
Ist Fliegen wirklich sicher, Herr Müller?
Manfred Müller: Wenn Sie die Wahl des Verkehrsmittels haben, ist Fliegen auf einer längeren Strecke eindeutig die sicherste Wahl. Das zeigen alle Statistiken.
Trotzdem ist vielen Menschen unwohl beim Einsteigen in ein Flugzeug. Und Zwischenfälle lassen sich nicht ausschließen?
Ein Drittel aller Fluggäste empfindet ein unangenehmes Gefühl beim Fliegen. Das hängt damit zusammen, dass man das Geschehen nicht aktiv beeinflussen kann. Hier spielt uns das Gehirn einen Streich. In anderen Situationen – etwa im Straßenverkehr oder beim Skilaufen – gehen wir weitaus höhere Risiken ein. Die Luftfahrt hat eine recht erfolgreiche Strategie, Risiken zu minimieren: Jeder gravierende Vorfall wird intensiv analysiert, und die Lehren daraus werden konsequent umgesetzt. Durch dieses Fehler-Management ist das Fliegen in den letzten einhundert Jahren um mehr als den Faktor 100 000 sicherer geworden.
Wie oft kommt es zu Fehlern im Cockpit?
Bei jedem Flug passiert statistisch gesehen alle 30 Minuten ein Fehler. Die meisten haben allerdings keine weiteren Folgen, weil sie erkannt und behoben werden. Natürlich können wir ein Risiko nicht vollständig ausschließen. Im Konzern beschäftigen sich aber mehrere hundert Menschen ausschließlich damit, wie wir das Fliegen noch sicherer machen können. Wir möchten diesen Prozess aktiv mitgestalten.
Ist der Mensch der größte Störfaktor im Cockpit oder bei anderen großtechnischen Systemen?
Technische Komponenten wie Triebwerke, Stromversorgung, Hydraulikpumpen oder Steuerung werden immer zuverlässiger. Der Mensch hingegen hat sich in den Jahrtausenden wenig geändert. Wir alle machen regelmäßig etwas falsch. Aber wir haben auch den sogenannten gesunden Menschenverstand. Wir kontrollieren regelmäßig, ob etwas plausibel ist. Vor allem in einem gut strukturierten Team sind wir damit in der Lage, Fehlverhalten und Defizite der Maschine zu erkennen und zu korrigieren. Ohne den Menschen geht es also nicht.
Aktuell wird das autonome Fahren und die vollständig automatisierte Fabrik diskutiert. Machen Ihnen solche Szenarien Angst?
Die Unfallstatistik des Google-Autos regt jedenfalls zum Nachdenken an. Dieser Wagen verursacht mehr Unfälle als ein durchschnittlicher Autofahrer. Die Idee der vollständigen Automatisierung zur Fehlervermeidung hat sich bisher insgesamt nicht als tragfähig erwiesen. Wir sind damit zumindest noch sehr weit davon entfernt, Maschinen komplexe Steuerfunktionen komplett zu übertragen.
Techniker argumentieren, das hänge mit der Interaktion von Mensch und Technik zusammen. Der Mensch stört in dieser Sichtweise also die technischen Abläufe. Ist dem so?
Dagegen spricht bereits die Wahrscheinlichkeit. Bei einem technischen System, das auf 100 Parameter reagieren soll, würde allein der Testlauf bei heutiger Rechnerleistung Milliarden von Jahren dauern. Es gibt also keine fehlerfreie komplexe Software. Wenn man versucht, komplexe Prozesse abzubilden, dann werden sich in die Programme immer Fehler einschleichen. Das kann jeder an seinem eigenen Computer sehen. Der macht immer wieder Dinge, die man nicht erwartet. Der Mensch ist gut darin, in unerwarteten Situationen in einem Team praktikable Lösungen zu entwickeln. Das kann ein Rechner nicht. Der agiert immer in den Grenzen seiner Software, die im Übrigen ja auch von Menschen geschrieben wird.
In Behörden, Unternehmen oder bei der Bundeswehr gilt: Wenn es brenzlig wird, muss einer das Sagen haben. Sehen Sie das auch so?
Dafür gibt es Hierarchien. Gerade in Drucksituationen wächst allerdings auch für den Verantwortlichen das Fehlerrisiko. Deshalb ist es wichtig, ihm einen zweiten Menschen zur Seite zu stellen, der die Entscheidungen verfolgt und notfalls eingreift. Dieses Vorgehen haben wir nach leidvollen Erfahrungen im Cockpit fest etabliert. Wenn der Copilot einen Fehler entdeckt, muss er diesen benennen und gegebenenfalls eingreifen, was bis zu einer Kontrollübernahme führen kann. Dieses System hat sich sehr gut bewährt.
Sind Ihre Erfahrungen aus der Luftfahrt auch auf andere Arbeitsbereiche übertragbar?
Für mich ist es faszinierend, wie gut sich das adaptieren lässt. Immer dort, wo Menschen komplexe Aufgaben lösen müssen, wären ähnliche Mechanismen hilfreich. Die Luftfahrt hat hier einen Vorsprung, weil Unglücksfälle seit Jahrzehnten von Flugschreibern und anderen technischen Systemen besonders gut dokumentiert sind. Das hat uns geholfen, viele technische wie menschliche Auslöser für Krisensituationen zu erkennen und darauf Antworten zu entwickeln.
Das Gespräch führte Martin Wein.
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