Daher auch fast alle Bürger Kaufleute und sonderlich viele Schiffbauer sind. Sie sind von Natur streitbar, klug und etwas zu Aufruhr geneigt…“. So charakterisieren Braun und Hogenberg in ihrem Städteatlas von 1580 die Hansestadt.
Wie jemand eine Stadt beurteilt, hängt ab von den in ihr und mit ihr gemachten Erfahrungen. Adam Storck, der 1832 ein umfangreiches Buch über Bremen verfasste, war nur Gast und im Wesentlichen auf Hörensagen angewiesen. Gleichwohl schildert er den Charakter der Bremer zu seiner Zeit recht zutreffend: „Daß Bremen imstand ist, wohlthätig zu seyn, hat es dem richtigen Maas im Leben zu verdanken. Es geht hier ein Wort, daß derjenige keinen Credit verdient, der ohne einhunderttausend Thaler zu besitzen, dennoch Equipage hält. Auffallender Luxus ist daher höchst selten.“
Um 1850 erscheint in Hamburg eine abfällige Schilderung der hanseatischen Schwesterstadt: „Bremen gewährt abends den Anblick einer schlummernden Stadt. In den Straßen herrscht totale Finsternis. Nur hier und da ein Dienstmädchen, das mit einer Laterne Herrschaften den Weg weist.“
Eduard Beuermann geht nicht so sanft zu Werke. In seiner Philippika von 1836 über die Hansestadt geht er drastisch in die Vollen: „Bremen ist eine ernste gescheuerte Stadt mit Lindenbäumen vor den Häusern, sonst ziemlich nackt und kahl gelegen in einer Sandwüste unter Rüben und Braunkohl.“ Beuermann, in Bremen geboren, hatte geschäftlich wenig Fortune. Das wäre zu verkraften gewesen. Aber dass er auch noch eine hübsche und talentierte Schauspielerin ehelichte, machte ihn in der damaligen bremischen Gesellschaft zum Außenseiter. In Frankfurt verfasste er seine „Skizzen aus den Hansestädten“, in denen er den Bremer Frauen ein bissiges Zeugnis ausstellte: „Die Bremerinnen gehen auf großen bürgerlichen Füßen, sie haben einen ebenso festen Piedestal wie eine scharfe Zunge. Wo sie mit Fuß und Zunge hintreten, da wächst kein Gras mehr. Schön sind sie selten, sanguinisch nie. Sie sind eher plump als graziös und haben meistenteils grobe, niederländische Züge.“
Im anmutigen Widerspruch dazu stehen die mädchenhaften Zeilen Paula Beckers an ihren Verlobten Otto Modersohn aus ihrem bremischen Elternhaus: „Mir geht es jetzt noch gut und ich kann die Stadt noch ertragen. Heute Morgen wurde ich von Herma geweckt, zog mir Papas dicken Pelz über. Wir stiegen zusammen aufs flache Dach, fütterten die Tauben und hörten die großen Domglocken. Die möchte ich auch einmal läuten!“
Der bereits zitierte Eduard Beuermann lässt auch die Bremer Männer nicht ungeschoren. Zwar meint er, sie hätten „einesteils festere Nerven, die sie vor sentimentaler Sittigkeit bewahren. Was von Stand ist, hat seine Landhäuser, in welchen er abgeschieden, bremisch hochmütig lebt und Dinners gibt.“ Dagegen wäre nun nichts einzuwenden – es zeichnet sogar die Wirklichkeit ab. Doch damit nicht genug: „Sonntags nach vollbrachter Arbeit schleppen sie sich müde und entkräftet nach Horn und Oberneuland, trinken Kaffee und Tee und rauchen Havannacigarren… der Sonntag ist ihnen ein schwerer Seufzer nach vollbrachter Arbeit, die Genesis hat ihnen den Ruhetag bestimmt und sie arbeiten an diesem Tag höchstens bis zwölf Uhr mittags.“
Thomas Lediard, ein englischer Reisender, weiß von einer anderen Sonntagsheiligung zu berichten. 1725 schildert er seiner Schwester: „Nach durchreister Nacht kam ich am Sonntagmittag gegen 2 Uhr in Bremen an, wo ich noch ein paar Stunden ärgerlich warten mußte, weil man während des Gottesdienstes niemanden einläßt. Nachher sah ich auf den Straßen die Männer in langen schwarzen Gewändern und die Frauen in dunklen Schleiern und Röcken einher gehen, wie ich erst meinte infolge einer Epidemie, bis man mich aufklärte, daß es hier so üblich sei. Der Wirt im Schütting hielt sein Local wegen der Sonntagsruhe geschlossen. Ich fragte ihn, ob in der Nähe ein Café wäre, wo ich unter Leuten sei, Zeitung lesen und etwas zu mir nehmen könne. Er sagte mir, dass er selbst solch ein Café unterhalte, aber Gott soll mich bewahren, daß ich den Sonntag entheilige und feiertags öffne‘. Er bot mir indes an, mir jedes gewünschte Getränk auf mein Zimmer zu schaffen und mir selbst dabei Gesellschaft zu leisten. Mit einer Schnelligkeit, die nicht zu erwarten war, hatte er den Tisch mit Pfeifen, Tabak, Spucknapf und Gläsern bedeckt. Ich fand das Bier gut, aber zu schwer um viel davon zu trinken. Nachdem der Wirt ohne mein Zutun die große Flasche fast allein geleert hatte, war er trotz aller Ansprüche auf Heiligkeit so herzlich bezecht, wie nur je ein Musikus auf einer Bauernhochzeit.“
In einem anderen Brief berichtet der englische Reisende von der Einladung durch einen angesehenen Kaufmann: „Nach dem reichlichen Abendessen nahm ich mir die Freiheit, Musikanten und englische Tänze in Vorschlag zu bringen. Aber meine Tischdame, eine Französin, flüsterte mir zu: Der Ton von Violinen und von Mordsgeschrei sei denen geheiligten Sündern dieser Stadt gleich schröcklich, daß ein Tanzmeister für ein ebenso gefährliches Tier gehalten würde als ein Stadtbulle, daß weder Musik noch Tanzen erlaubt sei.“
Nach dem Siebenjährigen Krieg nahmen mehrere Engländer und Schotten in Bremen Quartier. Der Lehrling eines Handschuhmachers sah auf dem Domshof mehrere Schotten mit ihren bekannten Röcken. Als ein Windstoß durch ihre Kleidung fuhr, so schrieb der Lehrling seinem Freund, „kriegte man wohl Pontius und Pilatus zu sehen.“ Man wundert sich, dass kein Reisender von den sittlich gewagten Steinreliefs am Rathaus Anstoß nahm. Vorbild waren die weniger leibfeindlichen Reliefs griechischer Bauten.
Für die Ausgabe DIE WOCHE - MEIN VEREIN schreibt Ulf Fiedler regelmäßig Texte über Wissenswertes aus der Historie der Region. Lob, Anregungen und Kritik senden Sie bitte an ulffiedler@yahoo.de.
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