
Die meisten unterrichten nebenbei. So steht es in der gerade vorgelegten Jazzstudie 2016, die der Kulturwissenschaftler Thomas Renz von der Uni Hildesheim durchgeführt hat. Er hat die Antworten von rund 2000 in Deutschland lebenden Jazzmusikern zu ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgewertet. 72 Prozent sind mit ihrer wirtschaftlichen Situation nicht zufrieden. Das erstaunt nicht, wenn man sich die Zahlen genauer anschaut.
Bei jedem zweiten Jazzer liegt das Gesamtjahreseinkommen unter 12 500 Euro, 16 Prozent kommen auf über 30 000 Euro. Bei 64 Prozent der Musiker beträgt die Gage pro Auftritt weniger als 150 Euro. In Berlin und Köln, wo die meisten Jazzmusiker in Deutschland leben und wo es die meisten der bundesweit rund 700 Jazz-Spielstätten gibt, bekommen 43 Prozent der Befragten pro Auftritt keine 50 Euro. Nicht selten sind sie froh, zu diesen Konditionen überhaupt spielen zu dürfen – gerade für junge Musiker hat ein Konzert vor Publikum höchste Priorität. Und auch für erfahrene Jazzer steht meist nicht das Geld im Vordergrund. 58 Prozent verzichten schon mal ganz auf eine Bezahlung.
Ein 40-jähriger Bassist auf die Frage, nach welchen Kriterien er sich für ein Angebot entscheidet: „Ob die Gage gut ist, ob die Musik spannend ist und wie die Menschen sind, mit denen man zusammen spielt.“ 84 Prozent veröffentlichen aus künstlerischen Gründen eigene Alben. Beispielsweise in Form von CDs, obwohl die Mehrheit damit kein Geld verdienen kann und oft noch draufzahlt. Für den musikalischen Erfolg werden im Jahr im Schnitt knapp 5000 Euro zum Beispiel für die Ausrüstung ausgegeben.
Der Unterricht von Schülern in staatlichen oder privaten Musikschulen stellt für eine Mehrheit die einzige verlässliche Einnahmequelle dar. Die Verdienstsituation für die Honorarkräfte – 98 Prozent aller Jazzmusiker sind selbstständig – wird allerdings immer schlechter. Pro Stunde verdienen sie in der Regel zwischen 20 und 30 Euro. 59 Prozent arbeiten insgesamt mehr als 40 Stunden in der Woche. 27 Prozent sind auf die Finanzierung durch den Partner oder die Eltern angewiesen. 60 Prozent haben keine Kinder – vor allem, weil sie sich aktuell keine Familiengründung leisten können beziehungsweise ihr Einkommen als nicht langfristig gesichert ansehen. Die Bereitschaft, sich gemeinsam für Verbesserungen einzusetzen, ist nicht sehr ausgeprägt: Nur fünf Prozent aller Befragten gehören einer Gewerkschaft an. Ein 50-jähriger Pianist bringt das so auf den Punkt: „Jazzmusiker sind einfach keine besonderen Netzwerker – ich nehme mich da gar nicht aus. Es ist einfach ein Konkurrenzkampf. Jeder hat so seine Zirkel mit Musikern, mit denen er immer wieder zusammenspielt. Aber die Zirkel arbeiten auch gegeneinander.“
Immerhin bestehen bei den Gagen zwischen den Geschlechtern – es antworteten 80 Prozent Männer und 20 Prozent Frauen – keine Unterschiede: Sie verdienen beide gleich schlecht. Nach Zahlen der Künstlersozialkasse, in der ausschließlich hauptberuflich tätige Künstler versichert sind, gibt es in Deutschland 4662 Jazzmusiker. Nach dem Willen der Auftraggeber der Studie – das Jazzinstitut Darmstadt, die Union Deutscher Jazzmusiker und die IG Jazz Berlin – sollen die Zahlen die Grundlage für Verbesserungsvorschläge bilden. Einige Forderungen haben die drei Jazz-Interessensverbände bereits formuliert. Dazu gehört eine bessere Ausbildung an den Hochschulen beim Thema Selbstvermarktung – 18 Musikhochschulen in Deutschland unterrichten Jazz in eigenen Studiengängen. Ein Mindesteinkommen soll die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse für Honorarkräfte an Musikschulen senken.
Spielstätten für professionelle Jazzer sollen stärker finanziell gefördert werden. Dafür sollten sie sich dann verpflichten, angemessene Gagen zu bezahlen. Und die Altersvorsorge soll verbessert werden, damit den Musikern künftig nicht eine besonders drastische Form von Altersarmut droht. In der Studie gaben 28 Prozent an, dass sie im Alter weder eine Rente erwarten noch irgendwie anders finanziell abgesichert sind und 65 Prozent beurteilen ihre Altersvorsorge als schlecht. Letztlich entscheidet über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Jazzmusiker auch das Interesse und die Zahlungsbereitschaft des Publikums. Und das wird tendenziell immer älter und nicht unbedingt zahlreicher.
Auf der Jazzahead wird am Sonnabend ab 12.30 Uhr über die Ergebnisse der Studie und die Maßnahmen diskutiert, die sich aus ihr ergeben. Bereits am Freitag ab 11.30 Uhr wird hier erstmals die Studie „Wirtschaftsfaktor Jazz in NRW“ vorgestellt, in der es auch um die Situation der Konzertveranstalter und Clubbetreiber in Nordrhein-Westfalen geht. Beide Veranstaltungen finden in Halle 6, Conference Room 1 statt.
Um eine anregende, sachliche und für alle Parteien angenehme Diskussion auf www.weser-kurier.de sowie auf Facebook zu ermöglichen, haben wir folgende Richtlinien entwickelt, um deren Einhaltung wir Sie bitten möchten.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.