
Elche berauschen sich an faulen Früchten, Vögel an gefrorenen Beeren. Igel schlürfen Bierfallen leer (eingelegte Schnecken inklusive); Rentiere fressen halluzinogene Pilze. Vieles ist belegt und dokumentiert, aber nur wenig davon erforscht. Ist der tierische Alkohol- und Drogengenuss Absicht oder Versehen? Bringt er die Tiere in Gefahr, oder macht er ihnen Spaß? Sind es Einzelfälle, oder handelt es sich um gelerntes Verhalten? Forscher interessieren sich vor allem für eine Frage: Was lehrt das Tierreich über das Suchtverhalten des Menschen?
Zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich in Deutschland mit diesem Thema beschäftigen, zählen Henrike Scholz, Neurobiologin und Verhaltensforscherin an der Universität Köln, sowie Wolfgang Sommer und Rainer Spanagel, der eine Psychiater, der andere Pharmakologe am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Mit lustigen Filmen kann das Kölner „Scholz Lab“ nicht dienen. Die Mitarbeiter arbeiten mit Fruchtfliegen, Tieren, die in der Forschung seit Langem eine große Rolle spielen.
Die Art Drosophila melanogaster ist dafür bekannt, dass in rascher Folge neue Generationen entstehen. Die Entwicklung zum erwachsenen Tier dauert etwa zehn Tage. Älter als gut zwei Monate werden die Fruchtfliegen nicht. Wissenschaftler sind in den vergangenen Jahren unter anderem der Frage nachgegangen, was Obst für die Tiere besonders reizvoll macht. Dass überreife Früchte eine besondere Anziehungskraft auf Fruchtfliegen ausüben, liegt nach Expertenangaben am Hefegeruch. Hefepilze seien bei Fruchtfliegen als Nahrung besonders begehrt, heißt es. Was aber passiert mit den Tieren unter dem Einfluss von Alkohol? Nach den Erkenntnissen von Henrike Scholz und ihren Kollegen verändern die Tiere ihr Verhalten. Sie werden hyperaktiv, rasen herum, laufen Kurven. Irgendwann fallen sie um und liegen bewegungsunfähig auf dem Rücken.
Nehmen Fruchtfliegen wiederholt Alkohol auf, passt sich ihr Stoffwechsel nach Darstellung der Kölner Neurobiologin ähnlich wie bei Alkoholikern an. „Der Alkohol verändert nicht nur den Stoffwechsel; die Wirkung zeigt sich auch im Gehirn“, sagt die Wissenschaftlerin. Sobald die Tiere sich erholt haben, wollen sie den offenbar als angenehm empfundenen Zustand zurück. Dafür sorgt das Belohnungssystem im Gehirn. Auch Fruchtfliegen können also süchtig werden. Für ihre Droge nehmen sie sogar Unangenehmes in Kauf. Bei Experimenten waren sie zum Beispiel bereit, Bitterstoffe zu tolerieren, wenn sie damit an Alkohol gelangen konnten. Auch hier sieht Henrike Scholz eine Parallele zum Menschen.
Unter natürlichen Bedingungen begegnen Fruchtfliegen und andere Tiere Alkohol, wenn sie vergorenes Obst nutzen. Bei der alkoholischen Gärung wird der in Äpfeln, Weintrauben und anderen Früchten enthaltene Zucker in Alkohol und Kohlendioxid umgewandelt. Dass dies geschieht, ist das Verdienst von winzigen Hefepilzen, die von Natur aus auf Obst vorkommen. Sie bauen die Kohlenhydrate beziehungsweise den Traubenzucker (Glukose) ab, um Energie zu gewinnen. Alkohol entsteht dabei nur, wenn ihnen kein Sauerstoff für die Zellatmung zur Verfügung steht. Sprich: Die alkoholische Gärung erfolgt unter Sauerstoffausschluss. Wenn Obst länger in einer warmen Umgebung liegt, vermehren sich die Mikroorganismen. Sie bauen Zellstrukturen ab und dringen ins Innere der besiedelten Frucht ein. Während der Zersetzungsprozesse kann es stellenweise, besonders im Innern der Frucht, zu Sauerstoffmangel kommen. Die dort lebenden Hefezellen stellen ihren Stoffwechsel auf alkoholische Gärung um.
Egal, ob Streuobstwiese oder Speisereste in der Küche: „Fruchtfliegen haben gelernt: Wo es nach Alkohol riecht, da gibt es Kalorien“, erklärt Henrike Scholz. Die Tiere legen ihre Eier bevorzugt an solche Stellen, um sicherzustellen, dass die Nahrungssituation für ihre Nachkommen besonders gut ist.
„Dass Tiere Alkohol konsumieren, sehen wir im ganzen Tierreich“, erklärt Wolfgang Sommer vom Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, „vom Regenwurm über Mäuse und Ratten bis zum Primaten“. Der Psychiater untersucht die neurobiologischen, genetischen und verhaltenspsychologischen Grundlagen von Sucht.
Sein Kollege Rainer Spanagel hat sich mit Federschwanz-Spitzhörnchen in Malaysia beschäftigt. Diese kleinen Säugetiere ernähren sich während der Blütezeit fast ausschließlich vom Nektar einer bestimmten Palme – und der hat fast vier Prozent Alkohol. Angesichts des geringen Körpergewichts der Tierchen mit einer Kopf-Rumpf-Länge von höchstens 14 Zentimetern entspricht das – auf den Menschen übertragen – etwa einer Flasche Wodka pro Tag. Trotzdem zeigen die Federschwanz-Spitzhörnchen keinerlei Ausfallerscheinungen. Für die Mannheimer Forscher sind sie „ein Beispiel für evolutionäre Anpassung“. Der Stoffwechsel hat sich so entwickelt, dass er Alkohol besonders effektiv abbauen kann.
Im Gegensatz zu manchen Menschen kennen Tiere – egal, ob Fruchtfliegen oder Spitzhörnchen – ihre Grenzen. Henrike Scholz hat herausgefunden, dass ein Alkoholgehalt von bis zu fünf Prozent für Fruchtfliegen attraktiv ist; dies entspricht ungefähr dem Alkoholgehalt von Bier. Bei Höherprozentigem überwiegen die negativen Folgen für den Organismus. Daher rühren Fliegen Früchte, deren Alkoholgehalt über dem von Wein liegt, nicht an. „In der Natur gibt es da ein gewisses Gleichgewicht“, sagt die Kölner Wissenschaftlerin.
Sommer unterscheidet zwischen Konsum und Sucht. Alkohol zu konsumieren sei bei Tieren normal. Nach verrotteten Früchten und damit nach Alkohol als Energiequelle zu suchen sei „ein ganz natürliches Verhalten, das im Gehirn möglicherweise fest verschaltet ist und nicht erlernt werden muss“. Abhängigkeit hingegen gebe es bei Tieren kaum. „Sucht können sich die meisten Tiere gar nicht leisten: Sie würden sofort ihren Feinden zum Opfer fallen.“
Auch Henrike Scholz glaubt nicht, dass es in der Natur Sucht gibt. Was es ihrer Ansicht nach gibt, ist „abnormes Verhalten Einzelner in Extremsituationen“. In der Regel wählten Tiere alkoholhaltige Nahrung allein wegen ihrer Süße und ihres Kaloriengehalts und nicht wegen anderer Folgen, auch wenn diese vielleicht als angenehm empfunden werden.
Je höher entwickelt die Tiere sind und je weniger natürliche Feinde sie haben, desto eher können sie es sich leisten, beim Drogenkonsum über die Stränge zu schlagen. „Ausgeprägtes Suchtverhalten sehen wir nur bei höher entwickelten Spezies“, sagt Sommer. „Es scheint so zu sein, dass man ein recht entwickeltes Gehirn braucht, um Suchtverhalten zu entwickeln.“
Bei Nagern bedürfe es recht komplizierter Versuchsanordnungen, um kurzzeitig einen Kontrollverlust mit einem leicht erhöhten Blutalkoholspiegel zu erzielen. „Bei den Affen scheint das einfacher zu sein; freier Zugang zu alkoholhaltigen Getränken reicht.“ Auch sturzbetrunkene Affen seien keine Seltenheit, sagt Wolfgang Sommer.
In Guinea beobachteten portugiesische Forscher, dass wild lebende Schimpansen bis zu drei Liter vergorenen Palmsaft trinken. „Schimpansen konsumieren vergorenen Palmsaft in Bossou selten, aber gewohnheitsmäßig“, schrieben sie im Jahr 2015 im Fachjournal „Royal Society Open Science“. Daran beteiligten sich beide Geschlechter und sämtliche Altersgruppen.
Berichte über Delfine, die Kugelfische wegen des Nervengiftes, das diese absondern, wie einen Joint im Kreis herumreichen, verweisen seriöse Wissenschaftler allerdings ins Reich der Anekdoten. Denkbar sei das zwar schon, aber wohl eher Zufall als Absicht, sagt Sommer. Tiere seien von Natur aus neugierig. Daher könne es auch vorkommen, dass sie mal psychoaktive Pilze oder Kokablätter fräßen.
Im Lichte der Wissenschaft betrachtet erscheint manche berühmte Geschichte von betrunkenen Tieren weniger lustig. Im Filmklassiker „Die lustige Welt der Tiere“ von 1974 berauschen sich Elefanten vermeintlich an gärenden Früchten des Marula-Baumes. 2005 fanden britische Biologen um Steve Morris heraus, dass sich die Tiere dort eher unfreiwillig vergiften als freiwillig berauschen, denn hierfür müssten sie angesichts des niedrigen Alkoholgehalts der Früchte gigantische Mengen verzehren. Die Wissenschaftler führen das Torkeln der Tiere darauf zurück, dass sie auch die Rinde fressen, in der Käferlarven leben. Sie enthalten ein Nervengift, das die Einheimischen früher nutzten, um ihre Pfeilspitzen zu vergiften.
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