Bremen. Sonntagvormittag um kurz vor elf machten sich Thomas Schaaf, Thomas Eichin und Frank Baumann im Schneetreiben auf den Weg zum Spiel der U19. Die Sportliche Leitung wollte sich ein Bild von den Profis von morgen machen. Der hauseigene Bundesliga-Nachwuchs spielte gegen Hertha BSC. Der Blick in eine womöglich hoffnungsvolle Zukunft ist die eine Sache, die Gegenwart eine ganz andere. Das Wetter Mitte März passt zur allgemeinen Stimmungslage rund um das Weserstadion. Es ist frostig und grau.
Werder hat seine Fans am Sonnabend zum wiederholten Male in dieser Rückrunde enttäuscht. Nur noch sechs Punkte beträgt der Vorsprung vor dem FC Augsburg acht Spieltage vor Schluss. Und es ist vor allem die Art und Weise, wie die Mannschaft zum wiederholten Male auftrat, die dem Anhang zunehmend Sorge bereitet.
Thomas Schaaf war nach dem Schlusspfiff restlos bedient und nahm sich die Mannschaft zur Brust. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit stellte sich der Trainer nicht schützend vor seine Elf, sondern kritisierte das Auftreten seiner Spieler. "In Gladbach haben wir uns reingehängt", sagte Schaaf, "heute haben wir das nicht getan, und deshalb bin ich ziemlich sauer." Und: "Dass sie leidenschaftlich war, das streite ich meiner Mannschaft ab."
Über den Anteil des Trainers an diesem Dilemma wird seit ein paar Wochen leidenschaftlich diskutiert. Schaaf selbst blockt das Thema weiterhin ab, sagt: "Ich bin nicht so wichtig." An der Taktik, sagt er außerdem, liege es nicht. Und an seiner Mannschaftsaufstellung auch nicht. Doch woran dann? Tatsächlich alles nur an der Mannschaft?
Am Sonnabend direkt nach dem Spiel hatte sich Thomas Eichin noch für die sanfte Tour entschieden. Da pries der Nachfolger von Klaus Allofs das Schlusslicht SpVgg Greuther Fürth als "gefährlichen Gegner". "Fürth war frisch, frech, frei." Unter dem neuen Trainer hätten sich dort ein paar zuletzt zu kurz gekommene Spieler beweisen wollen, namentlich nannte Eichin Stürmer Sercan Sararer, der im Sommer ablösefrei zum VfB Stuttgart wechselt. Eichins Lob für Sararer war – beabsichtigt oder nicht – aber auch eine Ohrfeige für die eigene Mannschaft. Eine Interpretation könnte nämlich lauten: Wenn ein eifriger, in der Bundesliga aber bislang torloser Angreifer genügt, um Werder von einer Verlegenheit in die nächste zu stürzen, dann muss etwas nicht stimmen.
Am Sonntagmorgen beim Training wurde Eichin dann auch deutlicher. "Mir hat vieles nicht gefallen", sagte er. "Ich will hier nicht pausenlos von Abstiegskampf und irgendwelchen Dramen reden, das ist Bullshit. Aber man muss schon wissen, wo man steht, und um was es hier geht. Da muss sich jeder Einzelne zurücknehmen. Man hat aber das Gefühl, dass einige denken: Ja, wir sind ja auf einem guten Weg, das wird schon von alleine werden. Aber in der Bundesliga geht nix von alleine." Ob diese Werder-Mannschaft denn selbstkritisch genug sei, wurde Eichin noch gefragt. "Das wird man sehen."
Teile des Publikums sind inzwischen nicht mehr bereit, Werders enttäuschenden Auftritte klaglos hinzunehmen. Es gab Pfiffe im Stadion. Und auf den Rängen, in den Kneipen und im Internet wird leidenschaftlich auch die Trainerfrage diskutiert. Für Eichin keine Überraschung: "Wir spielen nicht gut, wir gewinnen die Heimspiele nicht, da ist eine Trainerdiskussion völlig normal." Eichin steht nach wie vor zu Thomas Schaaf trotz der wachsenden Zahl an schwachen Auftritten und Ergebnissen. Eichin sagt: "Thomas Schaaf gibt alles, er tut alles, und er ist der, der am meisten darunter leidet."
Dem Eindruck, dass der Trainer in Bremen unabhängig von Ergebnissen und Tabellenplätzen ein Tabu sei, widerspricht Eichin aber. "Es ist nicht so, dass hier ein Trainerwechsel, so wie das immer behauptet wird, völlig ausgeschlossen ist. Ich bewerte Thomas Schaaf auch nicht als Institution, sondern nach dem, was ich hier täglich sehe – und das ist sehr, sehr gut." Heißt, dass Schaaf bis zum Saisonende bleibt? "Davon gehe ich mal aus."
Bleibt die Mentalitätsfrage. Nach dem 1:6 in München hieß es, gegen Augsburg könne man alles ganz schnell wiedergutmachen. Nach dem 0:1 gegen Augsburg und dem 1:1 gegen Gladbach hieß es vor dem Fürth-Spiel: jetzt aber, wirklich. Ein 2:2 konnte damit nicht gemeint gewesen sein. Aber so geht das schon länger: Werder verpatzt die aktuellen Aufgaben und tröstet sich mit dem Blick auf die nächsten Spiele. "Wenn wir nicht aufpassen, rutschen wir da noch tiefer rein", warnt Aaron Hunt jetzt, "sechs Punkte Vorsprung sind nicht viel."
Niedergeschlagen wirkten sie und ratlos, die Werder-Profis. "Das war viel zu wenig, das wissen wir auch", sagte Zlatko Junuzovic. Eine "gewisse Verunsicherung" sei da, sagte der österreichische Nationalspieler. "Wir können nicht mal ein 1:0 gegen den Tabellenletzten halten", stellte Hunt kopfschüttelnd fest, "so kann man nicht spielen, auch nicht gegen den Letzten." In zwölf Tagen spielt Werder wieder, dann in Mainz, beim Tabellensechsten.