
Der Kanzler lächelt verlegen. Das Foto schreibt Geschichte.
Die junge Abgeordnete war Marie-luise Beck. Nachdem sie den Tannenzweig überreicht hatte, faltet Otto Schily die Fraktionssprecherin im Plenum zusammen – die Aktion war nicht abgesprochen. Die neue Fraktion im Bundestag ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, nicht minder als die Abgeordneten-Riegen der etablierten Parteien. Schnell beginnt der Prozess der Ernüchterung. Dabei waren die Grünen angetreten, um alles besser zu machen. Die bunte Truppe sah sich als Antipartei-Partei. Beck ist heute das einzige Mitglied der Grünen-Fraktion im Bundestag, das schon in der ersten Stunde dabei war. Sie steht quasi spiegelbildlich für die Veränderung der Partei durch Verantwortung – von links, über gemäßigt links hin zur Mitte.
Die Grünen in ihren jungen Jahren sind radikal-pazifistisch, kritisieren die damalige Westeuropäische Gemeinschaft, fordern einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. Für die Partei, aber auch für Beck, beginnt die Abkehr von alten Idealen durch die Konfrontation mit der Realität. So kommt die Losung „Nie wieder Krieg“ ins Wanken. Der Jugoslawien-Krieg und das Massaker von Srebrenica im Juli 1995 verändern die Grundhaltung von Beck und einigen Parteifreunden: Militärisches Eingreifen kann helfen, einen Genozid zu verhindern.
Bald geht es im Bundestag um einen Friedenseinsatz der Bundeswehr in Bosnien. Doch auf dem Grünen-Parteitag in Bremen stellt sich eine deutliche Mehrheit der Delegierten dagegen. Die Partei steht vor der Zerreißrobe. Aber die Abgeordnete aus Bremen bleibt konsequent. Sie stimmt im Bundestag als eine von wenigen Grünen für die Beteiligung der Bundeswehr. Bereits 1999, die Ökopartei ist nun Teil der Regierungskoalition unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD), votiert die Mehrheit der Fraktion dafür, dass sich Deutschland am Nato-Krieg gegen Jugoslawien beteiligt.
Einmal an der Macht, werden die Grünen pragmatischer. So ist ihre Kernmarke, das Aus für die Atomkraftwerke, nicht so schnell machbar wie erhofft. Bundesumweltminister Jürgen Trittin müht sich, seinen Parteifreunden zu erklären, dass Rechtssicherheit auch für die Energiekonzerne gilt. Am Ende wird sich der Atomausstieg über viele Jahre hinziehen. In ihren Anfangsjahren waren die Grünen auch für soziale Wohltaten zu haben. Davon nehmen sie Abschied: Ohne Murren akzeptieren sie Schröders umstrittene Agenda 2010. Viele sehen das heute als Fehler an.
Auf anderen Feldern indes bleibt die Ökopartei konsequent auf Linie, etwa in der Flüchtlingspolitik oder bei den Menschenrechten. Letzteres ist für Beck eine Herzenssache. Sie besucht Weißrussland und setzt sich für inhaftierte Oppositionelle ein. Früh unterstützt sie die Menschen, die ab Ende 2013 auf dem Maidan in Kiew für Freiheit und Demokratie demonstrieren. Heftige Kritik bekommt die Abgeordnete allerdings aus Teilen ihrer Bremer Wählerschaft, als sie sich für Michail Chodorkowski einsetzt, dem in Russland ein zweifelhafter Prozess gemacht wird. Warum einen früheren Oligarchen unterstützen, der seinen Reichtum vermutlich auch mit illegalen Mitteln angehäuft hat? Doch Beck bleibt in der ihr eigenen Art konsequent: Auch Reiche haben das Recht auf einen fairen Prozess. Punkt.
Die Abgeordnete wird durch ihren unermüdlichen Einsatz immer bekannter, bekommt Einladungen in Talkshows, schreibt Gastbeiträge für überregionale Zeitungen. Doch in Bremen gibt es Kritik, dass sie in Berlin zu wenig für die Hansestadt tue. Da mag etwas dran sein. Doch eine überregional bekannte Abgeordnete steht den Bremer Grünen ja auch nicht schlecht zu Gesicht.
Zumal Beck offen ist für neue Koalitionsoptionen, jenseits von Rot-Grün. Nicht zufällig hat der heutige Ministerpräsident Winfried Kretschmann einst ihr Talent in Baden-Württemberg erkannt und gefördert. Beide stehen für eine realistische Linie, die auf politische Mehrheiten zielt – gegebenenfalls im Bündnis mit der Union.
Marieluise Beck wird auch nach ihrem Rückzug politisch aktiv bleiben. Doch ihre parlamentarischen Initiativen werden den Grünen im Bundestag fehlen – und auch den Menschenrechtlern in Osteuropa.
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