
„Ohne sie rede ich nicht.“ Ein Murren geht durch den völlig überfüllten Gerichtssaal der 27. Großen Strafkammer des Justizpalastes im Zentrum der Metropole auf der europäischen Stadtseite. Trotz des enormen Publikumsandrangs hat die Justizverwaltung einen viel zu kleinen Raum ausgewählt, in dem sich neben den Angeklagten rund 50 Anwälte und mindestens 150 Besucher drängen.
Kurz vor der Mittagspause kommt der erste Angeklagte zu Wort: der politische Kolumnist Kadri Gürsel. Punkt für Punkt nimmt er die Anklage auseinander. Ihm wird vorgeworfen, er habe Handy-Textnachrichten von Mitgliedern der Bewegung des Islampredigers Fethullah Gülen erhalten, die Staatspräsident Erdogan für den Putschversuch verantwortlich macht. Die Staatsanwaltschaft wertet dies als Beweis für Gürsels Mitgliedschaft bei den Gülenisten.
Geburtstagsgruß als Beweismittel
Doch der Journalist erklärt, er habe die Nachrichten zwar bekommen, aber nicht einmal geöffnet. „Es hat keine zweiseitige Kommunikation gegeben.“ Ein weiterer Anklagepunkt betrifft einen Geburtstagsglückwunsch, den Gürsel an einen anderen Kolumnisten schickte, dem ebenfalls eine Nähe zur Gülen-Bewegung unterstellt wird. „Das ist grotesk“, sagt Gürsel.
Angeklagt ist fast die gesamte journalistische und unternehmerische Führungsebene des Blattes. Den Angeklagten drohen Haftstrafen von bis zu 43 Jahren. Die meisten Vorwürfe betreffen ihre journalistische Arbeit. Als „Beweise“ für die angebliche Unterstützung von Terrororganisationen werden beispielsweise Artikel angeführt, in denen „Cumhuriyet“ einen Waffentransport des türkischen Geheimdienstes MIT an syrische Islamisten aufdeckte oder Interviews mit Anführern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK – normale journalistische Arbeit, wie der ebenfalls angeklagte „Cumhuriyet“-Geschäftsführer Akin Atalay darlegt. Er versucht zudem, dem Gericht zu erklären, wie die Arbeitsabläufe zwischen der Redaktion und der die Zeitung tragenden unabhängigen Stiftung funktionieren. So will er den bizarren Vorwurf entkräften, dass die redaktionelle Ausrichtung der Zeitung unter dem Chefredakteur Can Dündar „radikalisiert“ worden sei. „Das ganze Vorgehen ist ein legaler politischer Mord“, sagt er, „das Ziel ist entweder, die Zeitung mundtot zu machen oder sie zu übernehmen.“
Verfahren gegen die Pressefreiheit
Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (ROG) in Deutschland, sagte dem WESER-KURIER, das Verfahren gegen „Cumhuriyet“ richte sich gegen die Pressefreiheit insgesamt. „Die Vorwürfe sind hanebüchen, aber deshalb ist es umso wichtiger, dass wir hier Solidarität zeigen.“ Für den türkischen ROG-Vertreter Erol Önderoglu fügt sich der Prozess ein in eine Strategie Erdogans, die darauf ziele, „das säkulare Erbe der Türkei zu zerstören“: Deshalb werde die „Cumhuriyet“ angegriffen, die dieses Erbe verkörpere. „Wenn ich trotzdem noch etwas Hoffnung habe, dann verbindet sie sich damit, dass wir immer noch eine fabelhafte Zivilgesellschaft besitzen“. So hätten sich 1100 Anwälte freiwillig als Verteidiger für den Prozess gemeldet.
Es ist diese starke demokratische Unterströmung in der türkischen Gesellschaft, die auch dem 80-jährigen „Cumhuriyet“-Stiftungsvorsitzenden Orhan Erinc trotzdem noch Mut macht. Doch Erinc übt auch Kritik an der politischen Opposition. Es wäre ein starkes Zeichen gewesen, wenn der CHP-Parteivorsitzende Kemal Kilicdaroglu gekommen wäre. „Nicht nur für unsere Kollegen, sondern für alle 160 inhaftierten Journalisten in der Türkei.“
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