Kurz hingen die Köpfe, schließlich war der Sieg zum Greifen nah gewesen. Exakt 441 Tage nach dem Abstieg des SV Werder Bremen reichte es bei der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga dann aber doch "nur" zu einem 2:2 (2:1) beim VfL Wolfsburg. Nach einer zeitweise furiosen ersten Halbzeit brachte die Mannschaft von Trainer Ole Werner dabei eine Führung nicht über die Zeit - was unter anderem Amos Pieper in ein kleines Gefühls-Chaos stürzte. "Die Gratulation zur Leistung nehme ich an", meinte er hinterher, "das Ergebnis ist nicht ganz zufriedenstellend."
Ole Werner hatte bei seiner Bundesliga-Premiere auf sein aus der Aufstiegssaison bewährtes 3-5-2-System gesetzt, änderte die Startelf im Vergleich zum 2:1-Sieg im DFB-Pokal gegen Energie Cottbus aber auf zwei Positionen. Den mit Corona infizierten Romano Schmid ersetzte Neuzugang Jens Stage im Mittelfeld, auf der linken Außenbahn verdrängte Anthony Jung nach auskurierten Oberschenkelproblemen den jungen Lee Buchanan. Beim VfL Wolfsburg saß derweil Ex-Werder-Kapitän Max Kruse zunächst auf der Bank.
Vor rund 28.000 Zuschauern in der Volkswagen-Arena und ohne die Werder-Ultras – nach einer großen und heftig kritisierten Polizeiaktion am Wolfsburger Bahnhof waren Hunderte Fans ohne Stadionbesuch zurückgefahren – legte Werder einen feurigen und überfallartigen Start hin. Marvin Ducksch tauchte bereits nach wenigen Sekunden zweimal brandgefährlich vor „Wölfe“-Keeper Koen Casteels auf, kam aber nicht zum Abschluss. Keine Frage: Werder wirkte hoch motiviert und hellwach. Doch dann zeigte sich die Bundesliga direkt von ihrer brutalen Seite.
Mit dem ersten vernünftigen Angriff bewies der VfL Wolfsburg seine Klasse. Patrick Wimmer hebelte mit einem genialen Steilpass die komplette Bremer Defensive um Neu-Kapitän Marco Friedl aus, Lukas Nmecha setzte sich ab und schaufelte den Ball über Torwart Jiri Pavlenka hinweg ins Tor – 0:1 (11.). Die kalte Dusche! Werder schüttelte sich – aber nur kurz. Und kam dann kraftvoll zurück. Niclas Füllkrug setzte sich im linken Halbraum ab, wurde kaum attackiert und schoss einen fast flachen Strahl zum Ausgleich ins lange Eck (21.).
Werder war wieder da und legte direkt nach. Eine Ducksch-Flanke aus dem Halbfeld fand den nur 1,71 Meter kleinen Leonardo Bittencourt, der im Strafraum ungedeckt, in der Rückwärtsbewegung und im Fallen seinen Kopfball eiskalt in die Maschen beförderte (23.). Plötzlich stand es 2:1, Werder drehte in nur zwei Minuten das Spiel – und hätte danach weiter nachlegen können. Beispiel eins: Einen langen Ball von Amos Pieper leitete Ducksch direkt weiter auf Füllkrug, doch dessen anspruchsvolle Abnahme mit dem Außenrist ging ans Außennetz (37.). Beispiel zwei: Ducksch wurde auf die Reise geschickt und ging steil in Richtung Tor, doch sein Querpass auf Füllkrug wurde noch von einem Wolfsburger Bein abgefangen (45.+1.). Dann war Pause in einem richtig munteren Spiel, in dem die Bremer auch defensiv einen stabilen Eindruck machten, die Gastgeber kaum zur Entfaltung kommen ließen und ihnen oft direkt auf den Füßen standen.
Wolfsburg übernahm in der Schlussphase die Kontrolle
VfL-Coach Niko Kovac reagierte mit zwei Wechseln, Josuha Guilavogui (46.) und Jonas Wind (56.) kamen in die Partie, Max Kruse, der nach einer Wadenverletzung und einem grippalen Infekt noch nicht bei 100 Prozent war, musste zunächst weiter zugucken. Der Bundesliga-Zwölfte des Vorjahres übernahm zunehmend die Kontrolle über die Partie, doch klare Chancen blieben erst einmal Mangelware. Auf der anderen Seite war Ducksch derweil zweimal in kurzer Zeit wieder frei durch, doch einmal kam Keeper Casteels vor ihm an den Ball (64.), das andere Mal klappte der Versuch eines Hebers nicht (65.).

Bekam einen Schlag auf den Oberschenkel: Niclas Füllkrug musste verletzt raus.
Wolfsburg tauschte in der Offensive weiter sein Personal aus – und der eingewechselte Jakub Kaminski hätte sich beinahe mit einem Blitz-Tor eingeführt. Doch nach starkem Zuspiel von Maximilian Arnold eilte Pavlenka heraus und parierte den Abschluss (68.). Die Niedersachsen setzten sich in der Folge immer mehr in der Bremer Hälfte fest, Werders Pressing führte nicht mehr so zum Erfolg wie noch im ersten Durchgang. Werder-Trainer Werner brachte in Lee Buchanan (für Jung), Nicolai Rapp (für Bittencourt) und Felix Agu (für Weiser) frische Kräfte, nach einem Schlag auf den Oberschenkel musste auch Füllkrug notgedrungen weichen, er humpelte vom Platz, Oliver Burke kam in die Partie. Wolfsburg baute derweil weiteren Druck auf – nach 75 Minuten bekam dann auch Max Kruse seinen Auftritt.
Und der hatte schließlich auch seine Füße bei dem im Spiel, was unvermeidbar wurde: Als Kruse flankte, Nmecha per Kopf verlängerte und Guilavogui abschloss, war Pavlenka geschlagen – der 2:2-Ausgleich (84.). Werder steckte nicht auf, Ducksch feuerte freistehend noch einmal aus der zweiten Reihe, doch sein Abschluss rauschte knapp am Tor vorbei (89.). Es gab vier Minuten Nachspielzeit, Werder war dem Lucky Punch am Ende näher, aber der Ball wollte nicht mehr ins Tor. Es blieb beim Unentschieden, und der erste Punkt der Saison wanderte auf das Konto des SV Werder Bremen.
„Wir haben nicht viel zugelassen, aber du siehst dann beim 2:2, dass eine Unachtsamkeit manchmal reicht, um ein Tor zu kassieren“, sagte Ole Werner nach dem Abpfiff. „Am Ende bleibt aber immer noch eine gute Leistung.“ Insgesamt zog der Werder-Coach viel Positives aus dem ersten Saison-Auftritt: „Ich glaube, dass wir heute gesehen haben, dass man ganz grundsätzlich mit der Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollen, erfolgreich Spiele bestreiten kann.“ Das müsse sein Team nun Woche für Woche unter Beweis stellen. (han)
Werder Bremen: Pavlenka – Pieper, Veljkovic, Friedl – Weiser (75. Agu), Groß, Jung (69. Buchanan) – Stage, Bittencourt (75. Rapp) – Füllkrug (80. Burke), Ducksch