
Feuerwerkskörper auf Gäste-Fans in Rostock, Spielabbruch durch Anhänger von Hannover 96 bei einem Testspiel im englischen Burnley – und die Saison beginnt gerade erst. Zum Bundesligastart wird der Ton schärfer, in Kurvengesängen, Fanforen, Internetvideos. Der Deutsche Fußball-Bund wird von den Ultras, den leidenschaftlichen, lautstarken Fans, für die Kommerzialisierung verantwortlich gemacht, für häufig wechselnde Anstoßzeiten, astronomische Spielergehälter oder Relegationsspiele. Ihre Pyrotechnik wird zum Protestmittel. Und eine Zeile zum geflügelten Wort: „Krieg dem DFB.“
Nun, da eine Eskalation nicht mehr unwahrscheinlich ist, wirbt DFB-Präsident Reinhard Grindel für einen Dialog und spricht sich gegen Kollektivstrafen aus, etwa gegen Blocksperren. Kritische Bündnisse wie Pro Fans zeigen sich wieder gesprächsbereit. Und jenseits des Aktionismus? Die eigenen Strukturen hinterfragt Grindel nicht: In der Verbandshierarchie hat die kleine Abteilung für Fan-Angelegenheiten kaum Einfluss, stattdessen beanspruchen Juristen und frühere Polizisten die Deutungshoheit. Die DFL ist fortschrittlicher aufgestellt, mit einer wachsenden Abteilung und vielen Projekten, die positive Ultra-Kräfte stärken sollen.
In der vergangenen Saison hat das DFB-Sportgericht in den oberen drei Ligen fast zwei Millionen Euro an Strafen ausgesprochen. Noch immer fehlt das Bewusstsein, dass diese Summe mit früherer Prävention geringer hätte ausfallen können. Selbst reiche Klubs wollen wenig Geld für eine wissenschaftliche Beratung ausgeben. Erfolgreiche Bildungsprojekte wie „Lernort Stadion“ wären ohne die Anschubfinanzierung der Robert-Bosch-Stiftung gar nicht erst entstanden.
Ein wesentlicher Streitpunkt, für den das Gros der Strafen ausgesprochen wird, ist das Abbrennen von Pyrotechnik im Stadion. Dabei gab es auch darüber noch vor sechs, sieben Jahren einen ordentlichen Austausch zwischen Fans und Verbänden. 2011 aber ließ der DFB den Dialog über eine mögliche Legalisierung von Pyrotechnik abreißen, die Ultras fühlten sich in die Irre geführt. Dabei zeigen die Ligen in Dänemark oder Norwegen, dass legale Feuerwerke funktionieren, wenn Fans, Verbände und Behörden sich auf Material und Sonderzonen einigen.
Umso interessanter ist der Vorstoß des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius, der nach den Vorfällen von Rostock eine teilweise Legalisierung von Pyrotechnik befürwortet hat. Er stellt sich damit gegen seine versammelte Kollegenschaft der anderen Bundesländer, auch gegen Bremens Innensenator Ulrich Mäurer („Mit mir wird es keine legale Pyrotechnik im Weserstadion geben“) oder den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann, der bereits vor Rostock verlautbarte, es seien „im Ultra-Bereich auch Leute, die natürlich auch Bezüge in die extremistische Szene insgesamt haben“.
Pistorius greift mit seinem Vorschlag jene Forderungen auf, die schon seit Jahren exakt so von Ultras – auch in Bremen – gestellt werden. Wichtiger an dem Vorschlag ist allerdings weniger die Umsetzbarkeit als vielmehr der Versuch, die Sprachlosigkeit zwischen den hoffnungslos zerstrittenen Polen dieses Konflikts zu durchbrechen.
Die Ultra-Kultur verdient Differenzierungen. Denn in der Dynamik dieser Diskussionen um Gewalt und Pyro-Einsatz ging einiges unter: In Aachen, Braunschweig oder Duisburg wurden Ultras, die sich gegen Diskriminierung gestellt hatten, von rechten Hooligans attackiert, begünstigt durch den wachsenden Rechtspopulismus. Von Vereinen und DFB erhielten die Opfer kaum Unterstützung.
Die meisten Medien interessierten sich nicht dafür, weil Konflikte nicht vor Stadionkameras eskalierten. Entmutigt kehrten kreative Wortführer der Ultrakultur den Rücken – und Gewaltbereite fühlten sich zur ihr hingezogen. Am Ende wird eine komplexe Jugendkultur auf Brandstiftung reduziert. Das förderte die Abschottung der Ultras.
Laut der Shell-Studie von 2015 äußern 41 Prozent der deutschen Jugend ein Interesse an Politik, 2002 lag dieser Wert noch bei 30 Prozent. Aber ihr Interesse an starren Parteien ist gering. Viele Jugendliche fühlen sich zu den Ultras hingezogen, weil sie dort Emotionen und gesellschaftliche Ziele verbinden können, zum Beispiel das Wirken gegen Homophobie. Die kommenden Wochen können darüber entscheiden, ob diese fortschrittlichen Kräfte gestärkt oder entmutigt werden. Das würden die Vereine zu spüren bekommen. Aber auch Arbeitgeber, Unis und Familien – denn dort verbringen Ultras den Großteil ihrer Zeit.
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