Statistisch erfasst worden ist die Szene aus der 77. Minute natürlich nicht, was für Ole Werner aber irgendwie schade war. Denn der kurze Vollsprint, den der Werder-Cheftrainer urplötzlich hingelegt hatte, konnte sich mehr als nur sehen lassen. Vier, fünf Meter in höchstem Tempo, aus der Coaching-Zone auf den Rasen, die rechte Faust dabei geballt und das Gesicht von Jubelschreien verzerrt. Auf diese Weise feierte der 34-Jährige im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg den so wichtigen Treffer zum 2:0. Und wer das beobachtet hatte, wusste: Es war ein Moment des Druckabfalls, der puren Befreiung, weil durch das Tor die Wahrscheinlichkeit plötzlich groß war, dass nach diesem spektakulären und in allen Phasen unterhaltsamen Fußballspiel gleich zwei Serien auf einmal enden würden.
Die erfolgreiche der Wolfsburger von sechs Siegen am Stück und vor allem die unerfreuliche der Bremer, die in der Bundesliga zuvor vier Mal hintereinander verloren hatten. Kein Wunder also, dass sich nach dem ebenso überraschenden wie überzeugenden 2:1-Erfolg über die Wölfe alle Bremer Protagonisten erleichtert zeigten – wohl wissend, dass das Timing für den Befreiungsschlag am Ende einer harten Englischen Woche wahrlich bedeutsam war. Nach einer weiteren Pleite wäre es nämlich ziemlich ungemütlich geworden.
„Ich glaube, dass der Sieg für einige von uns extrem wichtig war“, betonte Flügelspieler Mitchell Weiser, nachdem er gefragt worden war, ob dieses 2:1 vor allem für den Kopf wertvoll sei. „Wir hatten jetzt länger kein Erfolgserlebnis mehr, und vieles ist in dieser Liga vom Selbstvertrauen abhängig.“ So betrachtet war Werder vor dem Wolfsburg-Spiel ein kleines Kunststück gelungen. Gegen alle Wahrscheinlichkeit trat die Mannschaft nach den von individuellen Fehlern geprägten Niederlagen in Köln (1:7) und gegen Union Berlin (1:2) so auf, als wäre nie etwas gewesen, als befänden wir uns noch mitten in der Hinrunde – in einer Phase, in der der Aufsteiger Werder die ganze Liga verblüfft hatte.
Schon die 1:0-Pausenführung nach dem verwandelten Handelfmeter von Niclas Füllkrug (24.) ging komplett in Ordnung, und auch das 2:0 in der Schlussphase, wieder durch Füllkrug, entsprach dem Spielverlauf. „Wir sind zu spät aufgewacht. Deswegen haben wir berechtigterweise verloren“, räumte Wolfsburgs Trainer Niko Kovac ein, für dessen Mannschaft es nur noch zum späten Anschlusstreffer durch Kevin Paredes gereicht hatte (90.).
Ole Werner gibt bei Werder Bremen die Richtung vor
Ole Werner hatte während der Fazit-Runde der beiden Trainer derweil längst wieder in seinen bekannten Modus geschaltet. Hatte die Explosion der Freude nach dem 2:0 und auch den Jubel nach dem Schlusspfiff auf dem Platz gelassen. In nüchternen Worten hielt er fest: „Nach einer Woche, die nicht optimal gelaufen ist für uns, haben wir endlich die Leistung und das Ergebnis zusammengebracht. Es war ein wichtiger Sieg.“
Beim 1:7 in Köln hatte gar nichts gepasst, weder Werders Auftritt und schon gar nicht das Resultat, während beim 1:2 gegen Union die Leistung in Ordnung, nur eben das Ergebnis erneut schlecht ausgefallen war. Gegen Wolfsburg fügte sich beides, bedingte eine starke Vorstellung drei weitere Punkte für die Tabelle, in der es Werder nun auf insgesamt 24 Zähler bringt.
„Es ist eine große Stärke von uns, ruhig zu bleiben und weiterzumachen“, hielt Werner fest. In der Tat hatte der Coach den Fehlstart ins Jahr 2023 ebenso analytisch-ruhig moderiert wie er es auch nach dem Höhenflug in der Hinrunde getan hatte. „Bei uns bleiben“, nennt Werner das gerne, eine Formulierung, die so manch Profi längst übernommen hat, beschreibt sie doch ein Prinzip, dass der Mannschaft gutzutun scheint. „Wir wussten, dass es schlechte Phasen geben wird“, sagte Kapitän Marco Friedl – und hielt nicht ohne Stolz fest: „Davon haben wir uns aber nicht verrückt machen lassen. Gegen Wolfsburg haben wir gesehen, wozu wir in der Lage sind, wenn wir ans Leistungslimit gehen.“
Bremer richten Blick aufs Spiel gegen den VfB Stuttgart
Genau das soll sich jetzt fortsetzen, am kommenden Sonntag während des nächsten Spiels beim VfB Stuttgart, auf das die Bremer Profis und Verantwortlichen schon kurz nach der Wolfsburg-Partie den Blick richteten. „Bei uns bleiben“ – das meint eben auch, Erfolgen nicht zu lange schwärmerisch nachzuhängen, was Doppeltorschütze Füllkrug wie folgt umriss: „Das war heute von uns allen eine Top-Leistung. Das muss jetzt aber auch wieder unser Standard werden.“
Passiert das, so hofft es Clemens Fritz als Leiter Profifußball, könnte das Team in einen ähnlichen Lauf kommen wie während der Hinrunde. „Es ist immer wichtig, dass du ein Erfolgserlebnis hast, weil du dann eine gewisse Leichtigkeit in dein Spiel bekommst“, sagte der Ex-Profi am Sonntag. Und weiter: „Wenn man rückblickend unsere Hinrunde sieht, dann war genau diese Leichtigkeit über weite Strecken gegeben.“