
Cahors. Das Département Lot hat etwas Geheimnisvolles. Uralte Dörfer trotzten dem Lauf der Zeit, hielten still, sind bis heute unverändert und zählen nun zu den schönsten Frankreichs. Es gibt Türme für Könige, Soldaten und Tauben, und zwei Flüsse, Dordogne und Lot, die die unberührte Natur wie zwei Lebensadern durchschneiden und sich tief ins Land gegraben haben. Es ist eine verzauberte Welt voller Sagen und Geschichten, die von Wundern und magischen Schwertern erzählt. Eine Welt mit Höhlen, in denen vor mehr als 20 000 Jahren Menschen Bilder an die Felsen malten, die im Schein ihrer Fackeln tanzten. Ein Flecken Erde, wo der Teufel selbst einen 75 Meter tiefen Krater in den Boden trat. Aus Wut, wie die Legende besagt.
Alain Lacoste kann sich mit den alten Geschichten nicht befassen. Er hat viel zu tun. Lacoste macht Käse, einen ganz besonderen Ziegenkäse mit Namen „Fromage de Rocamadour“. Der ist klein, weiß und rund, von kräftigem Geschmack und gleichzeitig ganz cremig. Der Name leitet sich vom heiligen Amadour ab, einem Eremiten, der einst am Fuß eines steilen Felsens Zuflucht fand. Roc ist das französische Wort für Felsen. Heute ist Rocamadour eine Gemeinde mit knapp 700 Einwohnern. Alain Lacoste ist einer von ihnen.
Die Ursprünge als Wallfahrtsort reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Als 1166 ein unverwester Leichnam in einem alten Grab an der Schwelle der Marienkapelle entdeckt wurde, glaubte man, den legendären Einsiedler Amadour gefunden zu haben. Es wird von verschiedenen Wundern berichtet, die den Ruhm des Gnadenortes verbreiteten. Noch heute hängt in der Kapelle eine Glocke von der Decke. Geschieht ein Wunder, schlägt sie an.
Aus dem 12. Jahrhundert stammt auch Lacostes Bauernhaus. Im Jahr 1940 haben seine Großeltern es gekauft. In den kühlen Kellerräumen trocknet seither der Käse in verschiedenen Räumen und Etappen. Der Name „Fromage de Rocamadour“ ist geschützt, eine Appellation d’Origine Contrôlée, kurz AOC, genau wie beim Wein. Kurz vor den Feiertagen produziert Lacoste 1000 bis 1200 Käse pro Tag. Sonst sind es um die 600. Vormittags verkauft er seinen Käse auf dem Hof, oder er beliefert Händler und Hotels am Ort. Nachmittags füttert er seine 120 Ziegen, muss melken, die Käse regelmäßig umdrehen, den Stall misten, seine 100 Hektar Land bewirtschaften. Es ist ein harter Job für einen einzelnen Mann. Einen anderen kann er sich nicht vorstellen. „Ich habe schon immer Käse gemacht“, sagt er und rückt seine Schiebermütze zurecht.
Unweit des Hofs erhebt sich Rocamadour, der auf die Steilwand und in den Felsen gebaute Wallfahrtsort mit seinen zahlreichen, verwinkelten Sakralbauten. Die Wallfahrt zur schwarzen Madonnenfigur, zur Vierge Noire, war im Mittelalter sehr berühmt. Etliche Pilger kamen indes nach Rocamadour, weil es ihnen als Strafe auferlegt wurde. Sie sollten dort Buße tun. Die Wallfahrer wurden in ein Kleid aus grobem Stoff gesteckt und mit Ketten behängt. Dann mussten sie betend die
216 Treppenstufen zum Heiligtum hinaufsteigen. Auf Knien. Wer das hinter sich brachte und um Vergebung bat, bekam eine Bescheinigung und ein Pilgerabzeichen aus Blei.
In einem Felsen in Rocamadour steckt zudem das Schwert Durendal, das einst Karl der Große von einem Engel bekam, wie es das Rolandslied, der berühmte französische Heldenepos, erzählt. Der Kaiser überreichte es seinem Paladin und Heeresbefehlshaber Roland, der es im Kampf gegen die Heiden trug. Um es vor den anstürmenden Sarazenen und angesichts der nahenden Niederlage zu bewahren, versuchte Roland das Schwert zu zerstören, was ihm nicht gelang. Eine Legende besagt, dass er die Waffe wegschleuderte, die schließlich im weit entfernten Felsen von
Rocamadour stecken blieb. Dort steckt sie noch immer.
Erhalten sind zahlreiche weitere mittelalterliche Dörfer, von denen viele das Gütesiegel „Schönste Dörfer Frankreichs“ tragen: allen voran Saint-Cirq Lapopie, von den Franzosen zum „Lieblingsdorf“ gekürt. Das von einer Wehrkirche überragte 200-Seelen-Dorf auf einem Steilfelsen etwa 100 Meter über dem Fluss Lot gilt als ein Meisterwerk der mittelalterlichen Architektur. In den 1950er- und 1960-Jahren war es ein beliebter Treffpunkt von Intellektuellen und Künstlern. Der Maler Henri Martin und der Schriftsteller André Breton, dessen Haus man heute besichtigen kann, lebten dort; Berühmtheiten wie Pablo Picasso, Max Ernst, Dali und Miro verbrachten ihre Sommer hoch über dem Flusstal. Wer das Dorf besuchen möchte, sollte früh aufstehen – oder sich mit den rund 400 000 Besuchern jährlich durch die engen Gassen schieben. Ohne Touristen wirkt Saint-Cirq wie aus der Zeit gefallen. Kleine Ziegelhäuser mit spitzen Dächern an schmalen Gassen dienten als Kulisse für manch einen Film.
In der Region Okzitanien, zwischen Bergerac im Westen und Toulouse im Süden, liegt das schwachbesiedelte Département Lot, benannt nach dem Nebenfluss der Garonne. Die hügelige Region ist bewaldet, fruchtbar und ideal für den sanften Tourismus – Naturerlebnisse inklusive. Die Gegend eignet sich vortrefflich für Wanderungen, Touren mit dem Mountainbike oder fürs Rafting. Es ist eine Gegend für Genießer, die sich an Rotwein, Entenkonfit, Trüffeln und Käse erfreuen können. Und eine für Menschen, die sich für die Erdgeschichte interessieren – denn auch unterirdisch gibt es jede Menge zu entdecken.
Etwa im „Gouffre de Padirac“, eine Grotte, die zu einem unterirdischen Tropfsteinhöhlensystem führt. Der Schlund ist beeindruckend: Mehr als 30 Meter breit und 75 Meter tief geht er senkrecht ins Erdreich. Im Mittelalter glaubten die Menschen, der Teufel selbst habe seinen Abdruck dort hinterlassen, als er im Streit mit Gott kräftig mit dem Fuß aufstampfte. Um hinab zu gelangen, sind insgesamt 103 Höhenmeter zu überwinden. Wer gut zu Fuß ist, steigt die 450 Stufen der Treppe hinunter, die anderen nehmen besser den Fahrstuhl. Unten angekommen, besteigt man Boote und fährt den unterirdischen Fluss entlang an teils gigantischen Tropfsteingebilden vorbei bis zum Salle de Grand Dôme, ein
100 Meter hoher Saal aus Kalkstein
Matthieu Jaegle, der Scout an Bord, berichtet kurzweilig, was es mit der Höhle auf sich hat: Vor genau 130 Jahren entdeckte der französische Höhlenforscher Edouard Alfred Martel am Fuß des Abgrunds eine Öffnung, die 28 Meter tiefer zu einem unterirdischen Fluss führte. Jaegle, 29 Jahre alt, ist seit vier Jahren Scout. Studiert hat er Paläoklimatologie und sich mit den klimatischen Verhältnissen der erdgeschichtlichen Vergangenheit beschäftigt. Jetzt taucht er täglich ein in Gesteinsformationen und Kalzitkaskaden, die von der Vergangenheit der Erde berichten. Dank eines privaten Investors, erzählt Jaegle, war der erste Teil des Höhlensystems nur zehn Jahre später, 1899, mit elektrischem Licht versorgt. Bis heute zieht es Besucher aus aller Welt in seinen Bann. Etwa 40 Kilometer der unterirdischen Gänge haben Höhlenforschern erschlossen. Ein Bruchteil davon – indes ein sehr beeindruckender – ist Besuchern geöffnet.
Beeindruckend sind auch die prähistorischen Galerien der „Grotte du Pech Merle“ weiter südlich in der Nähe des kleinen Ortes Cabrerets. Die Höhlenmalereien stammen aus einer Zeit vor etwa 20 000 Jahren. Einst glaubte man, nur Männer wären in die Höhlen hinabgestiegen und hätten mit Farben Jagdszenen verewigt. Doch an den Wänden der Höhlen sind auch Negativabdrücke von Händen zu sehen, die heute Frauen und sogar Kindern zugeschrieben werden. Warum die Menschen einst in die Höhle kamen, wissen die Forscher nicht. Sicher ist, dass es ein Treffpunkt war, der Künstler anzog, die die bereits bestehenden Bilder über- oder weitermalten. Vielleicht ein spirituelles Ritual.
Drei Jugendliche aus Cabrerets waren es, die 1922 die Höhle überhaupt entdeckten. André, seine Schwester Marthe und sein Freund Henry fanden einen Eingang zu einem schmalen Tunnel und krabbelten den mehr als 140 Meter langen Graben bis zur Höhle hinab. Dort betrachteten sie über Stunden die Malereien: Mammuts, Bären, Pferde, Umrisse von schwangeren Frauen, die sie im Fackelschein zum Leben erweckten, während es draußen Nacht wurde und die Erwachsenen nach den verschwundenen Kindern suchten. In einem Bassin hinterließen die drei Spuren im weichen Gestein, die bis heute zu erkennen sind.
Die Reise wurde ermöglicht von Tourisme Lot und Tourisme Occitanie.
Cahors
Anreise: Mit dem Flugzeug über Toulouse-Blagnac oder Bordeaux; oder mit dem Zug bis Bahnhof Cahors.
Erleben: Cahors – Sehenswürdigkeiten sind der belebte Wochenmarkt direkt an der Kathedrale, die Wehrbrücke aus dem 14. Jahrhundert, die schönsten Dörfer Frankreichs im Dordogne-Tal Autoire, Carennac und Loubressac.
Übernachten: Hotel-Spa Le Saint Cirq in Tour de Faure mit Blick auf Saint-Cirq Lapopie; Zimmer, und Appartements, Spa-Bereich und Pool, Familienzimmer für zwei Erwachsene und ein Kind ab 138 Euro (Nebensaison), Appartements für zwei Personen für ein Wochenende 330 Euro (Nebensaison), mehr infos unter hotel-lesaintcirq.com
Essen: La Table de Haute Serre, Restaurant auf dem Weingut von Haute Serre oberhalb von Cahors, moderne, kreative Küche, Spezialitäten sind Trüffel, Safran und Malbec, Preis für ein Menü 25 bis 45 Euro, https://hauteserre.fr
Informationen: www.tourisme-cahors.fr,
www.tourisme-lot.com, www.vallee-dordogne.com und www.tourisme-occitanie.com
Im digitalen Zeitungsarchiv bieten wir alle WESER-KURIER-Ausgaben seit 1945 an. Ob Hintergründe zur Geschichte Bremens oder lokale Sportereignisse aus vergangenen Tagen - digitale Zeitungsseiten laden WESER-KURIER Plus-Abonnenten zu Recherchen, zum Erinnern und Stöbern ein.