sich ein Arbeiterkollektiv vor ausgesuchtem Hintergrund aufgestellt hat: Etwa auf der einverleibten Schwarzmeer-Halbinsel Krim oder in einer Waffenfabrik in Tula. Routiniert spult Putin seine Positionen ab.
Ein zwölfjähriges Mädchen bringt Putin kurz aus dem Konzept mit einer unerwartet direkten Frage zur großen Weltpolitik. Würde er die Präsidenten Petro Poroschenko (Ukraine) und Recep Tayyip Erdogan (Türkei) vor dem Ertrinken retten, fragt das Kind. Der Präsident legt die Stirn in Falten, windet sich kurz auf seinem Stuhl. "Wir sind immer bereit, die Hand der Freundschaft zu reichen. Aber wenn jemand beschlossen hat zu ertrinken, ist ihm nicht mehr zu helfen." Die Zuschauer lachen. Oft gibt sich Putin als einfacher Mann, der die Sprache des Volkes spricht – auch das ist ein bewährter Schachzug.
Bitte um Geduld
Jedoch ist vereinzelt auch Kritik zu hören. "Wir reden mit Ihnen jedes Jahr, aber das Leben wird nicht besser", schreibt etwa ein frustrierter Zuhörer in einer im Fernsehen eingeblendeten SMS. Der Kremlchef lächelt solche Angriffe weg, bittet um Geduld für seine Regierung: Der Anti-Krisen-Plan stehe jetzt erst richtig, brauche aber seine Zeit, um in die Tat umgesetzt zu werden.
Da wirkt der mächtigste Mann Russlands fast erleichtert, als es um den Konflikt mit der Ukraine, das zerrüttete Verhältnis zum Westen und andere außenpolitische Themen geht. Erst da teilt er in gewohnt schlagfertiger Manier aus. Scharf wirft der Staatschef der türkischen Führung vor, einen Bürgerkrieg gegen Kurden zu führen. Der Westen schaue über die Gewalt hinweg. Da ist Putin wieder in seinem Element.
Empört weist er Vorwürfe im Zusammenhang mit den Panama Papers zurück. Die Enthüllungen über Offshore-Konten seien eine Provokation. "Damit haben Mitarbeiter der amerikanischen Institutionen zu tun", behauptet der Präsident – und meint wohl den US-Geheimdienst CIA.
Zwischendurch gibt Putin einen seltenen Einblick in sein Privatleben. Ja, er treffe seine frühere Ehefrau Ljudmila manchmal, sagt der Geschiedene. Ihr gehe es gut, ihm gehe es gut. Und er wisse auch, was über seine angeblichen Affären in den Zeitungen stehe. "Ich weiß aber nicht, ob ich jetzt solche Fragen in den Vordergrund stellen würde", sagt der Kremlchef mit festem Blick in die Kamera. Irgendwann werde er über sein Privatleben sprechen. Die Menschen hätten ihn aber gewählt, damit er sich um andere Dinge kümmert. Etwa um den Ölpreis.
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