Interview mit Berater Kosicke "Trainer sind die einsamsten Menschen"

Marc Kosicke berät die Trainergrößen der Branche und war 2012 Werders Wunschkandidat für die Nachfolge von Klaus Allofs. Dem WESER-KURIER verriet er, warum er ablehnte und was Werder so besonders macht.
06.08.2017, 16:11 Uhr
Lesedauer: 7 Min
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Von Christoph Sonnenberg

Herr Kosicke, Sie sind Marktführer in einer Marktlücke. Wie ist vor zehn Jahren die Idee entstanden, Ihre Agentur zu gründen?

Marc Kosicke: Der Mitinitiator war Oliver Bierhoff. Ich durfte ihn während seiner Übergangszeit vom Spieler zum Manager der Nationalmannschaft begleiten. In der Zeit entstand die Idee, eine gemeinsame Agentur zu gründen. Wir wollten mit Leuten zusammenarbeiten, die im Fußball Verantwortung übernehmen: Trainer, Manager, Entscheidungsträger. Oliver ist schnell operativ ausgeschieden, weil seine Aufgabe als Manager der Nationalmannschaft sehr umfangreich wurde und wir Interessenskonflikte vermeiden wollten.

Wofür steht der Buchstabe b im Agenturnamen Projekt b?

Nicht für Bierhoff. (lacht) Wir hatten keine Idee, wie wir die Agentur nennen wollten. Beim Durchblättern eines Magazins ist uns ein Artikel über das Produktionsbüro Brad Pitts aufgefallen, welches Plan B heißt. Da haben wir unser Projekt „Projekt b“ genannt. B steht für viel Schönes: Ball, Butter, Brot, Bier, Bremen…. Der Name sollte uns einfach nicht auf ein bestimmtes Feld festlegen.

Ihr erster Klient war Jürgen Klopp?

Jürgen habe ich während meiner Zeit bei einem Sportartikelhersteller als Markenbotschafter betreut. Als er mitbekam, dass ich mich selbstständig machen will, hat er mich gefragt, ob ich ihn nicht beraten könne. Jürgen war die Initialzündung, er war und ist nicht nur ein guter Trainer, sondern in seiner Art der Arbeit und Außendarstellung einfach Zeitgeist und darüber hinaus für Unternehmen sehr interessant. Schnell schlossen sich weitere Trainer unserer Idee an.

Sie vertreten viele junge Trainer. Wie entdecken Sie die?

Durch umfangreiches Scouting. Wir haben früh damit angefangen. Julian Nagelsmann, Manuel Baum oder Sandro Schwarz sind junge Trainer, aber wir arbeiten schon seit fünf, sechs Jahren mit ihnen zusammen.

Wie scoutet man Trainer?

Durch ein Netzwerk. Ich bin seit 20 Jahren in dem Geschäft, da bekommt man Tipps. Julian Nagelsmann habe ich zum ersten Mal beobachtet, da war er 24. Ich habe mir zwei, drei Spiele angeschaut und beobachtet, wie er coacht, wie er mit Spielern und Eltern umgeht. Mein bester Scout ist aber Jürgen Klopp. Torsten Lieberknecht, Sandro Schwarz, André Schubert waren seine Tipps.

Was für Leistung bietet Ihre Agentur?

Wir haben vier Säulen. Die erste: Trainer in Lohn und Brot zu bringen und sie im Job oder in der joblosen Zeit zu betreuen. Die zweite ist klassische Vermarktung. Dann bieten wir ganzheitliches Klubmanagement als dritte Säule. Die vierte Säule ist die Vermittlung von Vorträgen.

Was beinhaltet ganzheitliches Klubmanagement?

Wir haben beispielsweise in Hoffenheim den Klub von ganz unten bis ganz oben durchleuchtet. Klubphilosophie, Spielphilosophie, personelle Aufstellung, arbeiten die richtigen Personen im Klub? Das war ein langfristiges Projekt. 2008 haben wir für Bayern die Mia-san-Mia-Philosophie entwickelt.

Wie kam es dazu?

Ich habe Uli Hoeneß seinerzeit zufällig im Flugzeug getroffen, und er wetterte, dass die Spieler gar nicht mehr wissen würden, wofür Bayern München eigentlich stehe. Daraufhin habe ich ihn gefragt, ob er das erklären könne. Da war er interessiert. Ich habe ihm von Unternehmensmaximen erzählt, in denen die Werte stehen, nach denen sich die Mitarbeiter großer Unternehmen richten müssen. Als er fragte, ob ich so etwas entwickeln könne, habe ich sehr selbstbewusst Ja gesagt. Wir haben eine Arbeitsgruppe gebildet aus einem Querschnitt der Angestellten, vom Profi bis zum Zeugwart, und gemeinsam die Mia-san-Mia-„Bibel“ entwickelt.

Wie entstand die Idee, Trainerberater zu werden?

In meiner Zeit bei einem Sportartikelhersteller habe ich festgestellt, dass Trainer die manchmal einsamsten Menschen in den Klubs sind. Sie tragen sehr viel Verantwortung, bewegen sich permanent in einem Mikrokosmos. Dabei ist es wichtig, in verschiedenen Momenten die Perspektive zu wechseln und einen Rat von außen zu bekommen. Der Bedarf war also da. Ferner sind auch die Trainer froh, nicht selber ihre Verträge verhandeln zu müssen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Trainer- und Spielerberatern?

Spielerberater müssen nicht fürchten, dass ihr Klient während der Vertragslaufzeit gefeuert wird. Ein Trainer wird durch die Entlassung öffentlich gebrandmarkt, da bedarf es Aufbauarbeit. Spielerberater verdienen vor allem bei häufigen Klubwechseln. Als Trainer ist es ein Prädikat, lange bei einem Klub zu arbeiten und gemeinsam auch Krisen zu meistern. Ein gutes Beispiel ist Torsten Lieberknecht in Braunschweig. Er ist seit zehn Jahren im Amt. Von der Regionalliga bis in die Bundesliga aufgestiegen und jetzt in der 2. Liga als ständiger Aufstiegsaspirant etabliert. Insgesamt ist der Markt für Trainer sehr klein. Wieder unterzukommen ist nach einer Entlassung entsprechend schwierig.

Es gibt derzeit sehr viele junge Trainer in der Bundesliga. Ist das eine Mode oder eine Trendwende?

Zum einen ist es eine Notwendigkeit, weil die Klubs begonnen haben, eigene Trainer auszubilden. Nagelsmann in Hoffenheim, Nouri in Bremen, Baum in Augsburg. Zum anderen ist ein Trend zu erkennen, den man mit dem Attribut „unbefleckt“ beschreiben kann. Trainer, die noch keinen negativen Track record haben, sind momentan begehrt. Es gibt ja unheimlich viele erfahrene Trainer auf dem Markt. Aber in den vergangenen knapp zwei Jahren sind sehr viele in der Bundesliga gelandet, die dort nie zuvor gearbeitet haben: Tedesco, Nagelsmann, Baum, Nouri, Frings, Dardai, Schwarz, Herrlich, Bosz, Jonker. Die Suche nach dem Neuen, Besonderen ist auffällig.

Werden Trainer wie Dutt, Labbadia oder Slomka noch mal auftauchen, oder sind sie vom Karussell gefallen?

Ich denke, es wird genug Situationen bei den Vereinen geben, in denen wieder Erfahrung gefragt ist. Ein gutes Beispiel ist Ewald Lienen, der Jahre von der Bildfläche verschwunden war und sein erfolgreiches Comeback beim FC St Pauli feierte. Alles ist möglich.

Was unterscheidet die ältere Generation von der jüngeren?

Die älteren Trainer waren oftmals Profis und haben schon eine Karriere hinter sich. Die aktuellen Trainer der jüngeren Generation haben jetzt die Chance, ihren Traum vom Bundesliga-Fußball zu leben. Da die heutige Spielergeneration in den Nachwuchsleistungszentren ausgebildet wurde, liegt es nahe, auch die Trainer dort auszubilden. Heute liegt der Fokus auf Spielsystemen, früher lag er eher auf Zweikampf, Mannschaftsgeist und individueller Klasse. Ferner ist das Aufgabengebiet breiter geworden. Trainer müssen heute führen, delegieren, kommunizieren, also viel mehr Managementaufgaben übernehmen. Und noch etwas wird sich verändern. In Zukunft werden für die Top-Trainer hohe Ablösesummen bezahlt. Der Trainer ist die wichtigste Person in einem Verein. Um den jeweils Richtigen zu bekommen, werden die Vereine investieren.

Kommen wir zu Werder. Sie waren 2012 Kandidat für die Nachfolge von Klaus Allofs, haben dann aber abgesagt. Jetzt sind fünf Jahre vergangen. Könnten Sie sich den Job als Bundesliga-Manager heute vorstellen?

Das Angebot war eine große Ehre, und ich habe mich sehr intensiv damit auseinandergesetzt. Ich schließe es nicht aus, irgendwann mal bei einem Klub zu arbeiten. Aber meine Kinder sind noch klein, und mit dem Anspruch, ein präsenter Vater zu sein, ist dieser Job nicht zu vereinbaren. Dazu kommt, dass ich nicht gerne ein öffentlicher Mensch bin. Anhand von Ergebnissen am Wochenende beurteilt zu werden, von Menschen, die meine Arbeit in der Tiefe nicht beurteilen können, damit würde ich nicht so gut klarkommen.

Es gibt nicht viele, die so einen Job ablehnen.

Das muss jeder für sich selber entscheiden. Und scheinbar hat mich die Absage für andere Vereine interessant gemacht. Es gab danach noch einige andere Vereine, die ebenfalls angefragt haben. Ich habe niemals damit gerechnet, den Job bei Werder angeboten zu bekommen. Eigentlich war ich in Bremen, um ein geeignetes Profil für die Nachfolge von Klaus Allofs vorzustellen.

Und dann ist was passiert?

Ich habe die Situation des Vereins analysiert und wollte dem Aufsichtsrat einen Kandidaten vorschlagen, bin dazu aber nicht gekommen. Das Meeting wurde irgendwann unterbrochen und nach der Pause teilte man mir mit, dass ich der geeignete Kandidat wäre. Rumms. Das alles passierte im Weserstadion, bei dem Verein meines Herzens. Da ist man erst mal so emotional aufgeladen, dass man vor Freude zusagen würde. Zum Glück gibt es noch den Kopf. Ich wäre der Aufgabe nicht gerecht geworden.

Sie kennen viele Klubs und wissen, wie diese funktionieren. Was ist das Besondere an Werder?

Ich bin Bremer und deshalb nicht ganz objektiv, aber ich versuche es mal. Dieser Verein entwickelt eine unglaubliche Kraft, weil die Menschen in der Stadt Werder leben. Jeden Tag. Das ist sehr besonders. Werder gilt noch immer als Klub, der lange an einem Trainer festhält. Der Probleme zunächst intern löst. Viele Spieler kehren nach der Karriere zurück nach Bremen. Manche würden gerne wieder für den Klub arbeiten. Werder strahlt eine Wärme aus, die bemerkenswert ist. Viele Trainer, auch einige, die im Job sind, können sich gut vorstellen, Werder einmal zu trainieren. Der Klub hat nach wie vor eine große Anziehungskraft.

Kann der Klub noch mal an die alten erfolgreichen Zeiten anknüpfen, oder ist der Abstand mittlerweile zu groß?

Ich denke, dass die Menschen in Bremen etwas gebraucht, aber schlussendlich erkannt haben, dass es mittlerweile kein Grundrecht auf ewige Bundesligazugehörigkeit gibt. Eine Saison wie die vergangene ist ein Erfolg, sich zweimal mit Viktor Skripnik gerettet zu haben aber auch. Ich denke vielmehr, dass man sich ehrlich und klar positionieren sollte. Wir sind das kleinste und ärmste der alten Bundesländer. Aber die Nummer 1 im Norden. Hier hält man in der Krise zusammen und entwickelt eine Wagenburgmentalität im Zusammenschluss mit den Fans. Das ist einzigartig. Wer hier Punkte mitnehmen will, muss schon einen Sahnetag erwischen.

Plaudern Sie doch zum Schluss mal ein bisschen aus dem Nähkästchen. Geht Julian Nagelsmann nächstes Jahr zum FC Bayern?

Das Leben ist dynamisch. (lacht) Nein, ich glaube nicht, nächsten Sommer hat er noch drei Jahre Vertrag in Hoffenheim. Er ist da gut aufgehoben. Mit 30 Jahren hat er ja noch genügend Zeit, sich in Ruhe zu entwickeln.

Wird Jürgen Klopp der nächste Nationaltrainer?

Sein Vertrag in Liverpool läuft bis 2022. Und bei Joachim Löw ist es ähnlich wie bei Angela Merkel: Niemand kann sich vorstellen, dass da mal jemand anderes steht. Sollte es mal dazu kommen, kann Jürgen sicher auch die Nationalelf trainieren. Momentan macht es ihm aber noch zu viel Spaß, täglich mit einer Mannschaft auf dem Rasen und in Anfield zu arbeiten.

Marc Kosicke betreut als Berater ausschließlich Trainer. Zu den Klienten des 46-jährigen Bremers gehören Jürgen Klopp, Julian Nagelsmann und Torsten Frings. Kosicke gilt in der Fußball-Branche als bestens vernetzt. Auch deshalb war er 2012 als Nachfolger von Klaus Allofs bei Werder im Gespräch.

Das Gespräch führte Christoph Sonnenberg.

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