Erste Wahl ist Timothy Chandler bei Eintracht Frankfurt nicht mehr. In dieser Saison bringt es der 32-Jährige auf erst vier (meist sehr kurze) Einsätze. Doch der Rechtsverteidiger, der seit 2014 im Klub ist, ist weiter ein prägender Kopf der Eintracht – schließlich hat er mit den Hessen eine lange Reise hinter sich. Dabei sieht Chandler, wie er im Interview mit unserer Deichstube erzählt, das verlorene „Abstiegsfinale“ 2016 gegen Werder Bremen im Rückblick als einen „Grundstein für den heutigen Erfolg“ des Europa-League-Siegers. Außerdem spricht er über seinen Eindruck von der aktuellen Bremer Mannschaft, über Werder-Torjäger Niclas Füllkrug und über die Eintracht als Bayern-Verfolger.
Herr Chandler, sieben Spiele waren Sie mit Eintracht Frankfurt ungeschlagen, die letzte Niederlage gab es im Oktober gegen Dortmund. Am vergangenen Wochenende verlor ihre Mannschaft nun mit 0:3 in Köln. Ist der Zwischenspurt vorbei?
Timothy Chandler: Uns war allen klar, dass du irgendwann auch mal wieder ein Spiel verlieren kannst. Wichtig ist, dass wir aus der Niederlage die richtigen Lehren ziehen und es gegen Werder Bremen zu Hause wieder besser machen. Eine Niederlage wird uns nicht aus der Bahn werfen, zumal wir genau wissen, woran es lag. Wir haben in dieser Saison noch Einiges vor.
Frankfurt galt nach der Erfolgsserie als einer der aussichtsreichsten Verfolger des FC Bayern München. War diese Einschätzung realistisch?
Das war vor allem ein mediales Thema. Wir als Mannschaft haben uns damit nicht beschäftigt. Wir schauen nur auf uns und auf unsere Spiele. Dann sehen wir, was am Ende der Saison dabei rauskommt. Was die anderen Klubs machen, können wir ohnehin nicht beeinflussen. Diese Einstellung hat uns in den vergangenen Jahren stark gemacht.
Aktuell steht die Eintracht auf dem sechsten Platz, hat zwei Punkte Rückstand auf die Plätze, die die Qualifikation für die Champions League bedeuten. Wie bewerten Sie die Chancen ihres Teams, das Ticket für die Königsklasse zu buchen?
Wie gesagt, entscheidend ist, wo wir am Ende stehen. Der Blick auf die Tabelle oder irgendwelche Rechenspiele bringen uns nichts.
Die ersten sechs Mannschaften in der Bundesliga sind noch im DFB-Pokal vertreten. Es deutet sich an, dass eines dieser Teams Pokalsieger wird und somit der siebte Tabellenplatz ausreicht, um in der nächsten Saison in Europa zu starten. Stimmen Sie dem zu?
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, ja.
Werder ist momentan Neunter, hat drei Punkte Rückstand auf den an siebter Stelle liegenden VfL Wolfsburg. Ist Bremen ein ernsthafter Kandidat für die Teilnahme am Europapokal?
In der oberen Tabellenhälfte geht es extrem eng zu. Da ist vieles möglich.
Wie sehen Sie das Team aus Bremen?
Sie performen als Aufsteiger sehr gut. Wobei Werder nicht der klassische Aufsteiger ist, sondern eigentlich ein etablierter Bundesligist. Das Team wurde nach dem Aufstieg nur punktuell verstärkt. Von außen scheint es so, als wäre dort eine Einheit zusammengewachsen, die nun auch in der Bundesliga eine gute Rolle spielen kann.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Begegnungen mit den Norddeutschen?
In meinem ersten Spiel gegen Werder 2011, damals noch mit dem 1. FC Nürnberg, habe ich meinen ersten Platzverweis in der Bundesliga gesehen, und wir haben 1:3 verloren – der Start war also alles andere als gut. Danach gab es aber auch einige Siege, ein 5:2 mit der Eintracht zu Hause 2014 ist mir noch in Erinnerung oder das DFB-Pokal-Viertelfinale 2020. Besonders präsent ist natürlich noch der 4:3-Auswärtssieg im Hinspiel.
Wie haben Sie das „Abstiegsendspiel“ 2016 erlebt, als Werder mit 1:0 gewann und die Eintracht in die Relegation schickte?
So kurz vor Schluss den Gegentreffer zu kassieren, tat damals sehr weh. In der Relegation haben wir dann aber Großartiges geleistet. Für mich auch ein Grundstein für den heutigen Erfolg.
Verstehen Sie den Hype, der augenblicklich um den Bremer Torjäger Niclas Füllkrug entfacht wird?
Deutsche Torjäger in der Bundesliga waren zuletzt ja eher selten. Ich glaube, der letzte deutsche Torschützenkönig kam aus Frankfurt (schmunzelt). Klar, dass Niclas Füllkrug da im Fokus steht. Vor allem nach der Weltmeisterschaft. Wir haben uns damals in Nürnberg knapp verpasst. Er kam 2014 von Werder zum Klub und ich bin im gleichen Sommer zurück zur Eintracht. Füllkrug ist in jedem Fall ein gutes Beispiel dafür, dass man auch als 30-jähriger Spieler nochmal eine Entwicklung nehmen kann.
Welche Werder-Spieler imponieren Ihnen besonders?
Ich glaube, dass das Team vor allem über das Kollektiv kommt. Einzelne Spieler möchte ich da nicht hervorheben. Niklas Stark kenne ich allerdings noch aus meiner Nürnberger Zeit.
Lange waren Sie ein wertvolles Mitglied der Eintracht-Elf, haben 2018 den DFB-Pokal und 2022 die Europa League gewonnen. Nun sind Sie eher zweite Wahl, bringen es nur auf vier Saisoneinsätze. Wie bekommt Ihnen die Rolle als Reservist?
Ich bin ein Spieler, der immer alles für die Mannschaft und den Verein gibt. Ob in der Startelf, als Einwechselspieler oder auf der Bank. Jeder hat seine Rolle und ist wichtig. Sonst wären wir in den vergangenen Jahren nicht so erfolgreich gewesen.
Die "Frankfurter Rundschau" hat Sie als Frohnatur, Spaßvogel und Integrationsbeauftragten beschrieben. Sie seien wichtig für die Stimmung in der Kabine. Trifft diese Charakterisierung zu?
Wenn die "Frankfurter Rundschau" das schreibt, wird es wohl stimmen (lacht). Nein, im Ernst. Natürlich bin ich für den einen oder anderen Spaß in der Kabine zu haben. Daraus mache ich keinen Hehl. Ich sehe es aber auch als meine Aufgabe als erfahrener Spieler an, die jungen Kollegen an die Hand zu nehmen und meine Erfahrung weiterzugeben. Dass ich den Klub von Kindesbeinen an kenne, hilft mir dabei.
Es heißt, Sie wollen 2025 Ihre Karriere beenden. Sieht so Ihre Lebensplanung aus?
(lacht) Haben Sie da auch eine gute Quelle? Mein Vertrag läuft zumindest bis 2025. Was danach ist, wird man sehen. Darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Ich bin voll fit und gebe in jedem Training Gas. Ich möchte noch viele Spiele für die Eintracht bestreiten.