Pierre Littbarksi im Interview „Füllkrug ist Deutschlands Mittelstürmer Nummer eins“

Für Pierre Littbarski ist "Niclas Füllkrug klar die Nummer eins als Mittelstürmer in der Nationalelf". Vor dem Bremer Duell beim 1. FC Köln hat sich der Kölner Littbarski mit unserer Deichstube unterhalten.
21.01.2023, 12:13 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Von Hans-Günter Klemm

Herr Littbarski, 15 Bundesliga-Spieltage sind absolviert. Welche Schulnote geben Sie dem Aufsteiger SV Werder Bremen bisher?

Auf alle Fälle benote ich die Bremer Mannschaft gut. Ich habe sie im ersten Spiel in Wolfsburg im Stadion gesehen und war regelrecht angetan von der Vorstellung. Es war eine Klasseleistung, Werder hätte gewinnen müssen. Was mir schon damals besonders positiv aufgefallen ist: Es war eine klare Handschrift des Trainers zu erkennen.

Inwiefern?

Die Bremer sind sehr mutig aufgetreten, ohne Angst haben sie stets nach vorne gespielt. Und vor allen Dingen haben sie sehr variabel agiert. Kurzum: Werder spielt attraktiven und unterhaltsamen Fußball. Es macht ungeheuer Spaß, der Mannschaft dabei zuzugucken.

Das ist viel Lob für Ole Werner, den Macher dieses Stils. Ist er in Ihren Augen ein Aufsteiger in der Trainergilde?

Ole Werner hat schon in Kiel gute Arbeit geleistet. In Bremen knüpft er daran nahtlos an. Ich bin geneigt, gewisse Parallelen zu ziehen zu früheren Werder-Trainern. Thomas Schaaf oder Otto Rehhagel fallen mir da ein. Auch sie passten, wie jeder weiß und gesehen hat, enorm gut zu Werder. Bei Werner scheint mir das auch der Fall zu sein. Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit: Schaaf und Rehhagel haben Spieler stärker gemacht, und das gelingt Werner auch, wenn ich nur an Leonardo Bittencourt denke. 

Auf Niclas Füllkrug dürfte es auch zutreffen, oder?

Ja, ganz klar. Werner hat sich auf Füllkrug eingestellt, ihn so gefördert, dass er seine beste Leistung bringen kann. Insofern ist Ole Werner für mich ein Spielerversteher. Ein größeres Lob für einen Trainer kann es eigentlich nicht geben.

Werder lag mit der Auswahl seines derzeitigen Trainers also goldrichtig. Werners Vor-Vorgänger hat zuletzt in Wolfsburg gearbeitet. Sie konnten Florian Kohfeldt dort aus nächster Nähe beobachten.

Bei der Beurteilung von Trainern ist natürlich immer das Erfolgskriterium entscheidend. Wie viele Punkte holen sie? Wo steht die Mannschaft in der Tabelle? Und ich nehme noch einen Faktor hinzu: Erkennt man eine Spielphilosophie? Kann die Mannschaft sie umsetzen und entwickelt sie sich weiter? Momentan sehe ich diese Fortschritte in Bremen mit Ole Werner. Bei uns in Wolfsburg passte es mit Florian Kohfeldt ganz und gar nicht. 

Noch einmal zum Thema Füllkrug. War dessen Auftritt in Katar auch für Sie die große Überraschung bei einer aus deutschen Sicht desillusionierenden WM?

Absolut, dazu kommt noch Jamal Musiala. Das waren die einzigen Lichtblicke aus DFB-Sicht. Füllkrug hat eine außergewöhnliche WM gespielt. Ich finde, dass er trotz seiner Statur und Größe gut ins Offensivspiel integriert ist. Früher haben wir immer gesagt: Das ist nicht nur ein Mittelstürmer, der Tore macht, sondern der kann auch richtig gut kicken. Ich denke zurück an die Zeit, als ich begonnen habe. An die Zeit auf dem Bolzplatz. Füllkrug hätte da gut reingepasst. 

Trauen Sie ihm eine Fortsetzung der Karriere in der Nationalelf zu?

Warum nicht? Hansi Flick hat ja keine so große Auswahl. Bei Lukas Nmecha, unserem Wolfsburger, muss abgewartet werden, wie er sich entwickelt. Er muss einfach konstanter spielen. Ich sehe Füllkrug derzeit als die klare Nummer eins als Mittelstürmer. Für ihn spricht auch, dass er wie gesagt nicht nur ein reiner Chancenverwerter ist. Da darf auch das Alter keine Rolle spielen. Für mich ist Füllkrug im Hinblick auf die Europameisterschaft gesetzt.

Füllkrug hat gerade publik gemacht, dass er seinen Berater gewechselt hat. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass er einem Vereinswechsel nicht abgeneigt ist. Kann Werder ihn auf Dauer halten?

Der Beraterwechsel ist ein legitimes Vorgehen. Der Junge ist in der Endphase seiner Laufbahn. Es ist doch ganz normal in der heutigen Zeit, dass er sich umschaut. Es ist allgemein bekannt, dass Werder nicht so horrende Gehälter bezahlen kann. Andererseits hat Werder es geschafft, nach dem Abstieg gute Akteure zu halten. Ich würde es den Bremern wünschen, dass es auch bei Füllkrug gelingt. Doch realistisch betrachtet geht es in Richtung Abschied.

Schon in dieser Transferperiode?

Für ein Bleiben im Winter könnte die Zusammenarbeit mit Ole Werner sprechen, unter dem Füllkrug noch besser und konstanter agiert. Auch die Konstellation mit seinem Partner Marvin Ducksch passt. In Bremen ist er etabliert, eine feste Größe. Wenn er woanders hingeht, ist Füllkrug erst mal nur einer unter vielen. Möglicherweise sprechen diese Überlegungen gegen einen sofortigen Wechsel. Doch spätestens im Sommer wird er einen Wechsel in Betracht ziehen.

Rechnen Sie damit, dass Werder noch mal in akute Abstiegsgefahr gerät?

Die Liga spielt in dieser Saison verrückt. Also ist vieles möglich. Doch in Bezug auf Bremen denke ich, dass die Mannschaft ihren Spielstil beibehalten und damit weitere Punkte holen wird. Wichtig ist ein guter Start nach der Pause. Ich traue Werder einiges zu. 

Ole Werner hat unlängst über die nicht ausreichende Breite im Kader geklagt. Wie sehen Sie es?

Die Achse steht: Pavlenka schätze ich sehr, die Abwehr mit Veljkovic und Friedl auch. Weiser hat sich etabliert, ebenso wie Bittencourt im Mittelfeld und das Sturmduo. Es dürfen natürlich nicht zwei bis drei Leistungsträger gleichzeitig ausfallen. Dann könnte es eng werden.

Für Werder geht es nun gegen Ihren Ex-Club aus Köln. Trainer Steffen Baumgart hat gerade den Abstiegskampf ausgerufen. Die richtige Entscheidung?

Sicherlich, denn Baumgart kann ja gar nicht anders. Es gibt eine Problematik im Angriff mit den verletzten Andersson und Uth, dazu das Torwart-Theater um Horn und allgemein viel Unruhe. Es ist kein Zuckerschlecken für meinen früheren Verein.

Aus den letzten fünf Spielen haben die Kölner nur einen Punkt geholt. Der Trend zeigt eindeutig nach unten.

Ich habe es schon recht früh in der Saison angemerkt. Ich hatte befürchtet, dass die Teilnahme am Europacup der Mannschaft auf die Füße fallen kann. Die internationalen Auftritte haben viel Kraft gekostet. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Mannschaft gut aus der WM-Pause kommt.

Wie lautet Ihre Meinung zum hochgelobten Trainer Baumgart: Passt er nach Köln?

Ohne Wenn und Aber! Momentan gibt es keinen Besseren. Der trägt sein Herz auf der Zunge, wie es so schön heißt. Einen solchen Trainer hätte ich mir früher als Aktiver auch mal gewünscht.

Mit einem spektakulären Transfer haben die Kölner aufhorchen lassen. Aus Ihrer Heimatstadt Berlin kam Davie Selke, der Ex-Bremer, im Winter zum Effzeh. Hätten Sie ihn auch geholt?

Es könnte klappen mit Selke, denn er hat in seiner Karriere schon bewiesen, dass er Tore machen kann, wenn er eine gewisse Rückendeckung verspürt. Selke spielt mit Herz, Baumgart coacht mit Herz. Vielleicht kommt Herz und Herz zusammen - und es ergibt sich eine traumhafte Konstellation.  

Wie beurteilen Sie die Arbeit von Christian Keller, dem neuen Kölner Geschäftsführer?

Er steht vor einer Mammutaufgabe, weil er finanziell nicht so viel Spielraum hat und noch einige Altlasten bearbeitet werden müssen. Es ist eine nicht sehr dankbare Aufgabe für Keller.

Letzte Frage: Schaffen Bremen und Köln den Klassenerhalt?

Es wird schwer für Köln, doch beide packen es.

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