
Hausherr Horst Wiese zum Beispiel, er ist Gastwirt, Landwirt und einer der Veteranen des Widerstandes gegen die Atomanlagen. Wiese ist 81 Jahre alt, im politischen Ruhestand ist er noch nicht – allenfalls in Teilzeit.
Die Kneipe in einem Nachbardorf von Gorleben zählt seit Jahrzehnten zu den Brennpunkten der Protest-Szene. Dort startete im März 1979 der legendäre Treck der Lüchow-Dannenberger Bauern nach Hannover. Auf dem Hof und der Wiese mit den Obstbäumen kampierten bei Castortransporten die auswärtigen Atomkraftgegner, im rustikalen Saal schmiedeten sie Pläne für die nächste Blockade. „Und wenn wir Alten uns hin und wieder treffen, haben wir immer guten Gesprächsstoff“, sagt Wiese.
Er zählte zu den ersten, die vor 40 Jahren mit ihren Traktoren gegen die Pläne demonstrierten, in Gorleben ein nukleares Entsorgungszentrum zu errichten – einen gigan-tischen Atomkomplex mit Wiederaufarbeitungsanlage, einem Endlager, mehreren Pufferlagern und einer Fabrik für Brennelemente. Bei der Benennung des Standortes am 22. Februar 1977 verwies Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) auf den unterirdischen Gorlebener Salzstock, in dem sich der Atommüll für Jahrtausende sicher verwahren ließe. Salzformationen gab es allerdings auch anderswo in Niedersachsen. Sie hätten sich nach Ansicht von Geologen sogar besser als Lagerstätte geeignet.
Ausschlaggebend für Albrechts Entscheidung waren wohl andere Gründe. Im strukturschwachen, konservativen Wendland, so sein Kalkül, würden die Leute schon nichts gegen die geplanten Atomfabriken haben, und gegen die versprochenen Arbeitsplätze erst recht nicht. Die Rechnung ging aber nicht auf, viele Lüchow-Dannenberger lehnten die Atomanlagen strikt ab.
Es ist abends am Tag der Standortbenennung: Empörte Bürger demonstrieren in Gorleben. Drei Wochen später versammeln sich bereits 20 000 Menschen am geplanten Baugelände – Bauern, die sich um den Absatz ihrer Produkte sorgen, Rechtsanwälte und Kaufleute, Lehrer und Schüler. Der Treck Hunderter Landwirte nach Hannover von 1979 beeindruckt auch die Politiker. Eine Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben sei politisch nicht durchsetzbar, telegrafiert Ernst Albrecht an Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD).
Die Erkundung des Salzstocks geht aber weiter, bei der Endlagersuche bleibt Gorleben als möglicher Standort im Pool. Auch zwei Zwischenlager und eine sogenannte Pilotkonditionierungsanlage zum Ver-packen von Atommüll entstehen im Gorlebener Wald. Im Mai 1980 besetzen Tausende Atomgegner ein Stück Land über dem Salzstock. Sie errichten ein Hüttendorf und rufen die „Republik Freies Wendland“ aus. Nach einem Monat räumt die Polizei das besetzte Gelände, Bulldozer walzen die Hütten nieder. Den Widerstand rund um Gorleben kann der massive Polizeieinsatz nicht brechen. „Wenn Du die Atomanlagen vor der Nase hast“, sagt Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz, „kannst Du Dir nicht aussuchen, ob Du Dich mal engagierst und mal nicht.“ Ständig stünden Entscheidungen an, die nach politischen Antworten und Reaktionen verlangten.
Neben der Bürgerinitiative entstehen weitere Protestgruppen – und gehen zum Teil wieder ein: die Bäuerliche Notgemeinschaft, die Gorleben-Frauen, die Grauen Zellen, in der sich die Senioren zusammenschließen, der Motorradclub Idas – schon in der griechischen Mythologie war Idas ein Wider-sacher von Castor. Auch viele Christen engagieren sich im Widerstand. Bei den Castor-Transporten, die seit 1995 ins Zwischen-lager rollen, vermitteln Pastoren zwischen Demonstranten und den Polizeibeamten. Um den Konflikt zu entschärfen, entscheiden die Politiker 2011, die Transporte mit hochradioaktivem Atommüll einzustellen.
Seitdem ist Gorleben nicht mehr der Kristallisationspunkt der Anti-Atom-Bewegung. „Dem außerparlamentarischen Protest wurde die Bühne genommen“, räumt Wolfgang Ehmke ein. „Wir sind nur noch eine Initiative von vielen.“ Bis 2031 soll ein Endlagerstandort gefunden sein. Fällt die Wahl auf Gorleben, stellt Horst Wiese seinen Traktor wohl nicht mehr selber quer. Er baut darauf, dass seine Kinder und Enkel den Widerstand fortsetzen. „Ich glaube, sie würden noch mehr machen als wir“, sagt er. „Bei meinem Sohn, der mich in all den Jahren unterstützt hat, bin ich mir sogar sicher.“
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