
Im Gespräch mit Karl Doemens erläutert Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), weshalb die Beschlüsse des Flüchtlingsgipfels vom Dienstagabend nicht ausreichen.
Frau Kraft, vor zehn Tagen haben Sie in Berlin Alarm geschlagen und sich über die mangelnde Solidarität des Bundes und der anderen Länder bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms beklagt. Hat der Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt entscheidende Fortschritte gebracht?
Hannelore Kraft: Ich bin noch nicht zufrieden. Das ist erst einmal ein Zwischenschritt. Nicht mehr und nicht weniger. Wir werden ja am 24. September abschließende Verhandlungen führen. Erst danach kann ich beurteilen, ob wir wirklich ein Stück weiter gekommen sind oder nicht.
Unter anderem wurden neue Verteilzentren und 40 000 Erstaufnahmeplätze verabredet, ohne konkrete Orte zu benennen. Ist das nicht reichlich vage?
Deswegen sage ich: Das sind erst einmal Ideen, die jetzt konkretisiert werden. Auch die 40 000 Erstaufnahmeplätze muss man natürlich relativieren. Nur zur Einordnung: Wir haben alleine in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr bislang 144 000 Flüchtlinge aufgenommen. In der vergangenen Woche sind die Zahlen stetig weiter gestiegen. Wir erwarten in dieser Woche erneut um die 15 000 neue Flüchtlinge. Auch in der vergangenen Nacht sind wieder Züge angekommen.
Über Geld ist am Dienstagabend offiziell nicht gesprochen worden. Bislang hat der Bund den Ländern und Kommunen eine Milliarde Euro für dieses und drei Milliarden Euro für nächstes Jahr geboten. Angesichts der steigenden Zahlen dürfte das wohl kaum reichen?
Ich bin mir sicher, dass der Bund weiß, dass das nicht das letzte Wort sein kann.
Der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling hat schon erklärt, die Summe müsse mindestens verdoppelt werden …
Die Verhandlungen führen wir am 24. September. Klar ist aber, dass ein Ausgabenposten auf jeden Fall noch obendrauf kommt – die Kosten für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Wir haben schon jetzt konkret vereinbart, dass das Gesetzgebungsverfahren vorgezogen wird und das Gesetz schon zum 1. November in Kraft tritt. Das ist insbesondere für die Städte, die in Nordrhein-Westfalen besonders belastet sind, sehr wichtig.
Das größte Problem aus Sicht der Länder ist die monatelange Dauer der Verfahren. Daran scheint sich bislang nichts zu ändern. Haben Sie den Eindruck, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Sache im Griff hat?
Wir haben jedenfalls bei dem Treffen mit der Kanzlerin alle festgestellt, dass es bei Weitem noch nicht schnell genug geht. Die Verfahren sind nach wie vor der Flaschenhals. Die Beschleunigung würde zumindest ein wenig Druck von den Kommunen nehmen. Deswegen ist das die wichtigste Forderung der Länder. Der Bundesinnenminister hat für die kommende Woche einen Bericht zugesagt, was an Beschleunigung schnell möglich und zu erwarten ist. Dann werden wir sehen, ob das ausreicht oder nicht.
Trotz der am Wochenende eingeführten Grenzkontrollen kommen weiter zahlreiche Flüchtlinge. Gleichzeitig können sich die Innenminister der EU-Staaten nicht auf eine gerechte Verteilung einigen. Dreht die Politik gerade im hohen Tempo im Leerlauf?
Wir waren uns alle einig, dass es eine faire Lastenverteilung in Europa geben muss.
So ist es aber offensichtlich nicht. Wie kann Deutschland Druck auf die EU-Länder ausüben, die keine oder nur sehr wenige Flüchtlinge aufnehmen?
Wir müssen sehr deutlich mit unseren EU-Partnern darüber reden, dass die Europäische Union eine Solidargemeinschaft ist und was das bedeutet. Frau Merkel hat ja angekündigt, dass sie einen Gipfel einberuft. Ich bin sehr gespannt, welche Ergebnisse das Treffen bringt.
Ihr niedersächsischer Kollege Stephan Weil hat einen Plan B gefordert, falls Deutschland mit Österreich und Schweden weiter das Flüchtlingsproblem alleine schultern muss. Wie könnte diese Plan aussehen?
Ich bin noch nicht bei Plan B. Im Moment sind wir voll und ganz mit Plan A beschäftigt, jedem ein Dach über dem Kopf und genug zu essen zu verschaffen. Das ist fordernd genug.
Und glauben Sie: Wir schaffen es?
Das kommt auf die Rahmenbedingungen an. Wenn wir die Verfahren signifikant beschleunigen, haben wir jedenfalls erheblich höhere Erfolgsaussichten.
Zur Person: Hannelore Kraft, geboren am 12. Juni 1961 in Mülheim, studierte nach einer Ausbildung zur Bankkauffrau Wirtschaftwissenschaften an der Universität/Gesamthochschule Duisburg. Seit November 2009 ist Kraft stellvertretende Vorsitzende der Bundes-SPD und seit Juli 2010 Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen.
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