
Nach der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) haben viele nun die Traditionelle Tibetische Medizin (TTM) für sich entdeckt. „Die TTM ist rund 3000 Jahre alt und hat gemeinsame Ansätze mit der TCM sowie dem indischen Ayurveda“, sagt Anna Grütte, Vorsitzende der Akademie für Traditionelle Tibetische Medizin in Heidelberg.
„Die TTM ist kein spirituelles, sondern ein medizinisches System, das man in Tibet an Universitäten studiert“, erläutert sie. Es hat einen ganzheitlichen Ansatz: das heißt, es wird nicht nur ein Symptom wie Husten behandelt, sondern der Mensch als Ganzes gesehen. Grundlage ist die Konstitutionslehre mit den drei Körperenergien Wind, Galle und Schleim.
Allgemeinmediziner Frank Ludwig wendet TTM in seiner Praxis in Berlin an und erklärt: Der Schleimtyp neige zu Übergewicht, sei eher ein ruhiger und langsamer Geselle. Der Windtyp ist schlank, sehr aufmerksam, nervös und unruhig, außerdem kreativ. Sehr zielorientiert, angespannt und athletisch zeigt sich der Galletyp.
Die TTM ist der Auffassung, dass jeder Mensch von Geburt an die drei Energien in sich hat, dass sie in einem individuellen Verhältnis stehen – aber eine Energie meist stärker ausgeprägt ist. Der Mensch hat also konstitutionelle Stärken und Schwächen. Kommt diese individuelle Zusammenstellung aus dem Lot, entstehen Krankheiten.
Ursache für ein Ungleichgewicht soll ein Mangel oder ein Übermaß einer Energie sein. „Eine Störung kann zum Beispiel auftreten durch einen falschen Lebenswandel wie Stress oder eine Ernährung, die nicht dem eigenen Typ entspricht“, sagt Grütte. Den findet der TTM-Kundige beim Gespräch mit dem Patienten heraus, den er zum Beispiel nach Gewohnheiten, Lebensumständen und Ernährung befragt. Auch sein Auftreten lässt Rückschlüsse zu.
Ludwig gibt ein Beispiel: Eine Patientin klagt, dass sie nicht gut schlafen kann, sich kraftlos fühlt und unter Angstzuständen leidet. Sie ist gertenschlank und wirkt sehr angespannt. Sie treibt fünfmal die Woche Sport, meidet Zucker, ist beruflich erfolgreich und ehrgeizig. Ein Windtyp.
Nun kommt die Pulsdiagnose ins Spiel: Der Mediziner legt drei Finger an bestimmte Stellen des linken und des rechten Armes und tastet den Puls. Dabei geht er mit den Fingern mal tiefer, mal zarter in die Haut. „Es braucht Jahre, um den Puls differenzieren zu können und sehr viel Erfahrung, um ihn lesen zu können“, erklärt er. Die Pulsqualität soll Aufschluss über den Zustand aller Organe und über Störungen der Energien geben. Anamnese sowie Pulsdiagnose sollen dem Mediziner eine exakte Diagnose ermöglichen.
Die kraftlose und von Schlafstörungen geplagte Patientin verstärkt mit einer rigorosen Lebensweise ihren Windtyp, so dass der Wind zu stark wird. Die Folge: Sie übernimmt sich und verliert auf Dauer ihre Kraft. „Man ermutigt sie also, nicht so streng zu leben“, erklärt Ludwig. Das gilt auch für ihre Ernährung. Ab und zu mal ein Stück Fleisch oder etwas Schokolade statt Zuckerverzichts wären ratsam.
Auch äußerliche Anwendungen kennt die TTM, etwa spezielle Formen des Schröpfens oder Massagen. Darüber hinaus werden Kräutermischungen zu Pillen gedreht, empfohlen. Hierzulande sind sie über das Internet erhältlich - doch sie sollten nie ohne Absprache mit einem TTM-Kundigen eingenommen werden. Denn auch vermeintlich harmlose Kräuter haben eine pharmakologische Wirkung.
„Es wird argumentiert, dass solche Verfahren schon seit Jahrhunderten funktionieren“, sagt Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums in Freiburg, das sich an den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin orientiert. Antes bezweifelt, dass die Verfahren tatsächlich etwas bewirken. „Es gibt nicht einen wissenschaftlichen Beweis dafür, nur Behauptungen.“ Das räumt auch Allgemeinmediziner Ludwig ein. Das Etikett richtig oder falsch will er aber nicht geben. Letztlich sei es an jedem Menschen selbst, sich der TTM zu öffnen – oder eben nicht.
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