Viktor Skripnik hatte am Donnerstagnachmittag, nun ja: nicht gerade herausragend gute Laune. Er war in die Mixed Zone im Weserstadion gekommen, um mit den Journalisten zu sprechen, und die Journalisten stellten ihm ziemlich viele Fragen zu Claudio Pizarro.
Das war wenig überraschend, denn Pizarro war das große Thema an diesem Tag, bei Werder und in Bremen. Skripnik aber klang, als hätte er am liebsten gar nichts gesagt zu den Verhandlungen seines Klubs um eine Rückkehr des Angreifers, der schon zweimal bei Werder unter Vertrag gestanden hat. „Fragen Sie die Leute, die daran arbeiten. Ich habe andere Baustellen“, sagte Skripnik. „Ich trainiere die Spieler, die ich zur Verfügung habe.“ Und: „Ich kommentiere nur die Fakten.“ Zu einer konkreten Aussage immerhin ließ sich Werders Trainer dann doch noch hinreißen: „Pizarro ist ein Superspieler und guter Freund.“
Sogar der brummelig gestimmte Skripnik hat es also nicht vermeiden können, mal kurz von Pizarro zu schwärmen. Das lässt erahnen, welche Wucht die Nachricht hat, dass der Peruaner demnächst wirklich wieder im Weserstadion auflaufen könnte. Zwar betont Geschäftsführer Thomas Eichin: „Ich sage dazu gar nichts.“ Aber nach Informationen des WESER-KURIER verhandelt Werder intensiv mit Pizarro und seinem Berater Carlos Delgado – und rechnet sich durchaus Chancen aus, dass der Transfer klappt.
Pizarro (36) hat beim FC Bayern im Sommer keinen neuen Vertrag mehr bekommen und ist zurzeit vereinslos. Das eröffnet den Bremern zum einen überhaupt die Chance, ihn auch jetzt, nach dem Ende der Transferperiode, noch zu verpflichten. Zum anderen führt es dazu, dass sie längst nicht der einzige Klub sind, der um den Peruaner buhlt. Es soll, wie zu hören ist, diverse Bieter aus dem In- und Ausland geben. Aber die Bremer hoffen nicht ohne Grund, dass Pizarro am Ende doch bei ihnen unterschreibt. Sie werden ihm zwar bei weitem nicht das Gehalt in Aussicht stellen können, mit dem ihn andere Vereine locken. Aber sie dürfen darauf bauen, dass er sich daran erinnert, wie sehr er einst in Bremen verehrt worden ist – und auch heute noch verehrt wird. Pizarro wird sich entscheiden müssen, was ihm in seinen letzten Jahren als Profi wichtiger ist: Geld oder Liebe. Ein, zwei Millionen mehr auf dem Konto – oder die Aussicht auf das Gefühl, dass eine ganze Stadt ihm zu Füßen liegt.
Schlitzohrig und cool
Auf den ersten Blick verwundert es, dass Werder sich um den Angreifer bemüht, denn seine Verpflichtung schiene die Strategie zu konterkarieren, die der Klub zuletzt propagiert hat. Werder mühte sich, seinen Profikader jünger und kostengünstiger zu machen. Pizarro würde nun den Altersschnitt spürbar anheben und gewiss nicht zu den Geringverdienern zählen; nur aus Nostalgie käme er ja eher nicht. Auf den zweiten Blick jedoch hätte eine Verpflichtung Pizarros Charme und könnte Werder entscheidend voranbringen, sportlich und vielleicht sogar finanziell.
Natürlich ist Pizarro nicht mehr der Pizarro von früher. Er ist nicht mehr der 20-jährige Jüngling, der einst zu Werder kam und in seiner ersten Saison die Bundesliga überraschte. Er ist auch nicht mehr der 30-jährige Vollprofi, der später nach Bremen zurückkehrte, gestärkt durch seine Erfahrungen beim FC Bayern und FC Chelsea. Er ist jetzt ein Routinier auf der Zielgeraden seiner Karriere. Aber er hat heute noch das, was er immer hatte: einen Instinkt vor dem Tor, der selten trügt; eine Schlitzohrigkeit, die jeden Gegner verunsichert; eine Coolness, die das junge Bremer Team stabilisieren könnte. Werder könnte sehr gut eine prägende, souveräne Figur wie Pizarro gebrauchen, an der sich alle orientieren können. Zu der sie jederzeit ruhigen Gewissens den Ball spielen können, wenn sie gar nicht mehr weiterwissen.
Und Werder braucht nicht nur Erfahrung, Werder braucht auch ganz banal noch einen weiteren Stürmer. Zurzeit stehen Skripnik in Anthony Ujah und Aron Johannsson nur zwei gelernte Angreifer zur Verfügung. Der dritte, Melvyn Lorenzen, plagt sich mal wieder mit Problemen im Knie. Jetzt hat er eine Sehnenreizung; in den nächsten Tagen soll er wieder ins Training einsteigen. „Da müssen wir Geduld haben“, sagt Geschäftsführer Eichin. „Er ist wirklich ein Superspieler, aber wir planen ihn erst mal nicht ein.“ Lorenzens Gelenk soll in Ruhe gesund werden können. Was aber, wenn sich Ujah verletzt? Auf diese bange Frage wäre eine Verpflichtung Pizarros eine entspannte Antwort.
Perfekt zu vermarkten
Zudem hätte Werder in dem Peruaner endlich wieder ein prominentes Gesicht, das sich auch überregional perfekt vermarkten ließe. Werder hätte einen Spieler, mit dessen Namen sich bestimmt viele Fans ein Trikot kaufen würden. Werder würde viel stärker wahrgenommen als jetzt. Werder wäre nicht mehr der Klub, der schon froh ist, wenn er im sicheren Bundesliga-Mittelfeld steht – sondern ein Klub, der was wagt und der plötzlich wieder richtig sexy ist. Glamourös statt grau.
Hans Schulz, einst Werder-Profi, heute Werder-Aufsichtsrat, sagt, als Fußballer könne er sich eine Verpflichtung Pizarros „wunderbar vorstellen“. Er würde sie begrüßen: „Ein Name wie Pizarro ist in Bremen immer interessant, das steht außer Frage. Er wäre eine Bereicherung. Gerade wenn wir auf junge Leute setzen, könnte er ihnen helfen.“ Ob der Transfer machbar ist, stellt Schulz aber klar, „das muss die Sportliche Leitung entscheiden.“
Egal ob der Deal tatsächlich zustande kommt oder nicht: Die Art, wie er diskutiert wird, sagt schon unendlich viel darüber aus, wie es Werder gerade geht. Seit Jahren muss der Klub sparen, und die Fans hören immer wieder das Wort Konsolidierungskurs, das in ihren Ohren schrecklich klingen muss. Wenn jetzt Pizarro käme, dann wäre das ein ganz anderes Signal. Es würde zeigen: Da geht noch was.
Claudio Pizarro hat von 1999 bis 2001 für Werder gespielt und von 2009 bis 2012. Es gibt nur wenige Spieler, die in der Geschichte dieses Vereins so bejubelt worden sind wie er. Pizarro ist bei Werder eine Legende wie Johan Micoud, wie Wynton Rufer, wie Rune Bratseth. Natürlich könnte er den Fans nicht die guten alten Zeiten zurückbringen, von denen sie jetzt träumen. Denn nicht nur er ist nicht mehr derselbe wie damals, auch sein Klub ist nicht mehr derselbe, und die Bundesliga hat sich sowieso radikal verändert. Aber sollten Werder und der Stürmer sich tatsächlich noch einmal aufeinander einlassen, dann wäre das trotzdem oder gerade deshalb das spannendste Experiment, das es im Weserstadion seit langer Zeit zu beobachten gibt.
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