
Am Ende der Schlichtung fühlen sich Deutsche Bahn und Lokführergewerkschaft als Gewinner. Neue Spielregeln sollen eine Wiederholung des Tarifdramas verhindern. Wie zuvor die reguläre Tarifrunde drohte auch die Schlichtung bei der Bahn zu scheitern. „Wir haben zwischendurch auch mal einen Abbruch gehabt und gesagt, es geht so nicht mehr, dann lassen wir‘s eben – aber es ging eben doch immer weiter.“ Matthias Platzeck, der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg, plauderte am Mittwoch gelöst über intensive, teils hart geführte Gespräche zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn.
Selbstbewusst trat sein Mitstreiter Bodo Ramelow ans Podium: „Bei Tarifverhandlungen halte ich mich für einen Profi“, sagte der Ex-Gewerkschafter, der heute Regierungschef in Thüringen ist. „Aber das, was ich hier erlebt habe, übersteigt doch alles, was ich bisher erlebt habe.“ Er meinte die Komplexität der Materie, aber auch die Härte der Auseinandersetzung.
Am Ende waren 75 Stunden Gespräche in fünf Wochen nötig, bis ein Kompromiss herauskam. Diesen hätte allerdings mancher nach einem Jahr Tarifzank so umfassend und endgültig am Mittwoch noch nicht erwartet.
Für Bahnkunden sind die Monate des gespannten Bangens vor dem nächsten Streik vorbei – mindestens bis Herbst nächsten Jahres. Das sei „ein wichtiges Signal“ der Einigung, sagte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber. Fahrgäste und Industriekunden sind die Gewinner. Wer aber noch?
Die GDL war mit dem Anspruch in den Tarifkampf gezogen, für alle ihre Mitglieder eigenständige Tarifverträge auszuhandeln. Sie hat das tatsächlich geschafft. Es gibt nun einen Bundesrahmentarifvertrag über Einkommen und Arbeitszeit und nicht mehr nur für die Lokführer, sondern alle GDL-Mitglieder, die zum Zugpersonal gehören. Darunter sind die Zugbegleiter, Bordgastronomen, die Lokrangierführer und die Disponenten. Spezialregeln sind im Haustarifverträgen untergebracht.
Den Rahmentarifvertrag kann die GDL nun als Messlatte nehmen und versuchen, diese Tarifregeln auch bei anderen Bahnbetreibern durchzusetzen. Genau deshalb wollte GDL-Chef Claus Weselsky diesen Vertrag. Mehr Schutz vor Entlassung gibt es nach Worten Weselskys jetzt auch für das gesamte Zugpersonal, wenn der Betreiber eines regionalen Streckennetzes wechselt.
Einiges von dem, was nun im GDL-Tarifwerk steht, hat allerdings die Konkurrenzgewerkschaft EVG unmittelbar vor Schlichtungsbeginn vor fünf Wochen bereits für ihre rund 100 000 Mitglieder bei der Bahn ausgehandelt. Abgesehen von einem Monat Unterschied bei der Vertragslaufzeit sind die Lohnerhöhungen bei EVG und GDL identisch: 3,5 Prozent im Juli und 1,6 Prozent im nächsten Mai.
Im Vertragswerk mit der GDL kommt aber eine wichtige Sache hinzu: Die Wochenarbeitszeit für das GDL-Zugpersonal wird bei gleichem Einkommen im Januar 2018 von 39 auf 38 Stunden gesenkt. Das hatte die EVG für ihre Leute nicht vereinbart. Weil das rund 2,5 Prozent mehr Geld entspreche, müsse das Einkommensplus in der nächsten Tarifrunde magerer ausfallen, stellte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber klar. Weber und Rusch-Ziemba beruhigten schon mal: Bis 2018 bleibe genug Zeit, um zwischen Bahn und EVG das Thema Arbeitszeit zu klären.
Weber wollte stets widerspruchsfreie Regelungen. Ein und dieselbe Tätigkeit sollte zum Beispiel nicht unterschiedlich bezahlt werden, je nach Mitgliedschaft in EVG oder GDL. „Wir haben das tarifpolitische Ziel erreicht“, sagte der Bahn-Manager. Das neue Tarifeinheitsgesetz berührt das GDL-Tarifwerk nicht, weil es zum Zeitpunkt des Abschlusses noch nicht in Kraft war.
Dauerhaft ist das nicht gesichert. Dafür müssten sich EVG und GDL wieder in einer Tarifgemeinschaft zusammenfinden. Die ist noch längst nicht in Sicht, auch wenn Platzeck und Ramelow am Mittwoch den Wunsch äußerten, Bahn und beide Gewerkschaften sollten ihre gemeinsame Sozialpartnerschaft wiederbeleben.
Gewinner des Tarifkompromisses dürften auf jeden Fall viele Beschäftigte sein. Denn eine weitere Vereinbarung mit der GDL sieht vor, insgesamt 1,3 Millionen Überstunden bis Ende 2017 abzubauen. Das soll mit zusätzlichen Neueinstellungen erreicht werden.
Eine Konfrontation wie im zurückliegende Jahr soll künftig vermieden werden – mit einem neuen Schlichtungsverfahren. Es gilt erst einmal bis zum Jahr 2020. Demnach kann jede Seite eine Schlichtung herbeiführen, wenn es in den Verhandlungen nicht mehr vorangeht. Beim nächsten Mal müssen es andere machen. „Wir stehen nicht mehr zur Verfügung für eine weitere Schlichtung“, sagte Ramelow über sich und seinen Partner Platzeck.
Bodo Ramelow ist gern der Erste: Als Ministerpräsident der Linken, als Chef einer rot-rot-grünen Landesregierung und nun auch als aktiver Politiker, der einen großen Tarifkonflikt befriedet. Ramelow freute sich fast diebisch, wenn in Erfurt wieder einmal niemand merkte, dass er in seinem „Ehrenamt“ unterwegs war: Fünf Wochen lang hat Thüringens Ministerpräsident nicht nur regiert, er hat quasi in geheimer Mission auch in einem großen Tarifkonflikt geschlichtet. Keinesfalls sollte der Eindruck entstehen, er habe sein Regierungsamt wegen des prestigeträchtigen Schlichter-Jobs vernachlässigt. Ein Novum: Noch nie zuvor hatte ein aktiver Regierungschef eine solche Aufgabe übernommen.
Hinter Matthias Platzeck liegen fünf Wochen, die „nichts für Zartbesaitete“ waren. „Wenn sie über den Tisch eine Glühbirne zwischen die Verhandlungspartner gehängt hätten, die hätte geleuchtet“, beschreibt er die Spannungen, die er mit dem Thüringer Regierungschef Bodo Ramelow in der Bahn-Schlichtung abzubauen hatte. Möglicherweise hat dem 61-Jährigen dabei geholfen, dass er nicht nur ein nachdenklicher, sondern auch ein bodenständiger und ausgesprochen jovialer Politiker ist, ein Umarmer. Damit hat der SPD-Mann, der seine politische Laufbahn beim Bündnis 90 begann, seit der Wende die Landespolitik in Brandenburg geprägt, elf Jahre lang auch als Ministerpräsident. Zuletzt in einer Koalition mit der Linkspartei, die er unter Protest im Land einging und die Stasi-Enthüllungen überstand.
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