
Hinter der dicken Stahltür ist immer Winter. Hier, im Wegener-Haus des Alfred-Wegener-Instituts (Awi) in Bremerhaven, liegt das Eislabor. Minus 20 Grad, ein Gebläse brummt, an den Wänden sorgen schimmernde Metallplatten dafür, dass die Wärme draußen bleibt. Deckenlampen werfen weißes Licht auf hölzerne Arbeitsflächen, auf denen Hammer, Sägen und Fräsen liegen. Daneben: übereinandergestapelte Styroporkästen, randvoll mit oberarmdicken Stangen aus Eis. Sie stammen aus der Antarktis und Grönland, Wissenschaftler des Instituts haben sie mit Spezialbohrern aus bis zu 3000 Metern Tiefe gezogen und per Schiff in das Bremerhavener Labor gebracht.
Das Eis in einigen dieser Bohrkerne ist 800.000 Jahre alt. Es war also schon da, als der Homo erectus noch auf der Erde wandelte, die erste Menschenart, die aufwärts gehen konnte und das Feuer beherrschte. Weltweit gibt
es nur drei Labore dieser Art, in den USA, in Japan und hier, an der deutschen Nordseeküste.
Für Hannes und Margret Grobe ist dieser ungewöhnliche Arbeitsplatz nicht aufregender als ein stinknormales Büro. „Rein in die gute Stube!“ Mit diesen Worten hat Margret Grobe – rote Steppjacke, grauer Haarknoten – kurz zuvor die schwere Stahltür aufgedrückt. Sie geht voran, ihr Mann Hannes folgt mit den Händen in den Taschen seiner Hose.
Er zeigt auf die Bohrkerne. Sie, sagt der 65-Jährige, erlaubten es den Forschern, auf Zeitreise zu gehen. Denn das Eis aus der Vergangenheit kann viel über das Klima verraten, das vor langer Zeit auf der Erde herrschte. Winzige Luftblasen im Eis, uralt und mit bloßem Auge nicht zu erkennen, lassen Rückschlüsse darauf zu, wie sich die Temperaturen und der CO₂-Gehalt in den Polarregionen verändert haben. Und das wiederum, sagt Hannes Grobe, sei unwahrscheinlich wichtig: „Das Klima der Vergangenheit ist der Schlüssel dazu, das Klima der Zukunft zu verstehen.“
Die Grobes kennen das Alfred-Wegener-Institut so gut wie kaum jemand sonst. Deshalb sind sie es, die eine kleine Führung durch die Institutsgebäude geben. Beide sind Mitarbeiter der ersten Stunde. Hannes Grobe fing 1982 als Geologe an, seine heutige Frau wenig später als Krankenschwester für Expeditionsfahrten. Zehn Reisen hat sie begleitet, die erste 1983. Damals hatte sie noch einen anderen Nachnamen. Hannes Grobe, den jungen Mann mit den verwuschelten Haaren, lernte sie erst später kennen. Aber bevor die Grobes ihre Rosamunde-Pilcher-Liebesgeschichte erzählen, wie es Hannes Grobe halb ironisch, halb ernst gemeint ausdrückt, wollen sie die Tour in Richtung Dach fortsetzen.
Über eine Treppe geht es nach oben, dann durch die Flure des Wegener-Hauses. 1980 wurde das Institut von dem Meeresbiologen Gotthilf Hempel gegründet, Namensgeber ist der Meteorologe und Pionier der Polarforschung Alfred Wegener.
Dass die Forschungseinrichtung nach Bremerhaven kam, ist einem glücklichen Umstand zu verdanken. In den 1970er-Jahren beschloss die Bundesregierung, dem sogenannten Antarktisvertrag beizutreten. Dieser schrieb fest, dass die Landmasse und das Eis südlich des 60. Breitengrades nur zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden darf. Voraussetzung dafür war unter anderem der Aufbau eines Instituts. Auch Kiel war als Standort im Gespräch, Bundeskanzler Helmut Schmidt entschied sich aber für Bremerhaven.
Auf dem Dach des Hauses, „der Keimzelle des Awi“, wie die Grobes sagen, überblicken sie den Hafen und die Wesermündung. Hannes Grobe steht ohne Jacke im eisigen Wind und deutet auf zwei schmucklose Waschbetonklötze, die über dem Alten Hafen in den Himmel ragen: das Columbus Center. Bis 1986 das Wegener-Haus bezugsfertig war, hatte das Institut dort seine ersten Büros. Auch Hannes Grobes Schreibtisch stand dort. „Damals“, sagt er, „passten noch alle Kollegen in eine Kneipe.“
Heute ist das Alfred-Wegener-Institut die größte deutsche Einrichtung für Polar- und Meeresforschung. An vier Standorten sind insgesamt 1250 Mitarbeiter beschäftigt: in der Zentrale in Bremerhaven, der Forschungsstelle Potsdam, der Biologischen Anstalt Helgoland und der Wattenmeerstation Sylt. Um auch in entlegenen Gebieten tätig sein zu können, gibt es fünf Forschungsstationen in der Arktis und Antarktis, die zum Teil gemeinsam mit anderen Instituten genutzt werden. Als eines von 19 Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Forschungsorganisation Deutschlands, wird das Institut heute unter der Leitung von Antje Boetius zu 90 Prozent vom Bund finanziert, den Rest tragen die beteiligten Länder. 2017 hatte das Institut ein Budget von fast 150 Millionen Euro.
Vom Dach geht es wieder nach unten, in den Bauch des Wegener-Hauses, das der Architekt Oswald Mathias Ungers entworfen und der Form eines Eisbrechers nachempfunden hat. Wie ein Bug ragt die Fassade weit in das Straßenpflaster, weiße quadratische Fenster sind in die roten Klinker eingelassen, Kamine ragen wie Schlote empor, ein Geländer erinnert an eine Reling. Doch das Gebäude reicht längst nicht mehr aus, um alle Wissenschaftler, Labore und Gerätschaften unterzubringen. Etwa 500 Meter Luftlinie entfernt vom Wegener-Haus hat die Polar- und Meeresforschungseinrichtung 2004 einen neuen Campus gebaut, der aus sechs Komplexen besteht.
In einem Raum in der Nähe des Eislabors zieht Hannes Grobe eine Schublade auf. Zum Vorschein kommen ein Dutzend Röhren aus Metall. Was sich in ihrem Inneren verbirgt, sieht aus wie graue Betonzylinder. Für den Polarforscher sind sie ein Wunder. Vor mehr als 25 Jahren hat Grobe Gesteinsproben wie diese aus den Tiefen des Südatlantiks gestanzt. Aufgeschnitten zeigen sie, wie sich die Wassertemperaturen des Polarmeeres vor Tausenden Jahren verändert haben.
Über 36 Jahre hinweg war Hannes Grobe mit der „Polarstern“, dem Eisbrecher des Instituts, auf Expeditionen in der Arktis und der Antarktis. „Die Polargebiete und Meere sind zentral für das gesamte Klimasystem“, sagt er. Um zu verstehen, warum das so ist, arbeiten Bio-, Geo- und Klimawissenschaftler an dem Institut eng zusammen.
Apropos eng. Das ist es auch auf der „Polarstern“, wenn mehrere Dutzend Wissenschaftler wochenlang auf Forschungsreise gehen. So wie einst die Grobes. Lange nahmen sie immer an verschiedenen Expeditionen teil. Bis sie 1986 zur selben Zeit auf der „Polarstern“ landeten. „Wenn man so lange unterwegs ist, dann lernt man sich eben kennen“, sagt Margret Grobe. Sie seien da nicht die Einzigen. „Das Schiff hat schon viele Menschen zusammen gebracht.“
Seit ihr erstes Kind auf der Welt ist, fährt Margret Grobe nicht mehr auf Expeditionen. Auch Hannes Grobe wurde kürzlich auf der „Polarstern“ verabschiedet. Gezwickt habe das schon, sagt er. „Aber ist auch mal gut“, sagt seine Frau. „Der soll jetzt mal Platz machen für junge Leute.“
Für die Grobes ist das Kapitel an dem Institut bald beendet. Die Geschichte des Awi hingegen, da sind sie sich sicher, hat gerade erst begonnen. Im Herbst wollen die Forscher gemeinsam mit einem internationalen Team an Bord der „Polarstern“ zur bislang größten Arktisexpedition der Geschichte aufbrechen. Ein Jahr lang werden sie, festgefroren auf einer Scholle, durch die Arktis driften.
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