
Seit dem Einstieg eines Investors zu Jahresbeginn ist Hertha BSC so flüssig wie lange nicht mehr. Sportlich macht sich das noch nicht bemerkbar, sagt Trainer Jos Luhukay. Aber: Die Berliner sind flexibler geworden und scheinen besonders auf den Flügeln stärker aufgestellt zu sein.
Es gibt ein Wort, das eigentlich nie gepasst hat zur Hauptstadt Berlin und schon gar nicht zum Hauptstadtklub Hertha BSC. Trotzdem kommt es zurzeit sehr häufig zum Einsatz. Das Wort heißt: realistisch. Wenn Trainer Jos („Wir sind realistisch“) Luhukay und Manager („Wir müssen realistisch bleiben“) Preetz über die neue Bundesligasaison sprechen, dann ist es eben dieser neue Realitätssinn, der all ihre Gedanken prägt.
Das war früher noch anders, der Name Dieter („Bestellt mir einen Hubschrauber!“) Hoeneß stand lange für Übermut und eine fatal falsche Selbsteinschätzung. Als Luhukay vor zwei Jahren nach Berlin kam, sagte er: „Ich hatte das Gefühl, dass alle sich ein bisschen größer fühlen als sie tatsächlich sind.“ Doch wenn man so will, dann ist Hertha seitdem Stück für Stück auf ihre wahre Größe zusammengeschrumpft. Man will sich in der 1. Bundesliga etablieren, ein anderes Saisonziel gibt es offiziell nicht.
Gleichzeitig ist der Verein gewachsen. Seit dem Einstieg des Investors KKR (61,2 Millionen Euro) vor einem halben Jahr ist Hertha komplett entschuldet (37 Millionen Euro). Man zahlt keine Zinsen mehr, man muss jetzt Rendite erwirtschaften. Der Lizenzspieleretat für die neue Saison liegt über 30 Millionen Euro. Aber noch ist nicht abzusehen, wie sich das Engagement der Amerikaner langfristig auswirken wird. Luhukay sagt jedenfalls: „Ohne Finanzkraft kommst du nicht nach oben.“ Und: „Noch macht sich der Einstieg sportlich nicht bemerkbar.“
Das stimmt einerseits, weil Hertha sich die Spielräume für Spielerkäufe durch Spielerverkäufe selbst geschaffen hat. Adrián Ramos und Pierre-Michel Lasogga sind gegangen, sieben neue Spieler sind gekommen, und es ist immer noch genug Geld übrig, um den einen Stürmer zu verpflichten, der Hertha fehlt. Andererseits haben die neuen Spieler offen betont, dass ihre Entscheidung pro Hertha auch mit den zukünftigen Perspektiven zu tun hatte.
Die auffälligsten Neuen finden sich dort, wo Hertha in der vergangenen Saison eine große Schwäche hatte: auf den Flügeln. Da ist Roy Beerens, 26, der vom AZ Alkmaar kam und auf der rechten Seite spielt. Der Niederländer ist dribbelstark und schnell. Auf links, da spielt Genki Haraguchi, 23, von den Urawa Red Diamonds, der das verkörpert, was Luhukay so schätzt an einem Spieler: Der Japaner ist flexibel einsetzbar, er ist immer in Bewegung.
Die Erfahrungen aus der Vorsaison, als Hertha nach einer überraschend guten Vorrunde (Platz sechs) abstürzte (Platz elf), haben die Berliner bei ihrer Shoppingtour begleitet. Wenn sich nun wie vor zwei Tagen Alexander Baumjohann am Knie verletzt, dann wiegt dieser Ausfall nicht so schwer. Luhukay hat Alternativen, vor allem diesen Brasilianer, über den er sagt: „Er hat am längsten gebraucht, um die Umstellung von 2. auf 1. Liga zu schaffen.“ Gemeint ist Ronny, der wiederum glaubt: „Ich will mehr Spiele machen in dieser Saison.“ Auch das klingt irgendwie realistisch.
Werder hat endlich sein nerviges Pokaltrauma verjagt, aber der Sieg gegen Illertissen wirkte wenig befreiend. Wo genau das Team nach einer guten Vorbereitung und vor dem Bundesliga-Start heute bei Hertha BSC steht, weiß niemand so genau – auch die Sportliche Leitung nicht.
Zum Schluss gab es noch ein Küsschen von der Freundin für Franco di Santo. Dann wurden die Fensterscheiben wieder hochgekurbelt, und die bestellten Taxen fuhren Werders Spieler in Richtung Hauptbahnhof, von wo aus das Team gestern Nachmittag nach Berlin aufbrach. Ob der bis vor Kurzem noch verletzte Argentinier heute gegen Hertha womöglich auch in der Startelf stehen wird, blieb eines der vielen großen Fragenzeichen, die derzeit über Werder Bremen hängen. Nichts ist klar bei Werder zu Beginn dieser Saison. Der Klub würde gern mal wieder nach oben schauen, muss aber fürchten, doch erst nach unten blicken zu müssen.
„Wo wir letztlich im Vergleich zur Konkurrenz stehen, da müssen wir uns alle überraschen lassen. Keiner weiß so richtig, wo er steht“, sagt Werders Trainer Robin Dutt. Hertha scheint da ein passender Auftaktgegner für dieses ungewisse Werder – weil Hertha auch nicht richtig gut ist und nicht richtig schlecht. Insofern könnte die Partie heute ein brauchbarer Hinweis in der Frage sein, ob für die Bremer was geht in dieser Saison.
„Ich glaube schon, dass die Mannschaft bereit ist, einen weiteren Step zu gehen“, sagt Geschäftsführer Thomas Eichin. Er und Robin Dutt haben in Izet Hajrovic, Alejandro Gálvez und Fin Bartels Zugänge geholt, die Potenzial mitbringen. Aber Werder hat kaum einen Spieler von überregionaler Strahlkraft, keinen, der die Konkurrenz zusammenzucken lässt. Sie werden also vor allem als Team besser sein müssen als die Summe ihrer Einzelteile, um ihr Ziel, einen einstelligen Tabellenplatz, zu erreichen. „Wir sind eine entwicklungsfähige Mannschaft, aber ich tue mich schwer, ein Saisonziel auszugeben.“, sagt deshalb auch Clemens Fritz.
In Mehmet Ekici und Joseph Akpala ist der Klub zwei Spieler losgeworden, die Werder nur noch als Last empfand – weil sie viel verdienten und wenig brachten. Aber offen ist, wie viele Spieler noch gehen werden, um die Geldnot des Vereins zu lindern. Eichin hat viel von dem Kaderchaos weggeräumt, das ihm sein Vorgänger Klaus Allofs hinterlassen hat. Aber was danach wachsen soll, ist noch längst nicht fertig.
Im Trainingslager im Zillertal haben etliche Spieler betont, wie sehr das Team sich unter Dutt nach und nach gesteigert hat und wie sehr sie mittlerweile davon profitieren, dass sie genau verstehen, was er von ihnen will. Da mag was dran sein, aber wahr ist auch, dass die Bremer darauf hoffen müssen, aus sich selbst heraus zu wachsen.
Werder hat eine wenig aufregende Mannschaft, verglichen mit großen Teilen der Konkurrenz. Aber es hat ein Publikum, das über viele Jahre nervenkitzelnde Abende im Weserstadion als gesetzlich garantierte Normalität empfunden hat. Es wird spannend sein zu beobachten, wie die Zuschauer, die bisher so geduldig auf Werders Graumäusigkeit reagiert haben, damit zurechtkommen, wenn ein weiteres trübseliges Jahr auf sie warten sollte.
Hertha BSC – Werder Bremen
Fritz
Plattenhardt
Haraguchi
Bartels
Hajrovic
Lukimya
Hegeler
Langkamp
Wolf
Ronny
Kraft
Gálvez
Junuzovic
Schieber
Hosogai
Caldirola
Elia
Heitinga
Makiadi
Roy Beerens
Garcia
Pekarik
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