Leidensgeschichte Wie Ex-Werder-Profi Hilßner für den Neustart seiner Karriere kämpft

2015 feierte Marcel Hilßner bei Werder Bremen sein Profidebüt. In der Folge setzte er sich im Verein aber nicht durch und versuchte sein Glück woanders. Nun ist er zurück in Bremen und kämpft um seine Karriere.
08.03.2023, 10:50 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Daniel Cottäus

Es ist kurz nach 16.30 Uhr, als am 26. September 2015 im Bremer  für einen kurzen Moment ein Stück Stoff in die Höhe gehalten wird, das Marcel Hilßner beim Aufwärmen vor der Westtribüne einen gehörigen Schreck einjagt. Es ist sein Trikot. Rückennummer 33. Das Signal zur bevorstehenden Einwechslung.

Eine gute halbe Stunde lang darf der talentierte Flügelspieler aus der U 23 des SV Werder Bremen in der Folge gegen Bayer Leverkusen sein Bundesliga-Debüt feiern. Es soll, so seine Hoffnung, nur der erste kleine von etlichen weiteren Schritten auf der ganz großen Bühne sein. Bis heute, März 2023, ist kein einziger hinzugekommen. Stattdessen Stationen bei sieben anderen Klubs, Verletzungspech, eine unerwartete Diagnose in England und schließlich die Entscheidung für einen fußballerischen Neustart. Für den ist Marcel Hilßner kürzlich zu Werder Bremen zurückgekehrt.

Marcel Hilßner für Reha zurück bei Werder Bremen

„Für diese Möglichkeit bin ich dem Verein extrem dankbar“, sagt Hilßner im Gespräch mit unserer Deichstube. Nach dem zweiten Kreuzbandriss seiner Karriere, zugezogen im Frühjahr 2022 im Trikot des FSV Zwickau, absolviert der 28-Jährige seit Jahresbeginn den finalen Teil seiner Reha am Osterdeich. Verein und Spieler haben dafür eine spezielle Abmachung getroffen, wie Björn Schierenbeck, der Direktor des Werder-Leistungszentrums, auf Nachfrage erklärt: „Marcel hat Ende Januar einen Vertrag bei uns unterschrieben. Es geht uns darum, ihn bei seiner Reha zu unterstützen. Die Idee war auch, dass er bei personellen Engpässen nach seiner Genesung eventuell der U 23 in der Regionalliga aushelfen kann.“ Fest eingeplant sei Hilßner dort jedoch nicht. Schierenbeck: „Wir wollen ihm vielmehr dabei helfen, dass er schnell wieder fit wird und sich im Sommer für einen neuen Verein empfehlen kann.“

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Das ist auch Hilßners großes Ziel, wieder ankommen, irgendwo, die dritte Liga kann er sich dafür gut vorstellen. „Ich muss jetzt mal wieder ein, zwei Jahre am Stück spielen, damit der Spaß am Fußball zurückkehrt. Der war in den letzten Jahren leider etwas rar gesät“, sagt der Profi, der seinen Traumberuf trotz etlicher Rückschläge noch lange nicht abgeschrieben hat.

Sommer 2016. Wenn Marcel Hilßner heute an die Zeit vor nunmehr knapp sieben Jahren zurückdenkt, hält er fest: „Vielleicht hätte ich nicht so ungeduldig sein sollen.“ Damals aber sieht der gebürtige Leipziger den Durchbruch bei Werders Profis in weiter Ferne und entscheidet sich im Alter von 21 Jahren für einen Wechsel zu Zweitliga-Aufsteiger Dynamo Dresden. Was Hilßner nicht wissen kann: Im Herbst übernimmt U-23-Coach Alexander Nouri den Posten des Cheftrainers bei Werder und setzt fortan immer mal wieder Spieler aus dem eigenen Nachwuchs ein.

Den Traum von England erfüllt

Für Hilßner geht es derweil nach einem Jahr mit acht Zweitligaspielen und dem Klassenerhalt mit Dresden im Sommer 2017 nach Rostock. Heute nennt er die Zeit beim damaligen Drittligisten Hansa, „die mit Abstand erfolgreichste und schönste meiner Laufbahn“. Selbst ein Kreuzbandriss im Frühjahr 2018 wirft den robusten Offensivspieler nicht aus der Bahn. Nach seiner Rückkehr im Herbst ist er sofort wieder Leistungsträger. Bereits im Januar 2019 legt ihm der Zweitligist SC Paderborn einen Vertrag für die neue Saison vor. Hilßner unterschreibt – und sieht in den Folgemonaten das Glück seines neuen Vereins zu seinem persönlichen Pech werden.

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„Paderborn ist am Ende doch noch in die Bundesliga aufgestiegen und hat den Kader komplett umstrukturiert“, sagt Hilßner, der sich damals noch nicht als Erstligaprofi sieht. Mit Trainer Steffen Baumgart kommt er zwar bestens aus („Er nimmt jeden mit, lässt keinen links liegen“), spielt aber trotzdem nicht. Deshalb lässt er sich im Januar 2020 zu Drittligist Halle verleihen und wagt im Sommer 2020 sogar den ganz großen Schritt: nach England.

Coventry City, gegründet 1883, FA-Cup-Sieger 1987 und jahrelang fester Bestandteil der ersten englischen Liga – von diesem Traditionsklub, gerade wieder in die Zweitklassigkeit aufgestiegen, erhält Hilßner ein Angebot und überlegt nicht lange. „Ich habe meinen Traum vom englischen Fußball gelebt“, sagt er heute über seine eineinhalb Jahre auf der Insel. Wobei die Zeit in der Industriestadt Coventry zunächst zum Albtraum wurde. Kurz nach seinem Wechsel, mitten in der Vorbereitung auf die Saison 2020/21, hat Hilßner im Training plötzlich Probleme mit dem Luftholen. „Wenig später wurde festgestellt, dass ich Asthma habe“, berichtet er. Es folgt eine medikamentöse Einstellung und Coventrys Entscheidung, den Neuzugang aus Deutschland doch noch einmal weiterzureichen – per Leihe zum Drittligisten Oldham Athletic.

Ex-Werder-Profi Marcel Hilßner: "Der Kontakt ist nie abgerissen"

Unter dessen Trainer Harry Kewell, der als Profi mit dem FC Liverpool 2005 die Champions League gewann, spielt Hilßner sofort, bringt es am Ende auf 20 Einsätze und kehrt im Sommer 2021 entsprechend motiviert nach Coventry zurück. Dort wird jedoch nicht mehr mit ihm geplant. Bis Hilßner das endgültig erfährt, dauert es allerdings. „Deshalb war am Ende die Zeit für einen Wechsel zu knapp.“ Ein halbes Jahr lang, bis Januar 2022, spielt Hilßner für das zweite Team von Coventry, ehe es zur Leihe zurück in die Heimat, zum FSV Zwickau kommt. Ganze acht Mal läuft er für den Verein in der dritten Liga auf. Dann reißt er sich im April während des Halbfinals des Sachsenpokals gegen Chemie Leipzig bei einer Rettungsaktion das Kreuzband im linken Knie, Fußballjahr vorbei.

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„Ja, da ist einiges schiefgelaufen“, sagt Hilßner, als sich seine Erzählung im Gespräch mit unserer DeichStube dem Hier und Jetzt nähert. Niedergeschlagen oder gar verbittert klingt er dabei aber nicht. Ganz im Gegenteil. „Ich bin erst 28 Jahre alt und habe im Fußball noch etwas vor“, betont Hilßner, der bis zum Sommer bei Werder nun den Grundstein für seinen Neustart legen möchte. Deshalb ist er mit seiner Verlobten und dem sechs Monate alten Sohn aus der Wohnung in Leipzig vorübergehend zu seinen Schwiegereltern nach Verden gezogen. Von dort aus geht es beinahe täglich zum Weserstadion, in den Kraftraum, auf den Platz. „Eine runde Sache“, nennt Hilßner das, ehe er abermals seine große Dankbarkeit gegenüber Werder betont.

„Der Kontakt zum Verein ist nie abgerissen. Ich habe immer gerne an meine Zeit in Bremen zurückgedacht“, sagt der 28-Jährige, dessen Trikot mit der Rückennummer 33 vor gut sieben Jahren für einen kurzen Moment im Weserstadion in die Höhe gehalten wurde. Auch heute ist es übrigens wieder ein Stück grüner Stoff, das Hilßner Mut macht: „Als ich das erste Mal wieder die Werder-Trainingssachen angezogen habe, war das ein sehr schönes Gefühl.“

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