Es ist nicht anzunehmen, dass sie in Werders Marketing-Abteilung über hellseherische Fähigkeiten verfügen, aber der Gedanke könnte einem kommen. Auf den großflächigen Plakaten, mit denen über die ganze Stadt verteilt das jeweils nächste Heimspiel angekündigt wird, steht stets ein griffiger Slogan, den sich die PR-Strategen des Klubs ausgedacht haben. Zu der Partie gegen Union Berlin prangte das Wort „Verstärker“ ausladend über einem Foto von Kevin Vogt.
Das trifft auf die Partie in allen Belangen zu. Das 0:2 gegen den Aufsteiger aus Berlin hat die Wucht eines Verstärkers der Bremer Krise. Es gibt etliche Zahlen und Statistiken, die die weitere Eskalation belegen. Werder ist nun auf Rang 17 in der Tabelle abgerutscht, einen direkten Abstiegsplatz. Es ist die fünfte Heimniederlage in Folge, die dritte im vierten des Spiel des neuen Jahres. 48 Gegentore haben die Bremer kassiert, nur Mainz kommt auf denselben Wert. Und die 25 erzielten Treffer in 21 Spielen werden nur von Düsseldorf unterboten, die auf 20 Tore kommen.
Die Krise hat viele Gesichter. Nichts klappt mehr, nicht einmal die Wahl eines Slogans scheint den Bremern noch zu gelingen.
Zu statisch, zu langsam
Auf dem Platz, das erfolgreiche Spiel gegen Borussia Dortmund im Pokal mal ausgenommen, klappt schon länger nichts mehr. Die Einfallslosigkeit und das statische Spiel werden nur noch von der Langsamkeit übertroffen, die alle Bereiche nach und nach befallen hat. Werder ist langsam auf dem Platz, wenn es gilt, dem Gegner im Sprint zu entwischen oder ihn zu verfolgen. Die Spieler sind aber auch langsam, wenn Pässe gespielt, Angriffe eingeleitet oder unterbunden werden müssen. Wenn Entscheidungen gefragt sind, brauchen die Bremer Spieler schlicht zu lange, bis sie diese getroffen haben.
„Wir waren zu langsam im Kopf, zu behäbig“, sagte Florian Kohfeldt in der Analyse des Spiels gegen Union Berlin und machte diese Behäbigkeit als wichtigste Ursache der Niederlage aus. „Wir haben immer versucht, noch eine bessere Situation zu finden. Wir haben immer nur in die Breite gespielt statt in die Spitze.“ Herausgekommen sei eine Leistung, der es an fast allem gemangelt habe: „Wir haben zu wenig Zug zum Tor gehabt. Wir haben Bälle in Räumen verloren, wo wir absolut keine Bälle verlieren durften. Und in der zweiten Halbzeit haben wir so den Kopf verloren, dass wir die Konterabsicherung vergessen haben.“ Zweimal hat Union erschreckend simpel vorgeführt, wie solche Fehler zu nutzen sind.
Fokus wird auf die Spieler gelenkt
Ganz anders als die Bremer. Seit Wochen, nein, seit Monaten ist die Mannschaft nicht in der Lage, Lösungen zu finden, um das eigene Spiel durchzubringen. Woran das denn liege, wurde Frank Baumann gefragt. An mangelnden Angeboten jedenfalls nicht, entgegnete der Sportchef: „Es werden Lösungen aufgezeigt. Florian steht insbesondere dafür, Lösungen mit Ball anzubieten.“
Damit war die Richtung gesetzt. Baumann lenkte den Fokus weg vom Trainer und richtet ihn auf die Spieler. Kohfeldts Entlassung stehe nicht zur Disposition, wöchentliche Fragen danach würden daran auch nichts ändern, stellte der Sportchef fest: „Das steht.“ Gefordert sind jetzt die, die auf dem Platz stehen und nicht der, der an der Bank steht. „Wir müssen die Mannschaft nach so einer Leistung – was wir eigentlich nicht machen – auch öffentlich anzählen“, sagte Baumann und forderte zugleich einen Effekt seiner Worte ein: „Das muss eine Wirkung haben. Da muss die Mannschaft eine Reaktion zeigen.“
Ob die kommt? Baumann will jedenfalls ab sofort genau hinschauen und dabei entdecken, wer auf dem steinigen Weg zum Klassenerhalt zu gebrauche sei – und wer eher nicht. „Intern werden wir das knallhart analysieren und schauen, auf welche Spieler wir in den nächsten Wochen und Monaten setzen können. Das ist eine besondere Situation. Da muss man genau hinschauen, welche Spieler bereit sind, alles zu investieren.“ Insgesamt, kündigt er an, werde es nun deutlich ungemütlicher für die Spieler. „Sie wissen, dass sie jetzt schärfer angepackt werden. Öffentlich, aber auch intern.“
Drei Verteidiger kehren zurück
Markige Worte, die nach Konsequenzen und grundlegenden Veränderungen klingen. Was ihnen tatsächlich folgen wird, bleibt abzuwarten. Viele personelle Alternativen gibt der Kader nicht her, auch wenn die Rückkehr der Außenverteidiger Ludwig Augustinsson, Theo Gebre Selassie und Michael Lang bevor steht. Eine komplett neu zusammengestellte Mannschaft werde es gegen Leipzig am Sonnabend ohnehin nicht geben, räumte Baumann bereits ein. Und überhaupt seien seine Worte nicht als Drohung gemeint: „Wir schauen genau hin, wer in welcher Verfassung ist und wer es ableisten kann. Wer passt am besten zusammen. Wir schauen genau hin, wer sich aufopfert und alles gibt.“
Aktuell trifft das nicht auf viele Spieler des Kaders zu. Und es war wieder mal der tapfere Leonardo Bittencourt, der sich nach jeder Niederlage als einer der wenigen Spieler in die Mixedzone traute und den Journalisten zu erklären versuchte, was nicht zu erklären ist. Heraus kamen dabei Sätze wie: „Weiter machen, weiter machen. Aus Niederlagen lernen. Mir wurde beigebracht, nie aufzugeben.“ Oder: „So lange alles möglich ist, werden wir weiter kämpfen und probieren, da unten raus zu kommen. Es bringt nichts, jetzt rumzuheulen.“ Ohne Frage ehrenwerte Worte, doch ihnen entgegen stehen die leblosen Leistungen, die die Mannschaft Woche für Woche abliefert. Und langsam läuft die Zeit davon. 13 Spiele bleiben noch, Worte und Leistungen wieder in Einklang zu bringen.