
Port Gaverne. „Wenn Du schnell springst, hast Du gar keine Zeit für Deine Angst,“ ruft Guide Dave. Er ist ein junger Mann aus Cornwall, dem man sofort ansieht, dass er den ganzen Tag draußen in Englands rauer Natur verbringt. Ich stehe auf einem knapp fünf Meter hohen Felsvorsprung an den Klippen der rauen südenglischen Küste und schaue in einen Abgrund aus verführerisch blauem Wasser. Ich reiße mich zusammen und will vor der Gruppe der anderen Coasteerer nicht als die Frau mit der Höhenangst dastehen. Beim Coasteering handelt es sich um eine sportliche Aktivität, bei der bergige Küstenlinien zu Fuß erklommen oder schwimmend zurückgelegt werden. Theatralisch mit den Armen wedelnd und laut schreiend springe ich schließlich. Als ich in das auch im Sommer eiskalte Wasser eintauche, strömt Adrenalin und Erleichterung durch meinen Körper. Sofort will ich dieses Gefühl wieder verspüren.
An Cornwalls schroffen Felsenlandschaften sind die Menschen aus einem anderen Holz geschnitzt. Das Leben ist einfach und entschleunigt, die Orte dünn besiedelt und die Einheimischen haben viel Zeit, um sich ihren verrückten Hobbys und Interessen hinzugeben: Beim Coasteering in Port Gaverne laufen sie an der zerklüfteten Küste entlang, schwimmen und springen dabei im Spiderman-Style immer wieder von einer Klippe zur nächsten. Andere gehen nachts mit Speeren Fische jagen, schwimmen mit wilden Seelöwen oder surfen in wilden Stürmen die höchsten Wellen ab.
Wieder andere erzählen sich an langen Abenden in gemütlichen Pubs die Sagen vom legendären König Arthur. So gilt das Tintagel Castle in Cornwall als legendärer Geburtsort von King Arthur und als erste Anlaufstelle auf dem King Arthur Trail. Der Wanderweg nimmt seine Anhänger mit auf eine Reise durch St. Nectan’s Glen, vorbei an Slaughterbridge, in deren Nähe Arthurs sagenumwobendes Schwert im Stein stecken sollte, bis hin nach Bodmin Moor. Cornwalls wilde und raue Landschaft ist mit heldenvollen Geschichten über König Arthurs Abenteuer gespickt, und am mythischen Dozmary Pool werden selbst die skeptischsten Ungläubigen tief in die alten Geschichten entführt.
Auf verträumten Spaziergängen durch mit Wildblumen gesäumte Felder geht es zu abgelegenen Stränden. Auf dem Weg dorthin begegnet man nur ein paar Schafen. Die Luft ist herb und frisch. Das weite Land entspannt, jeglicher Stress fällt ab. Die Landschaft Cornwalls ist aus unzähligen Rosamunde-Pilcher-Filmen bekannt, und doch lässt die weitestgehend unberührte Küste an Englands schroffer Südwestspitze viele Reisende nicht mehr los.
Cornwalls Straßen sind schmal und winden sich durch die Landschaft wie eine Schlange. Daher dauern Autofahrten dort länger als anderswo. Und belohnen umso mehr mit grandiosen Aussichten an fast jeder Ecke – inklusive des viel beschworenen Cape Cornwalls. Bei einer Tour über den Lizard Point und Land’s End dringen Besucher tief in das keltische Cornwall ein.
Den Tag können Besucher mit einer Wanderung am südlichsten Ort Großbritanniens, dem Lizard Point, beginnen. Mit seinen bunten Blumenteppichen, Schafherden und verwunschenen Stränden sieht jeder Winkel wie aus einem Werbeposter der englischen Tourismusindustrie aus. Als nächstes geht es nach Marazion zum St. Michael’s Mount, den man bei Niedrigwasser über einen Damm erreicht. Das Schloss ähnelt dem Mont-Saint-Michel in der Normandie, ist allerdings weniger bekannt. Dementsprechend stehen Besucher meist nur mit einer Handvoll weiterer Gäste vor den Toren des imposanten Schlosses.
Eine Stunde Autofahrt weiter westlich geht es nach Porthcurno. Es heißt, dass die kleine Siedlung den schönsten Strand von ganz Cornwall habe. Die Bucht mit weißem Pudersand und kristallklarem Wasser schmiegt sich idyllisch an saftig grüne Hügel, doch in Cornwall hat jede Bucht das Zeug für eben jenen Titel. Ein Klippenweg führt von Porthcurno zum Freiluft-Minack-Theater, das dramatisch auf den Klippen liegt. Vor Ort gibt es ein Museum. Dort erfährt man, dass das Theater fast im Alleingang von einer exzentrischen Engländerin namens Rowena Cade und ihrem Gärtner in den 1930er-Jahren gebaut wurde.
Ganz in der Nähe von Porthcurno kann man von Englands westlichstem Punkt, dem Land’s End, zum charmanten Fischerdorf Sennen Cove wandern und die wechselvolle Landschaft genießen.
In Newquay reihen sich unzählige Surfshops und Strandbars aneinander. Dort lassen sich die hippen Surfer beim Flanieren am legendären Fistral Beach beobachten. In einem englischen Café mit britischem Charme lassen sich dort Cornish Pasties genießen, das ist ein englischer mit Fleisch oder Gemüse gefüllter Kuchen, der an einem Ende zum besseren Festhalten dick gefaltet wird. Traditionell wurden die Cornish Pasties für die Minenarbeiter in Cornwall hergestellt. Durch das dick gefaltete Ende mussten sie ihr Essen nicht anfassen und konnten das Teigende anschließend wegwerfen.
Es ist später Abend, und die Sonne geht langsam unter. Wer die versteckte Perle am südwestlichen Zipfels Englands entdeckt, wird feststellen: Cornwall entschleunigt.
Cornwall
Anreise: Mit dem Zug über Amsterdam und London. Es gibt von Bremen keine Direktflüge nach Cornwall. Wer nach Exeter oder Bristol fliegen will, muss etwa in Amsterdam oder Paris umsteigen und dann mit dem Zug weiterfahren.
Informationen zu Cornwall gibt es unter www.visitcornwall.com und zu Coasteering unter www.cornishcoasteering.com.
Die Bloggerin Anja Knorr reist seit Jahren durch die Welt und schreibt auf ihrem Blog www.happybackpacker.de über ihre Erlebnisse.
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