
Immer wieder wird man im Ausland mit dem Unverständnis über das Selbstverständnis des deutschen Staates konfrontiert. Was die Deutschen denn für ein Problem mit ihrer Geschichte hätten, ist die gängigste Formel. Härtere Versionen gibt es auch. Die gehen so: „Was habt ihr bloß? Andere Staaten haben auch viele Menschen umgebracht.“ Oder so: „Hitler war ein guter Mann.“
Solche Sätze kann man mit unterschiedlichen Betonungen überall hören. In der Türkei und im arabischen Raum, aber auch in westeuropäischen Ländern. Touristen aus aller Welt, die am Berliner Holocaust-Mahnmal Selfies machen, zeigen, dass das Unverständnis international ist. Jedem Deutschen zwingen solche Sätze eine Haltung zu seinem Heimatland und dessen Geschichte ab. Egal, wie man antwortet, wie man reagiert, in diesem einen Moment steht man nicht nur als Individuum da, sondern auch als Stellvertreter für ein ganzes Land. Mit Spannung wartet der Gesprächspartner auf die Reaktion des Deutschen. Einen jungen Menschen, der keine übermäßig patriotischen Gefühle hegt, bringen solche Situationen in ein Dilemma: Plötzlich soll man für sein Heimatland sprechen. Ein seltsam beklemmendes Gefühl.
In der Schule war es einfach: NS-Zeit und der Holocaust wurden einem als mehr oder weniger in sich geschlossener Komplex präsentiert. Die Deutschen erschienen einem als „Tätervolk“. Das ging insgesamt etwa zwei Schulhalbjahre lang so. Davor und danach war Deutschland das Land der Dichter, Denker und Ingenieure. Wurden die Wendungen und Details der Geschichte des Kaiserreichs und der Weimarer Republik noch bis ins Kleinste analysiert und diskutiert, schien es ab der Machtergreifung Hitlers nur noch eine Richtung zu geben: die des industriellen Massenmordes. An den Fragen nach den Handlungsspielräumen, dem Denken der Mehrheit der Bevölkerung und den Kontinuitäten in der Nachkriegszeit, scheiterte der Geschichtsunterricht. Vielleicht musste er das.
Historisches Wissen allein reicht nicht aus
Es wäre eine sehr gute Übung, wenn Schüler in solche Begegnungen, wie eingangs beschrieben, gebracht werden könnten. Dann ginge es nämlich darum, dass jeder seinen eigenen Zugang zur deutschen Geschichte finden muss. Das historische Wissen müsste natürlich weiterhin vermittelt werden.
Aber vielleicht geht es auch um ein viel größeres Problem, als das der richtigen Vermittlung. Das wird angesichts des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar deutlich. Zu oft wirkt das Gedenken in Deutschland reflexhaft, symbolisch und wie ein Lippenbekenntnis. In der Vergangenheitsform fällt die Bewältigung naturgemäß leichter. Dass Ausgrenzung und Hass aber mitnichten der Vergangenheit angehören, zeigt nicht nur der Aufstieg der AfD. Vor ein paar Tagen hat deren Vertreter Björn Höcke eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert und das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet. Auch das Lebensgefühl deutscher Juden macht deutlich, dass der Anschein, den die offizielle Gedenkkultur erweckt – dass die NS-Verbrechen aufgearbeitet und verarbeitet sind – trügt.
Die Gegenwart als Teil der Vermittlung
Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat den 27. Januar zum Gedenktag gemacht. An diesem Tag im Jahr 1945 wurde Auschwitz befreit. Herzog fällte seine Entscheidung auf Anraten von Ignatz Bubis, dem langjährigen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland. Oberflächlich betrachtet war Bubis ein anerkanntes Mitglied der deutschen Gesellschaft. Doch eine Reihe von bitteren Erlebnissen, wie zum Beispiel eine Fahrt nach Rostock-Lichtenhagen 1992, wo Rechtsextreme vor applaudierenden Zuschauern eine Asylbewerberunterkunft in Brand gesteckt hatten, ließen in Bubis Zweifel aufkommen, ob er wirklich dazugehörte.
Ein örtlicher CDU-Politiker erklärte, dass Bubis Heimat Israel sei und stellte damit die Frage in den Raum, was ihn als Juden die Ereignisse in Rostock angingen. Andere fügten ihm ähnliche Wunden zu. Bubis sagte kurz vor seinem Tod, dass er „diese Ausgrenzerei – hier Deutsche, dort Juden – weghaben“ wollte. Allerdings habe er fast nichts bewirkt. Eine wirksame Beschäftigung mit den NS-Verbrechen kann also die Gegenwart nicht verschonen.
Wenn junge Leute in Zukunft ihre Schlüsse aus der NS-Zeit ziehen sollen, muss die Gegenwart ein Teil der Vermittlung sein. Gerade auch, weil in den Schulklassen immer mehr Migrantenkinder sitzen, die nunmal keine persönlichen Bezüge zur deutschen Geschichte haben.
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