
Vor einigen Jahren gab es Weltkarten, auf denen einige rote, einige orangefarbene, aber auch viele grüne Stellen zu sehen waren. Sie zeigten die Risikogebiete der einzelnen Länder an und die, in denen es für Reisende keine erwartbaren Risiken gab. Das war im vergangenen Jahr nicht mehr so. 2020 hat die Welt auf den Kopf gestellt und mit ihr das Reisen. Auf der Weltkarte gibt es seit Corona übrigens keine grünen Flecken mehr; nur noch rote oder orangefarbene Punkte. Die Pandemie hat die Welt zu einem einzigen Risikogebiet gemacht.
Die Weltkarte mit den unterschiedlichen Farben erstellt das Unternehmen A 3 M, das Firmen dabei hilft, weltweite Krisen zu managen. Gegründet wurde es, nachdem 2004 der Tsunami Thailand und andere Länder überrollt hat. „Wir wollten die Frühwarnsysteme verbessern“, sagt Mirko Jacubowski, Operativer Leiter von A 3 M. Gemeinsam wurde zunächst mit Reiseveranstaltern ein System entwickelt, das mittlerweile auch von vielen anderen Firmen genutzt wird, die weltweit operieren.
Reisen und Sicherheit, das war in dieser Woche das Thema eines Online-Gesprächs mit unterschiedlichen Vertretern der Reisebranche. Dass es kaum noch Regionen gibt, die kein Risikogebiet sind und dass dieser Umstand die Arbeit von Touristikern erschwert, das bestätigt Ulrich Heuer, der für Tui für das Krisenmanagement zuständig ist. „Ich bin seit 26 Jahren in der Branche, aber dass ein Jahr so von einem Ereignis beherrscht wird, das konnte ich mir vor der Pandemie nicht vorstellen“, sagt der Leiter Krisenstab.
Die erste große Herausforderung der Pandemie war für Tui die Rückholung der Gäste im März vergangenen Jahres. Der Reiseveranstalter aus Hannover hatte 70.000 Gäste über die ganze Welt verstreut, aber nur 39 Flugzeuge, um sie zurückzuholen. „Um das zu bewältigen muss man im Hintergrund viel arbeiten“, sagt er.
Edwin Doldi, Sicherheitsmanager Studiosus vergleicht die Krise mit einem Bild aus Katastrophenfilmen: Ein Auto rast über die Straße, vor dem Wagen sind große Risse zu sehen, hinter ihm bricht die Erde weg. „So haben wir uns gefühlt“, sagt der Krisenmanager. Genau auf diesen Umstand musste schnell reagiert werden, denn die Gäste wollen vor allem eines: ein Sicherheitsgefühl. „Unsere Leitlinie bleibt: keine Reisen in Länder mit Reisewarnung. Das gilt auch für Länder, vor denen aufgrund erhöhter Infektionsraten gewarnt wird“, sagt er. Trotzdem hat das mittelständische Unternehmen im Sommer und Herbst mehr als 150 Reisen in zwölf europäische Länder veranstaltet.
Für Christin Khardani vom Münchener Reiseveranstalter Fti ist die Corona-Pandemie nicht nur eine Krise, „sondern Covid bedeutet für die Branche die Krise in den Krisen.“ Dafür habe die Pandemie aber auch gezeigt, welche Vorteile die klassische Pauschalreise gegenüber einer individuell organisierten Reise habe. Christin Khardani verweist auf die Rückholung sowie auf kostenlose Umbuchungen und Stornierungen von Pauschalreisen. Ein weiterer Vorteil: „Die großen, deutschsprachigen Veranstalter verfügen über speziell ausgebildete Mitarbeiter, die im Krisenfall direkt mit den Gästen in stetigem Austausch stehen“, berichtet sie. Je nach Situation erfolgten tägliche Telefonanrufe oder die Teammitglieder reisten in die Regionen, um sich vor Ort um betroffene Gäste zu kümmern.
„Sicherheit hat für die Branche immer eine bedeutende Rolle gespielt“, sagt Norbert
Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV). „Aber durch die Pandemie hat die Situation eine neue Dimension erreicht“. Das gelte nicht nur für Urlauber, sondern auch für Reisebüros, mittelständische Reiseveranstalter und große Betriebe. Die Folgen für die Branche seien fatal: Umsatzverluste von 80 Prozent. „Ohne Unterstützung des Staates verlieren wir die leistungsstarke, mittelständisch geprägte Tourismusindustrie“, sagt der DRV-Chef.
Die Branche brauche außerdem die Chance, die Geschäfte wieder hochzufahren. „Zwangsquarantäne ist kein sinnvoller Infektionsschutz, erstickt die Reiselust im Keim und ist unverhältnismäßig. Die Politik muss zeitnah ein tragfähiges, klares Konzept für einen Re-Start präsentieren. Unsere Idee: eine risikobasierte Teststrategie. Das Ziel: Sicherheit für Reisende und ein sinnvoller Schutz vor der Verbreitung des Virus.“ Der Impfstart sei deshalb ein positives Zeichen, sagt er.
Dass sich der Fokus auf den Urlaub mit Beginn der Pandemie verschoben hat, betont auch Mirko Jacubowski: „Keine Reise ist mehr einfach oder gefahrenlos.“ Gerade deshalb hat A 3 M im vergangenen März reagiert und innerhalb von drei Tagen eine Repatriierungsdatenbank erstellt, um die auf der ganzen Welt verstreuten Urlauber zurück nach Deutschland zu holen. Sie wurde vor allem von großen Veranstaltern genutzt, um die Daten der Reisenden zu bündeln.
Dass sich die Situation bald entspannt, glaubt der Sicherheitsmanager nicht: „Wir gehen davon aus, dass Reisen wohl bis ins Jahr 2022 hinein herausfordernd bleiben wird und damit allgemeine Reisebestimmungen durch individuelle Reisebestimmungen ersetzt werden“. Ein neues Produkt soll nun Urlaubern helfen, sich auf dem Flickenteppich der Restriktionen zurechtzufinden.
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