
Schon in Algier, der weißen Stadt am Mittelmeer, kommt die Gruppe nicht aus dem Staunen heraus: prächtige weiße Häuser wie in Nizza aus der kolonialen Franzosenzeit stehen am Küstenboulevard; Fahrt mit der modernen Metro (der einzigen auf dem afrikanischen Kontinent) zum ehemaligen Palast des türkischen Gouverneurs am Meer – und hinauf in das Gassengewirr der Altstadt, der Kasbah.
Zwei Tage später katapultiert sie ein Tausend Kilometerflug von Algier südwestlich nach Béchar nahe der marokkanischen Grenze. Östlich davon erhebt sich ein Gebirge aus Sand. Der Große Westliche Erg ist etwa 300 mal 600 Kilometer groß; das Innere wurde noch nie von Menschen betreten, weil es keine Brunnen gibt. Am südlichen Ufer des Sandmeeres liegen hufeisenförmig Oasen, die alle ihren eigenen Charakter haben.
Auf einem Felssporn wurde schon im Mittelalter Taghit gegründet; die heute verfallene Altstadt mit ihren kariösen Lehmhäusern ähnelt einem Termitenbau. Wer den verwitterten Tafelberg erklimmt, erlebt einen grandiosen Blick auf die Oase und die Wüste. Nicht weit hinter Taghit lassen sich schöne, mehr als 8000 Jahre alte Felsgravuren auf Felsbrocken mit Elefanten und Löwen bewundern.
Das erste Wüstenhotel bei Taghit heißt La Saoura – benannt nach dem Flusstal, das Oasen im Westen miteinander verbindet. Wer Komfortverzicht erwartet, wird überrascht: Vor dem renovierten, kleinen Hotel leuchtet hellblau ein Pool, die Tische im Restaurant sind gedeckt.
Abdul ist für die Informationen zuständig. Gegen die Sonne schützt er sich mit einem blauen Chech, dem Wickeltuch der Saharabewohner. Er geht voran und erklärt unermüdlich. Am Flughafen von Algier stellte er sich in gutem Deutsch vor, noch ohne Kopftuch: „Ich heiße Abderrahman. Aber nennt mich einfach Abdul.“
Aufgewachsen ist er in der nördlichen Oasenstadt Laghouat, dem Tor zur Sahara. Nach der Militärakademie beginnt der damals 30-Jährige 1990 in Deutschland als Übersetzer zu arbeiten, bei Freiburg und in Stuttgart. 13 Jahre lebt er dort. Und jetzt, im Tourismus? „Tote Hose“, sagt Abdul und blinzelt durch seine Sonnenbrille, während die Gruppe eine Düne hochstapft. „Ein paar Gruppen im Jahr, davon kannst du als freier Guide nicht leben. Ich habe auch noch ein Schweißgerät, übernehme solche Arbeiten und Inneneinrichtungen.“
Das Riesenland ist nicht mit seinen Nachbarn Marokko im Westen und Tunesien im Osten zu vergleichen. Algerien erstreckt sich als wüstes Polygon vom Mittelmeer bis in die zentrale Sahara: Tunesien hätte 15 Mal darin Platz, Deutschland sieben Mal. Schon in den 1960er-Jahren hat der französische Architekt Fernand Pouillon Ferienanlagen an der Küste entworfen, damals futuristisch und heute ebenso renoviert wie Hotels, Wohnanlagen und sogar eine Unterkunft in der Oasenstadt Ghardaia. Aber internationale Touristen kamen auch damals schon sehr wenige.
„Das hängt alles mit unserer Geschichte zusammen.“ Abdul doziert abends beim algerischen Rotwein Cuvée du Président im Hotel Gourara der Oase Timimoun – der Pool geht direkt hinaus in die Wüste mit Blick auf den Palmenhain. Tagsüber besuchte die Gruppe die alte Lehmoase von Kerzaz vor einem Sandgebirge, wie erstarrte Wellen eines gelben Ozeans. „Erst gab es an der Küste Seeräuber, in der Wüste waren Berber und Nomaden und dann kamen die Franzosen.“
Charles de Gaulle sprach von einem Frankreich, das sich von Dunkerque am Ärmelkanal bis nach Tamanrasset erstrecken sollte – das 2000 Kilometer südlich von Algier liegt. Moscheen in Algier wurden schon nach dem Sieg über die Seeräuber 1830 in Kirchen umgewandelt, Bauern vertrieben. Aber die Gallier hatten die Rechnung ohne die stolzen Algerier gemacht. Zwölf Jahre tobte der Befreiungskrieg, bis 1962. Präsident Boumedienne verordnete dem ölreichen Land Sozialismus, es folgten Militärs und Islamisten, und wieder ein blutiger Krieg – diesmal Algerier gegen Algerier.
Polit-Fuchs Bouteflika war schon im Sozialismus Außenminister und regierte von 1999 bis 2019 – die letzten Jahre nach einem Schlaganfall im Rollstuhl. Nach massiven Protesten trat er zurück, eine Übergangsregierung folgte. Nun soll vor allem die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Erdöl verringert werden. Zum Beispiel mit Tourismus. Abdul wirkt aufgebracht: „Unser Image ist ruiniert. Das wird noch lange dauern. Dabei haben wir alles – römische Ruinen, Berge, Meer und eine Riesenwüste, die ist so schön wie am ersten Tag.“
Am folgenden Tag geht es nach Timimoun, zur roten Oase, zum alten Ksar, das ist eine ehemalige Wohnburg, und zu den großen Palmenhainen mit dem uralten Bewässerungssystem der Foggaras. Die Wasserstollen mit leichtem Gefälle wurden einst von Sklaven ausgehoben. Verschleppt aus Schwarzafrika, kamen sie mit Karawanen aus Timbuktu, dem heutigen Mali.
Nach der Fahrt durch steinig-sandige und flache Weite geht es wieder zum Erg und in die große Oase El Golea, die seit einigen Jahren offiziell El Meniaa heißt. Am Rand der Oase erhebt sich eine versandete katholische Kirche; dort ist das Herz von Charles de Foucauld begraben – Mystiker und Übersetzer der Tuareg-Sprache; er wurde 1916 in Tamanrasset ermordet. Vom Felsen mit der verfallenen Festung lässt sich der Sonnenuntergang mit Blick auf den grünen Palmenteppich genießen.
240 Kilometer nördlich, außerhalb des Sandgebirges, liegt Ghardaia, bestehend aus fünf einzelnen Oasen mit gestaffelten, pastellfarbenen Häusern. Dort leben noch immer die strenggläubigen Mozabiten – ihr Name kommt vom Tal des M’Zab, in dem sie ab dem 11. Jahrhundert in der lebensfeindlichen Steinwüste die Oasenstädte schufen. Das ganze Tal und die Orte mit ihrer kubischen, oft wulstigen Architektur wurden in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen – sowie sechs andere, vor allem römische Ruinenstädte wie Tipaza.
Die Stadt Beni Isguen, eine der in der Provinz Ghardaia gelegenen fünf Oasen, gilt als heilig und ist von einer Mauer umgeben; auf dem Markt werden lautstark die Preise ausgerufen und gehandelt. Traditionell nur von Männern. Handgemalte Schilder am Eingang zeigen die Symbole Kamera und eine Frau im kurzen Rock – beides ist rot durchgestrichen. Alte Frauen zeigen bis heute nur ein Auge unter dem schwarzen Schleier. Die Stadt Melika wird neben der Moschee von einem weißen, krummen und runden Marabut gekrönt, dem Heiligengrab. Von ihm ließ sich der berühmte Architekt Le Corbusier inspirieren – sowie von der gesamten Oase.
Wer die Zeit hat, fliegt noch nach Tamanrasset – ins vulkanische Hoggar-Gebirge, das mit Mondlandschaft nur sehr unzureichend beschrieben ist. Von Algier nach Tam, wie alle sagen, sind es knapp 2000 Kilometer. Das Hoggar ragt bis fast 3000 Meter in den Himmel – im Zentrum gebildet aus den Basaltfüllungen erloschener Vulkane. Als der Wüsteneremit Charles de Foucauld 1905 dort anlangte, gab es nur einige Tuareg-Familien. Mit den Tamarisken und einfachen Lehmhäusern im Ortskern ist noch immer etwas von jener Zeit spürbar.
Einsame Felsspitzen stehen am Horizont, dann schiebt sich der Felsklotz Akar-Akar vor den blauen Himmel – die Tuareg nennen ihn das Schloss der Riesen. Einzelne Kamele und wilde Esel stehen in der Wüste. Weiter schraubt sich die Piste hoch, mit geborstenen braunen Felsblöcken und steinernen Kugeln. Wasserbecken, gesäumt von Oleander, beleben die Felswüste. Etwa zehn Kilometer vor dem Assekrem liegt der Tizouak-
Berg mit riesigen Orgelpfeifen aus Säulenbasalt.
Charles de Foucauld errichtete auf dem Gipfelplateau auf 2660 Metern eine kleine Steinkapelle. In einem Brief schrieb er: „Die Aussicht übertrifft in ihrer Schönheit alle Worte und Vorstellungen. Nichts vermag den Zauber dieses Waldes von Felsspitzen und -nadeln zu beschreiben. Welch ein Wunder!“
Dort auf dem Plateau leben drei Mönche: ein Algerier, ein Pole und ein Spanier. Als die Gruppe zum Sonnenaufgang nach einer halben Stunde in dünner, kalter Luft oben ankommen, empfängt sie der spanische Bruder Ventura mit Gebäck und heißem Tee.
Wer dann immer noch Zeit hat, fliegt weiter an die Küste – nach Tipasa, 95 Kilometer westlich von Algier. Dort gibt es ein römisches Amphitheater, gegrillten Fisch am Meer und kalten Rosé – alles ganz ohne andere Touristen – wie auf der gesamten Reise.
Algerien
Anreise: Lufthansa bietet ab Bremen gute Verbindungen via Frankfurt; aktuell täglich außer sonntags und dienstags, ab circa 330 Euro.
Visa-Anträge müssen persönlich gebracht und die Pässe wieder abgeholt werden. Deshalb besser einen Visadienst beauftragen oder über einen Veranstalter buchen. Die Visabeschaffung soll dieses Jahr vereinfacht werden.
Beste Reisezeit: im Norden ganzjährig, in der Sahara von Oktober bis April.
Geld: Währung ist der Dinar (DZD). 1000 Dinar sind etwa 6,20 Euro. Kreditkarten sind außer in großen Hotels nicht gängig, und es kann auch kein Geld mit Kreditkarten gezogen werden.
Sicherheit: Es gab 2003 eine spektakuläre Geiselnahme in der Sahara, bei der 32 Touristen von Salafisten verschleppt wurden. Bis heute besteht die Regierung noch immer auf Begleitschutz bei allen Überlandreisen südlich der Küstenachse.
Individuelles Reisen: Das Riesenland ist vor allem durch preiswerte Flugverbindungen der staatlichen Airline Air Algérie gut erschlossen. Ein Fahrzeug kann man vor allem in den großen Städten an der Küste mieten; in der Wüste ist noch Militärbegleitung vorgeschrieben.
Corona: Fähr- und Flughäfen sind seit März 2020 geschlossen. Dadurch ist es auch in den Städten zu geringen Infektionen gekommen; Ende Februar lag die Inzidenz bei nur etwa fünf. Es ist davon auszugehen, dass die Einreise ab April wieder möglich ist.
Weitere Informationen: Der Spezial-Afrikaveranstalter Oase Reisen bei Heidelberg hat Algerien seit 30 Jahren im Programm – und nun wieder seit 2017. Neben dieser beschriebenen Tour werden auch Reisen mit Kamelen und Geländewagen in der zentralen algerischen Sahara bei Djanet angeboten. Oase Reisen übernimmt auch die Visa-Beschaffung. Infos unter www.oasereisen.de, E-Mail: service@oasereisen.de, Telefon: 0 62 23 / 9 72 64 88
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