
Sie bekamen ein Vermögen in die Wiege gelegt, dass ihre Großeltern oder Eltern mit Fleiß, Geschick und Ausdauer aufgebaut hatten. Sie wussten, dass sie nie existenzielle Sorgen haben müssten und das vorhandene Vermögen mit etwas Geschick noch weiter vergrößern könnten. Es war einmal – im Jahr 2016, einem der Jahre, in denen enorme Vermögen den Besitzer wechseln. Nach Angaben des „Deutschen Instituts für Altersvorsorge“ summiert es sich von 2015 bis 2024 auf 3,1 Billionen Euro. Die Rede ist von 260 Milliarden Euro pro Jahr. Glück gehabt, kann man ganz ohne Missgunst sagen. Nicht alle Reichen sind Snobs, nicht alle Vermögenserben werden glücklich. Die Generation, die ihren Sprösslingen mehr als Haus und Hof hinterlässt, ist die erste in der jüngsten Geschichte, die sich in Frieden und Wohlstand entfalten konnte. Die heute 70-Jährigen haben die Zeiten des Wiederaufbaus erlebt, sie konnten Teil des Wirtschaftswunders werden, Unternehmen gründen und aufbauen.
Die auch als „Goldenes Zeitalter des Kapitalismus“ bezeichnete Ära hielt bis in die 70er-Jahre an, bis zu den Ölkrisen. Einer hochkonjunkturellen Phase folgte 2007 die Finanzkrise, mit der enormes Vermögen vernichtet wurde, weltweit ist von rund 50 Billionen Dollar die Rede. Das hat manche Existenz gekostet, aber die Entwicklung nicht grundlegend verändert: Die Reichen werden reicher, die Superreichen superreicher. Selbst das kann man grundsätzlich ohne Sozialneid betrachten, gäbe es daneben nicht auch Armut, verhältnismäßige, auch existenzielle und Erwerbsarmut. Kann man von Mitbürgern, die sich nur mit mehreren Jobs mühsam über Wasser halten können oder trotz Arbeit auf Sozialleistungen angewiesen sind, erwarten, duldsam hinzunehmen, in die falsche Familie geboren zu sein? Oder muss man damit rechnen, dass sie in Zukunft mehr tun, als aus Protest ganz links, ganz rechts oder gar nicht wählen und sich gegen Strukturen erheben, die manche als feudalistisch bezeichnen?
Während Europa zusieht, wie sich mehr und mehr Wirtschaftsflüchtlinge auf den Weg machen, um sich andernorts eine Existenz aufzubauen, wird dem gesellschaftlichen Konfliktpotenzial in anderen Milieus wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei wird nicht nur Reichtum vererbt, sondern auch Armut, sagt der Sozialwissenschaftler René Böhme vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen und der Arbeitnehmerkammer. Die Vermögensungleichheit wachse. „Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat eigentlich gar kein Vermögen, die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung sind verschuldet, zwei Drittel des Gesamtvermögens konzentrieren sich bei zehn Prozent der Bevölkerung.“ Durch immense Erbschaften werde diese Ungleichheit, in der Bundesrepublik ohnehin höher als in jedem anderen Euro-Land, noch zementiert, so der Sozialwissenschaftler weiter.
Das „Handelsblatt“ schreibt unter dem Titel „Generation Erbe: Wenn das Geld vom Himmel fällt“: „Eine gerechtere Arbeitswelt? Ein gerechteres Deutschland? In den Gründungsjahren der Bundesrepublik gab es noch wenige Ersparnisse, sie entsprachen etwa der Geldsumme, die von Arbeitnehmern pro Jahr verdient wurde. Inzwischen sind sie fünfmal so groß wie die Summe aller Löhne (...) Zugespitzt kann man sagen: Die Leistungsgesellschaft mutiert zur Erbengesellschaft.“ Julia Friedrichs ergänzt: „Und deren Geschichte ist noch ungeschrieben.“ Die Journalistin hat ihrem Buch mit dem Titel „Wir erben – was Geld mit Menschen macht“ ein Zitat des Kabarettisten Rainald Grebe aus dem Lied „Reich mir mal den Rettich rüber“ vorangestellt: „Wir wollten nie wie unsere Eltern werden und sind es auch nicht geworden. Unsere Eltern sind ja älter und ziemlich provinziell, irgendwann werden die sterben, und wir werden ihre Häuser erben, aber keine neue bauen.“ Zwei Jahre lang hat Friedrichs für ihr Buch recherchiert, heißt es, hat nach belastbaren Zahlen über die wahren Vermögensverhältnisse gesucht, hat sich mit Reichen, ihren Nachkommen und ihrem Werdegang befasst, mit Politikern und Soziologen gesprochen, sich mit Erbmorden beschäftigt. Wird die Generation der Erben tatsächlich keine neue Häuser bauen und sich auf den Lorbeeren ausruhen, die ihre Eltern errungen haben? Man weiß es nicht. Reichtum macht vieles mit den Menschen, er macht sie auch diskret. „Die Reichtumsforschung ist sehr unterentwickelt“, sagt Böhme. Viele Reiche, vor allem Schwerreiche, entzögen sich dieser Forschung, Angaben über private Vermögen seien „nur Annäherungen, die tatsächlichen Zahlen sind nicht bekannt“. Auch Julia Friedrichs musste feststellen, dass nicht viele derer, die mit dem goldenen Löffel im Mund geboren sind, in der Öffentlichkeit zu Wort kommen wollen.
Zu befürchten sei, schreibt Friedrichs, dass sich die Erbengesellschaft als wenig beweglich und innovativ erweise, weil sie sich in erster Linie darauf konzentriere, die Gegenwart mit ihren Annehmlichkeiten zu konservieren. Friedrichs zitiert den Psychologen Stephan Grünewald mit den Worten „Wir leben in einer Zeitenwende. Die Ängste vor dem Verlust unserer bisherigen Lebensweise überwiegen derzeit die Neugier, die Zukunftslust und die Entwicklung neuer Visionen. Das Schöpferische scheint mir momentan lahmgelegt.“ Man könnte sagen, dass ein Blick auf die legendäre Liste der reichsten Menschen der Welt, die das US-amerikanische Wirtschaftsmagazins „Forbes“ Jahr für Jahr veröffentlicht, das tendenziell, aber nicht durchweg bestätigt: 1810 Milliardäre befinden sich auf der aktuellen Liste, darunter 120 Deutsche. An deren Spitze stehen mit einem Netto-Vermögen von 23,8 Milliarden Euro tatsächlich Erben: Beate Heister und Karl Albrecht Junior, Kinder des Aldi-Mitgründers Karl Albrecht Senior. Zu den Reichsten der Reichen auf internationaler Ebene zählen die Wal-Mart-Erben Samuel Robson, Jim und Alice Walton, deren Vermögen jeweils auf rund 33 Milliarden Dollar geschätzt wird, aber auch der 32-jährige Facebook-Kopf Mark Zuckerberg sowie Amazon-Chef Jeff Bezos sowie die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin. An der Spitze der Liste steht der Microsoft-Gründer Bill Gates, dessen Vermögen auf rund 75 Milliarden Dollar taxiert wird. In den vergangenen 22 Jahren stand Gates 17 Mal auf die Spitzenposition der Milliardärsliste.
Die Superreichen der Zukunft sind in vielen Fällen Nachkommen von Superreichen der Gegenwart. Überdurchschnittlich viel erben jene, die bereits vermögend sind – wie sich an Dynastien des sogenannten alten Gelds zeigt. Zudem erben Wohlhabende oft doppelt, sagt René Böhme. Viele partnerschaftlichen Verbindungen finden in demselben sozialen Milieu statt: Vermögende tun sich mit Vermögenden zusammen und damit Erben mit Erben. Damit würden drei zentrale Gerechtigkeitsprinzipien der sozialen Marktwirtschaft ausgehebelt, so Böhme. Da sei zum einen die Leistungsgerechtigkeit, nach der derjenige, der viel leistet, auch entsprechend be- und entlohnt werden soll. Das zweite Prinzip sei die Bedarfsgerechtigkeit, wonach dafür Sorge zu tragen ist, dass alle Bürger ihr Auskommen haben. Das dritte gesellschaftlich anerkannte Prinzip sozialer Marktwirtschaft sei die Chancengerechtigkeit, die allen Bürgern eine Zukunft ermögliche, unabhängig von ihrer Herkunft. „Alle drei Prinzipien gelten mit diesen enormen Erbschaften nicht, bei ihnen gilt das Abstammungsprinzip.“ Vermögen bekämen damit die, die es eigentlich nicht brauchten und die dafür nichts geleistet hätten, zudem hätten sie ganz andere Entwicklungschancen als andere. Das gilt auch für die Vermehrung des Vermögens. Die Niedrigzinsphase führt dazu, dass die sogenannten kleinen Sparer ihre Guthaben selbst aufzehren, zumal angesichts der gestiegenen Lebenserwartung und möglicher Pflegekosten. Wer heute Gewinne erwirtschaften wolle, sagt Böhme, müsse investieren. Dazu seien nur die in der Lage, denen Geld zur Verfügung stehe.
Dass sich die Schere zwischen Armut und Reichtum mehr und mehr spreizt, findet erst seit einigen Jahren Beachtung. Bremen hat 2015 seinen zweiten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt, auf Bundesebene wurde 2001 der erste Bericht veröffentlicht. Die Grünen entzweien sich just an der Debatte um die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Um die Erbschaftssteuerreform wird – nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – seit anderthalb Jahren gerungen. Das Gericht in Karlsruhe hatte die (Sonder)Regeln für Firmenerben für verfassungswidrig befunden. Bislang müssen Unternehmensnachfolger kaum Steuern zahlen, wenn sie die geerbte Firma samt Arbeitsplätzen erhalten. Dagegen sei grundsätzlich nichts einzuwenden, entschieden die Verfassungsrichter, allerdings die Regelung präziser gefasst werden. Laut Böhme befindet sich ein großer Teil hoher Vermögen im Besitz von Selbstständigen mit mehr als zehn Mitarbeitern, der Durchschnitt liege bei einer Million Euro, bei Angestellte mit Führungsaufgaben dagegen bei rund 200000 Euro, bei Facharbeitern bei 45000 Euro. Familienunternehmen haben als Arbeitgeber und damit Rückgrat der deutschen Wirtschaft eine starke Lobby.
Nicht alle Vermögenden kleben an ihrem Besitz. Es gibt Aussteiger und Aktivisten. Die einen tasten ihr Erbe nicht an, andere haben sich in der Initiative „Vermögender für eine Vermögensabgabe“ zusammengefunden. In Bremen sammelt die Deutsche Kindergeld-Stiftung Geld für gute Zwecke ein: „Wir gehen davon aus, dass Familien mit hohem Einkommen nicht auf ihr gesamtes Kindergeld angewiesen sind und dass sie die soziale Unausgewogenheit der geltenden steuerlichen Regeln erkennen.“ Wieder andere treten als Mäzene für Kultur- oder Bildungsprojekte auf. Dass der Staat Reiche in absehbarer Zeit zwingt, sich umfangreicher an seiner Finanzierung zu beteiligen, bezweifelt Böhme. Es gibt abschreckende Beispiele: Die Reichensteuer in Frankreich entpuppte sich als Flop. Sie gebar Steuerflüchtlinge wie den Schauspieler Gérard Depardieu, sorgte für Aufruhr und zog vergleichsweise kümmerliche Einnahmen nach sich. Seit 2015 gilt sie nicht mehr.
Julia Friedrichs verweist in ihrem Epilog auf Japan, als besonders altes und reiches Land ein „Prototyp einer Erbengesellschaft“, in dem eine Laborsituation entstanden sei, wie es sie sonst nirgendwo gebe: Seit 25 Jahren wachse die japanische Wirtschaft nicht mehr, junge Japaner hätten Schwierigkeiten, genug zu verdienen, um eine Familie zu gründen. Dennoch müssten sie sich nicht sorgen: Der Wohlstand ihrer Eltern reiche für sie mit. „Sie sind nichts als Erben“, viele ruhten sich auf den Annehmlichkeiten des Elternhauses aus. Das kennt man – aus Entenhausen. Das Vermögen des Fantastilliardärs Dagobert Duck wird indes nie an seinen Neffen fallen, den Taugenichts Donald. Wegen grundsätzlicher Bedenken: „Leichtfertig ist die Jugend mit dem Wort und bar jeden Sinns für geschäftliche Dinge!“
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