Bremen. Hamburg am vergangenen Sonnabend, das war ein Lehrstück. Fußballerisch ohnehin, weil sich beim 0:4 gezeigt hatte, wie sich eine Mannschaft im Abstiegskampf nicht verhalten darf. Nicht weniger wichtig war die emotionale Lektion dieses durch und durch missratenen Auftritts einer taumelnden Werder-Elf. Denn die Fans machten ihr in den Stunden nach Abpfiff zweierlei klar: Einerseits das Missfallen an dieser (erneuten) Darbietung einer Nicht-Leistung, andererseits aber uneingeschränkte Unterstützung. So erstaunlich, so bremisch. Denn von allen Bundesliga-Standorten dürfte es sich dabei um ein Alleinstellungsmerkmal handeln.
Doch ja, es wird auch an der Weser geklagt und gemotzt. Engagiert, viel und gerne sogar. Dem lässt sich momentan überhaupt nicht entkommen. Im Freundeskreis, in der Schlange beim Bäcker, in der Straßenbahn, in Internetforen oder wo auch immer. Und ja, dort wird auch an Denkmälern gekratzt, indem personelle Konsequenzen aus der Misere gefordert werden. Im Schutz der Nische - siehe oben - kommt das vor. Aber eben nicht im Stadion. Oder am Stadion.
1000 Freikarten für das Spiel der U23
So wie am Sonnabend, als der Mannschaftsbus mit den gedemütigten Bremern am Weserstadion von geschätzten 250 Fans abgefangen und gestoppt wurde (wir berichteten). Es wurde daraufhin zwar erregt mit Spielern und der Sportlichen Leitung debattiert. Doch am Ende wurde Thomas Schaaf - nicht zu vergessen: als Trainer verantwortlich für eine Elf, die seit Monaten jegliche Erwartungen enttäuscht hat - mit Sprechchören gefeiert.
Als Dank für diese aggressionsfreie Atmosphäre und Gesprächsführung lobte Werder gestern 1000 Freikarten für die treuen Fans aus. Aber nicht etwa für ein Spiel der Profimannschaft. Sondern für das der U23 am Sonnabend gegen den VfB Stuttgart II. Die kann - ebenfalls im Abstiegskampf, wenn auch zwei Spielklassen tiefer - zwar ebenfalls jeden Zuspruch gebrauchen. Doch ob sich dem Nachweis offenbar unerschütterlicher Treue der Werder-Fans damit irgendwie gerecht werden lässt, sei mal dahingestellt.
Denn Protestaktionen wird es auch nach der Derby-Pleite beim HSV übermorgen im Weserstadion nach derzeitigem Stand der Dinge nicht geben. In welch kommoder Situation sie sich trotz der angespannten Lage damit befinden, ist den Werder-Profis durchaus bewusst. Schließlich haben sie gerade erst - eben beim Nordderby in Hamburg - vor Augen geführt bekommen, wohin der Liebesentzug der eigenen Fans führen kann.
45 Minuten lang straften die HSV-Fans ihre Elf für das verlorene Stadtderby gegen St. Pauli mit einem Zuspruch auf Bezirkssportanlagen-Niveau. "Natürlich spürt man das als Spieler auf dem Platz", sagt Clemens Fritz, "vor allem wenn die Verunsicherung ohnehin schon vorhanden ist." Dass die Werder-Fans dagegen nun zwar besorgt, aber eben nicht wütend reagieren, ist für ihn "enorm wichtig. Wir brauchen unsere Fans".
Für Sebastian Mielitz, als wenig erfahrener Vertreter von Stammtorwart Tim Wiese während der vergangenen drei Partien auf besondere Unterstützung angewiesen, ist das Erlebte ein Aushängeschild. "Das Bremer Publikum ist immer sehr menschlich - das ist das Tolle an dieser Stadt", sagt er, "wenn man sich das dagegen bei anderen Vereinen anschaut, dann können wir uns hier glücklich schätzen." Dennoch: Die Geduld der Fans ist endlich, sie wissen es. "Wir dürfen sie nicht überstrapazieren", warnt Clemens Fritz. Hamburg war da ein gutes Lehrstück, so oder so.