
Schließlich hatte das Pech einen direkten Draht zu uns. Mutter und Großmutter steckten in den Weihnachtsvorbereitungen. Bremer Klaben und natürlich eine Riesenschüssel mit Heringssalat gehörten dazu. Außerdem wurde der Weihnachtsbraten in Form eines Hauskaninchens bestellt.
Meinem Vater konnte diese Hektik nichts anhaben, er war der absolut ruhige Vertreter. Meine Mutter wurde so etwa zehn Tage vor Heiligabend immer unruhiger, und folgende eindringliche Worte, an meinen Vater gerichtet, verhallten unbeantwortet: „Heinz, denkst Du an den Weihnachtsbaum und an den Baumschmuck? Kaufe einen, der nicht nadelt. Hörst Du?“ Ich ahnte Schlimmes, denn in den Tagen vor dem Fest tat sich nichts. Mein Vater überprüfte die Alkoholvorräte, traf sich mit seinen Kollegen zum Weihnachtsskat und vergaß alles andere.
Am 23. Dezember fand die Weihnachtsfeier in seinem Betrieb statt, von dort brachte er leicht angeheitert den Baum mit. Der stand allerdings schon circa zwei Wochen in der Wärme, sodass die meisten Nadeln auf dem Transport mit dem Fahrrad im Winde verwehten. Meine Mutter konnte es nicht glauben, und ich fand es lustig (fast eine Ohrfeige bekommen).
Am Morgen des 24. schien alles vergessen, ich freute mich auf die Bescherung und konnte die Zeit nicht abwarten. Allerdings musste der Baum noch geschmückt werden. Kugeln und Wachskerzen waren vorhanden, allerdings kein Lametta, und das gehörte unbedingt an den Baum. Irgendwo auf dem Boden fand ich eine Rolle Stanniol-Folie. Bestens, sagte mein Vater und begann, mit der Schere etliche Streifen zu schneiden. Man musste schon sehr große Fantasie entwickeln, um diese Streifen Lametta zu nennen. Meine Mutter war der Ohnmacht nahe, meine Großmutter rief in schönstem Platt: „Dat geiht doch nicht, son Tünkram.“
Und dann war aller Ärger fast vergessen, eine wunderschöne Bescherung, ich freute mich über meine Geschenke, und auch meine Eltern und die Oma waren wieder gut miteinander. Bis, ja bis mein Vater nach dem Genuss von zwei bis drei Gläsern Aquavit spätabends die Baumspitze richten wollte und dabei das Gleichgewicht verlor und der Baum die Fassung und stürzte … Manfred Siemer