Als es losging ins Trainingslager, standen sie in der Abflughalle des Bremer Flughafens noch ein bisschen abseits in einer kleinen Gruppe. Die jungen Spieler aus den eigenen Nachwuchsteams, die sich im Zillertal für Werders Profikader empfehlen können, schauten sich aus sicherer Entfernung an, wie die etablierten Kollegen nach und nach eintrafen. Mittlerweile ist das Trainingslager im vollen Gange, und die Youngster haben sich gut integriert. „Ich muss ihnen ein Kompliment aussprechen. Ich bin sehr zufrieden mit der Performance“, sagt Trainer Florian Kohfeldt. Einzelbewertungen möchte er nicht vornehmen. Werder geht vorsichtig mit ihnen um, Interviews sollen sie auch nicht geben.
Ohnehin hatte Kohfeldt klargemacht, dass die Österreich-Reise für die Talente zum Lernen gedacht sei. Dass sie diese Chance erhalten, liegt auch daran, dass die WM-Teilnehmer Milos Veljkovic, Ludwig Augustinsson sowie Yuya Osako ebenso fehlen wie die geplanten zwei Neuzugänge für das Mittelfeld. Damit er trotzdem genügend Spieler für zwei komplette Teams zur Verfügung hat, hat Kohfeldt junge Talente mitgenommen. „Es geht bei dem einen oder anderen darum, dass er dabei ist. Nicht darum, dass wir über eine direkte Bundesliga-Perspektive reden“, betont der Coach. „Alle wecken unsere Hoffnungen, dass es auf Dauer in diese Richtung gehen kann.“
Ilia Gruev:
Aus dem Vater-Sohn-Duell wurde nichts. Ilia Gruev junior kam nicht zum Einsatz, als Werder gegen den MSV Duisburg spielte, den Ilia Gruev senior trainiert. „Es gibt keine Geschenke“, hatte Kohfeldt angekündigt. Seine Chance bekam Gruev stattdessen gegen den tschechischen Erstligisten FK Pribram. Der 18-Jährige wurde zur zweiten Halbzeit eingewechselt. Dabei kam der defensive Mittelfeldspieler als zentraler Mann einer Dreierkette in der Abwehr zum Einsatz. Gruev, der in der vergangenen Saison noch für die U 19 spielte, konnte seine Stärken dennoch durchaus zeigen: Er ist sicher im Passspiel und hat für sein Alter bereits eine gute Übersicht. Woran es ihm noch mangelt, machte der Einsatz gegen die körperlich starken Tschechen aber auch deutlich: In den Zweikämpfen ließ sich der schmächtige Gruev manchmal zu einfach abkochen.
Jean-Manuel Mbom:
Mit 18 Jahren macht er gerade seine ersten Schritte bei den Profis, doch von Zurückhaltung ist bei Jean-Manuel Mbom nicht viel zu sehen. Der offensive Mittelfeldspieler ist sehr präsent und sucht die Zweikämpfe. Beim Testspiel gegen Pribram zeigte Mbom, dass er aber auch schnell zum Hitzkopf werden kann. Nach einem Zweikampf geriet er mit seinem Gegenspieler aneinander. Es folgte eine Rangelei, die in der Bundesliga wahrscheinlich Gelbe Karten für beide Beteiligten zur Folge gehabt hätte, im Testspiel drückte der Schiedsrichter ein Auge zu. Kohfeldt ließ ihn auf der Achter-Position spielen, situationsbedingt rückte der 18-Jährige aber auch weit nach vorn auf bis in den Angriff. Mbom ist dynamisch, robust und spielstark. Auch wenn er sich einige Flüchtigkeitsfehler im Passspiel erlaubte: Der Träger der Fritz-Walter-Medaille in Silber in der Kategorie „Bester U 17-Spieler Deutschlands“ konnte bislang im Zillertal positiv auf sich aufmerksam machen. Gut möglich, dass er auch im zweiten Trainingslager am Chiemsee weiter Eigenwerbung betreiben darf.
Simon Straudi:
Seine Nominierung für das Trainingslager war die wohl größte Überraschung. Simon Straudi profitierte als offensiver Mittelfeldspieler davon, dass Werder auf dieser Position aktuell noch dünn besetzt ist. Im Training blieb Straudi bislang eher unauffällig. In den Testspielen gegen Duisburg und Pribram kam der 19-Jährige als einziger Feldspieler nicht zum Einsatz. Dafür erhielt er am Montag eine Extra-Einheit bei Cheftrainer Kohfeldt, während der Rest der Mannschaft ein lockeres Regenerationsprogramm absolvierte. Kohfeldt ließ das Talent immer wieder Torabschlüsse üben. Der Coach sieht offensichtlich Potenzial in Straudi. Erst einmal muss sich der Mittelfeldspieler aber wohl in der Regionalliga etablieren und den Sprung von der U 19 in die U 23 schaffen.
Jannes Vollert:
Jannes Vollert war schon einige Male bei den Profis dabei, und das ist dem Innenverteidiger auch anzumerken. Für seine 20 Jahre spielt er bemerkenswert abgeklärt. Gegen Pribram bot Vollert über 90 Minuten eine grundsolide Leistung. Genauso tritt er auch im Training auf. Wenn Milos Veljkovic seinen WM-Urlaub beendet hat, ist Vollerts Platz aller Voraussicht nach wieder in der U 23. Dass er eine zuverlässige Alternative für die Profis sein kann, hat er im Zillertal angedeutet. Pech für Vollert war allerdings, dass er wegen einer Oberschenkelverletzung am Mittwoch abreisen musste.
Fridolin Wagner:
Ein kurzer Blick reichte, dann spielte Fridolin Wagner den perfekten Pass – genau in die Schnittstelle der Abwehr in den Lauf von Joshua Sargent, der freie Bahn hatte und vollstreckte. Vor Werders 1:0-Führungstreffer im Spiel gegen Pribram hatte der 20-Jährige seinen großen Auftritt und bewies hervorragende Spielübersicht sowie Handlungsschnelligkeit. Wagner kam auf der Achter-Position zum Einsatz, also genau dort, wo sich der zentrale Mittelfeldspieler am wohlsten fühlt. Das war ihm anzumerken, denn er bot eine ansprechende Leistung und war immer mitten im Geschehen. Im Training fällt das Talent, das bei RB Leipzig ausgebildet wurde, durch hohe Einsatzfreude auf und hinterlässt einen guten Gesamteindruck.