
Falk Wagner war ein wenig überrascht: „Das ist ja schon alles voll hier.“ Rund 20 Minuten waren es da noch bis zum Beginn der Mitgliederkonferenz des SPD-Unterbezirks Bremen-Stadt, als der Vorsitzende diese Worte sagte. Derart rappelvoll war der Saal im Bürgerhaus Weserterrassen, dass flugs noch etliche Stuhlreihen herbeigezaubert werden mussten.
Das große Interesse an der Konferenz kam nicht von ungefähr: Eine Aussprache über das Wahldebakel der SPD bei der Bürgerschaftswahl und die sich abzeichnenden rot-rot-grünen Koalitionsgespräche standen auf dem Programm. Erwartet wurde ein langer, ein sehr langer Abend. Und so kam es denn auch. Übrigens unter Ausschluss von Medienvertretern – der Unterbezirk wollte so eine völlig freie Diskussion ermöglichen.
Vor Beginn der Veranstaltung erwarteten manche Teilnehmer kein Scherbengericht, vielmehr eine konstruktive Aussprache. Auch wenn, wie es ein Bürgerschaftsabgeordneter sagte, „wohl einige Anwesende ihr Mütchen kühlen werden“. Die SPD-Spitze scheute dennoch nicht das Gespräch mit der Basis. Es waren unter anderem gekommen: Bürgermeister Carsten Sieling, Landesvorsitzende Sascha Aulepp, Innensenator Ulrich Mäurer, Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt, Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer, der alte und neue Europa-Abgeordnete Joachim Schuster.
Einer, der sich unbedingt zu Wort melden wollte, war der Bürgerschaftsabgeordnete Klaus Möhle. Er vermisst in der Parteiführung die Bereitschaft, die Wahlniederlage kritisch aufzuarbeiten. Jetzt, so Möhle, sei der Zeitpunkt für einen Neubeginn und für eine Modernisierung der SPD. Wäre eine Auszeit in der Opposition dafür nicht die ideale Voraussetzung? „Nein“, sagt der ehemalige Grünen-Abgeordnete energisch. Das sei wie beim Fußball: Ein Abstieg bedeute auch nicht zwangsläufig den Wiederaufstieg. „Es ist auch in der Regierungsverantwortung möglich, verantwortungsbewusst veraltete Strukturen aufzubrechen“, sagte der Obervieländer.
Möhle steht mit seiner Kritik nicht allein. Zusammen mit der relativ kurzfristigen Einladung zur Mitgliederkonferenz hatte der Unterbezirk-Vorstand eine zweiseitige Analyse der Bürgerschaftswahl verschickt. Und die zeigt schonungslos, wie es zum miserablen Abschneiden der SPD gekommen ist. So moniert das Papier „erstmals auch in Bremen Profillosigkeit nach Berufsgruppen“. Bei Arbeitern, Angestellten und Arbeitslosen habe die SPD nur noch jeweils jeden fünften Wähler erreicht. Fazit des Unterbezirk-Vorstands: „Die Ansprache der klassischen Zielgruppen der SPD als ‚Partei der Arbeit‘ funktioniert nur noch bei Rentnern.“
Ein „massives Image-Problem“ der SPD sehen Falk Wagner und seine Mitstreiter bei der jüngeren Generation. Nur 13 Prozent der Wähler im Alter unter 25 Jahre haben für die Genossen gestimmt. In dem Papier heißt es dazu: „Offenkundig werden als Parteien der Zukunftsgestaltung Grüne oder Linkspartei wahrgenommen, die SPD steht im Ergebnis auf einer Stufe mit der CDU.“
Vor vier großen Herausforderungen steht die SPD laut den Autoren. Vor allem müsse das „Profil als Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ wiederhergestellt werden. Mit Blick auf die jüngere Generation müsse die SPD wieder als „Partei der sozialen und ökologischen Innovation“ wahrnehmbar sein. Ein weiteres Ziel: „verlässlich funktionierende Infrastruktur und Bürgerdienste“. Als vorrangig werden hier die Felder Inneres, Bildung und Verkehr genannt. Herausforderung Nummer vier: Die SPD solle wieder in den Stadtteilen erkennbar und als Ansprechpartner für die Bevölkerung da sein.
Ganz klar: Es rumort in der SPD. Bereits am Dienstag war in einer gemeinsamen Sitzung von alter und neuer Bürgerschaftsfraktion viel Kritik an der Parteiführung zu hören. Einer der Kritiker: Andreas Kottisch, nach 20 Jahren scheidender Bürgerschaftsabgeordneter und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Der 52-jährige Unternehmer hält es für ein falsches Signal, wenn Bürgermeister Sieling im Amt bliebe. Auch wenn er diesen persönlich sehr schätze, wie Kottisch betont. Doch das Wahlergebnis biete keine Legitimation für eine zweite Runde Sielings im Bürgermeisterstuhl.
Kottisch plädiert für eine Kurskorrektur der SPD. „Wir müssen wieder ein traditionelles Profil entwickeln, wie einst à la Henning Scherf, Hans Koschnick und Wilhelm Kaisen.“ Die SPD müsse bemüht sein, die „bürgerliche Mitte“ zu erreichen, statt in einer rot-rot-grünen Regierung auf linke Themen zu setzen. Mit seiner Kritik fühlt er sich nicht allein. „Ich weiß von vielen, die so ähnlich denken.“
Trotz aller Kontroversen geht es für die SPD diesen Freitag recht entspannt weiter. Am frühen Abend kommt der Landesvorstand zusammen und wird sich nach Grünen und Linken für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aussprechen. Bereits in der kommenden Woche sollen die Gespräche beginnen. „Wir wollen zügig vorankommen“, sagt Landesgeschäftsführer Roland Pahl.
Um eine anregende, sachliche und für alle Parteien angenehme Diskussion auf www.weser-kurier.de sowie auf Facebook zu ermöglichen, haben wir folgende Richtlinien entwickelt, um deren Einhaltung wir Sie bitten möchten.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.