
„Wenn wir innerlich aus dem Gleichgewicht geraten, können wir äußerlich keine Balance halten“, sagt Harald Löffel, Qi-Gong-Lehrer und Bergwanderführer in einer Person. Wir stehen mitten im Kaisergebirge Tirols auf einer Holzplattform, 1200 Meter über dem Boden. Der Blick fällt auf mystische Bergwälder, aus denen Nebel aufsteigt. Wir strecken die Arme aus als wären wir Bogenschützen und atmen tief ein und aus. „Freiraum“ heißt einer der besonderen Natur-Kraft-Bewusstseinsplätze im Kufsteinerland.
Abseits des Massentourismus: Gleich 40 Natur-Kraft- und Bewusstseinsplätze hat der Tourismusverband Kufsteinerland in der Tiroler Bergwelt ausgewiesen. Harald Löffel, in Kufstein auch als Hiking Harry bekannt, erläutert Gästen, welchen Einfluss die Duftstoffe der Bäume auf ihr Immunsystem haben. „Wir atmen alle zu flach“, sagt der 58-Jährige.
Der Qi-Gong- und Thai-Chi-Trainer hat viele der Übungen in China gelernt, die er Gästen bei seinen Touren zu den Energieplätzen vermittelt. Die einzelnen Plätze laden jeweils mit besonderen Übungen ein, neue Perspektiven einzunehmen. Auf dem Weg zum „Adlerblick“ folgt der Gruppe eine Kuh. Ihr Glockengeläut hat zwar wenig mit fernöstlicher Entspannungstechnik zu tun, reduziert dafür Stress auf Tiroler Art.
Die Natur rund um die 8000 Einwohner zählende Festungsstadt und die acht malerischen Dörfer bietet zahlreiche Möglichkeiten, abzuschalten. Wer nicht zu Fuß ins Kaisergebirge klettern will, kann den Kaiserlift auf das Brentenjoch nehmen, einen offenen Einzel-Sessellift. Im Kaiserlift zu fahren, kommt einer Art Schweben gleich. Frischer Fahrtwind und absolute Stille der Bergwelt umgeben den Fahrgast, während er gemächlich an Höhe gewinnt.
Oben angekommen, eröffnet sich ein beinahe 360-Grad-Blick über das Inntal nach Bayern und das westliche Tirol, Richtung des Wilden und des Zahmen Kaisers. Vor Regen schützt der Lift allerdings nicht: Nach einem kräftigen Guss sind wir nach fast 20-minütiger Fahrt pitschnass. Immerhin können sich alle Tourmitglieder auf der Alm bei einem heißen Kakao aufwärmen und es sich bei Tiroler Moosbeernocken gut gehen lassen. Am Kachelofen aufgehängt, sind die Regenjacken schnell wieder trocken.
Der Tourismusverband Kufsteinerland setzt seit Jahren auf das Achtsamkeitsthema und hat kürzlich noch eine Fibel zu den Kräuterschätzen der Region herausgebracht. Pflanzen wie Augentrost, Frauenmantel und Ackerschachtelhalm werden beschrieben. Wie diese Kräuter verwendet werden, erfahren Interessierte auch bei Kräuterexpertin Christiane Kirchmair im Thierseetal. Sie nimmt Gäste gern mit in ihren Kräutergarten und bereitet mit ihnen auf Wunsch Kräuterjausen zu.
Mit Körben ziehen wir aus auf ein Stück Land hinter dem Garten und pflücken unter ihrer Anleitung Brennnesseln, Vogelmiere und andere Wildkräuter. Kleingehackt munden sie auf Christine Kirchmairs selbst gebackenem Brot: „Wir waschen die Kräuter nicht“, sagt Kirchmair, „sonst waschen wir die Heilwirkung ab.“
Bei Gästen im Kufsteinerland seien solche Angebote beliebt, sagt Tourismusexpertin Barbara Kaiser. „Sie wollen wissen: Wie leben die Menschen in Tirol wirklich?“ Gern erkundeten deshalb Besucher auch die Bio-Gebirgsimkerei von Familie Christen. Sandra Christen zeigt Schulkindern wie Touristen auf der Tiroler Bienenalm abseits vom Trubel in der Festungsstadt gern, wie der Fichtenwipfelhonig entsteht und erläutert, welche leistungssteigernde Wirkung dem Gelee Royale nachgesagt wird, mit dem Bienenköniginnen großgezogen werden.
Das Thema Gesundheit und Regionalität sei durch die Corona-Pandemie weiter in den Fokus gerückt: „Ganz viele Gäste beschäftigen sich beim Thema Kräuter auch mit der Frage der Selbstversorgung. Sie wollen zum Beispiel wissen, wie man eine Kräuterspirale anlegt“, berichtet Barbara Kaiser.
Eine große Kräuterspirale mit vielen Heilkräutern finden Touristen wegen des günstigen Klimas auch am Nordufer des Thiersees. Der an manchen Tagen türkis schimmernde Thiersee ist einer von mehreren Bergquellwasserseen in der Region und war in den 1940er- und 1950er-Jahren eine beliebte Filmkulisse. Dort wurde unter anderem der Klassiker „Das doppelte Lottchen“ gedreht.
Bekannt hat aber insbesondere das 1947 von Karl Ganzer komponierte Kufsteinerlied das Städtchen am Inn als Perle Tirols gemacht. Das Lied gilt als eines der meist verbreiteten und meistgespielten Musikstücke der volkstümlichen Musik mit weit mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern. „Karl Ganzer war musikalischer Autodidakt, der nie eine Musikausbildung erfahren hatte“, erzählt Harald Löffel.
Löffel führt Touristen nicht nur in die Berge. Er ist, ausgestattet mit Hellebarde und Laterne, auch einer der „Nachtwächter“ Kufsteins und führt Gäste auf den historische Pfaden. Schon in jungen Jahren soll sich Ganzer mit seiner Steirischen Harmonika zu Musikern in Gaststätten gesellt haben. Die urige Gaststube Auracher Löchl in der historischen Römerhofgasse mitten in Kufstein wirbt damit, Geburtsstätte des Liedes zu sein. Dort ist auch das „kleinste Brückenrestaurant der Welt“ zu finden, mit 15 Quadratmetern bietet es nur zwei Plätze und einen Plattenspieler.
Von der Bergstille kommt man dort ins quirlige Leben: In den Cafés und Restaurants am Fuße der beleuchteten Festung Kufsteins herrscht in den Abendstunden Hochbetrieb. Dann ist auch die populäre Festung Kufsteins stilvoll erleuchtet. Austria Guide Beate Gschwentner begrüßt Gäste zu einer Führung durch das Gemäuer, das unter den beliebtesten Attraktionen Tirols immerhin Platz drei einnimmt.
Wer die Burg erkunden will, muss Zeit mitbringen. Beate Gschwentner berichtet über Kaiser Maximilian I., der die Festung 1504 eingenommen und so Kufstein zu einem Teil Tirols gemacht hat. Sie führt die Gruppe zu einem 60 Meter tiefen Brunnen, der in jahrelanger Mühsal von Hand in den Fels getrieben worden ist. Und sie zeigt die Gefängniszellen, in denen ungarische Dissidenten ihr Dasein fristeten. An Ausbruch war nicht zu denken. „Die Mauern sind vier bis sieben Meter dick“, sagt Gschwentner. Dort zeigt sich auch, wie sich historische Burgmauern mit moderner Präsentationstechnik verbinden lassen: Im Gefängnis werden Figuren der Vergangenheit holografisch in den Raum projiziert.
Zum Abschied erklingt die Heldenorgel. Es ist die größte Freiorgel Europas, mit 4958 Pfeifen. „Von fingerklein bis zu 5,5 Metern“, erläutert Beate Gschwentner. Wenn sie mittags – im Sommer zusätzlich auch am Abend – erklingt, ist die Musik nicht nur im Ort Kufstein zu hören. Der Schall trägt die Melodie bis nach Bayern.
Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Kufsteinerland.
Kufsteinerland
Anreise: Durch die Nähe zu Salzburg, München und Innsbruck ist das Kufsteinerland mit dem Auto, der Bahn (ÖBB und Deutsche Bahn) oder auch dem Flugzeug erreichbar.
Unterkünfte: Mehr als 160 Unterkünfte, Ferienwohnungen wie Hotels. Für alle Urlaube für den Winter 2021, die über die Webseite des Kufsteinerlands gebucht werden, können bis zu einer Woche vor Anreise wegen der Corona-Pandemie kostenlos storniert oder umgebucht werden. Momentan gibt es eine Reisewarnung für fast ganz Österreich. Weitere Informationen zu Einreise- und Durchreisebedingungen unter www.auswaertiges-amt.de
Aktivitäten: Geführte Qi Gong-Wanderungen, Thai Chi, Waldbaden, Yogastunden am Thiersee, Führungen auf der Tiroler Bienenalm, Besichtigungen von diversen Kräutergärten, historische Stadtrundgänge mit dem Nachtwächter oder Führungen durch die Festung.
Tipp: Mit der Kufsteinerland-Card für Übernachtungsgäste gibt es viele kostenlose Erlebnisse und Ermäßigungen. Gäste erhalten zum Beispiel eine Berg- und Talfahrt mit dem Kaiserlift Kufstein samt Naturerlebnis-Programm, einen Eintritt in die Festung Kufstein und nicht zuletzt viele Führungen zu ausgewählten Themen.
Im digitalen Zeitungsarchiv bieten wir alle WESER-KURIER-Ausgaben seit 1945 an. Ob Hintergründe zur Geschichte Bremens oder lokale Sportereignisse aus vergangenen Tagen - digitale Zeitungsseiten laden WESER-KURIER Plus-Abonnenten zu Recherchen, zum Erinnern und Stöbern ein.