FCU-Legende Torsten Mattuschka im Interview „Union ist das genaue Gegenbeispiel zu Werder“

Schafft Werder Bremen den Klassenerhalt? Torsten Mattuschka, Legende beim nächsten Werder-Gegner Union Berlin, ist sich im Interview nicht sicher und prognostiziert ein enges Saisonfinale.
24.04.2021, 09:59 Uhr
Lesedauer: 6 Min
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Von Hans-Günter Klemm

„Es wird sehr eng, eine brutale Situation für Werder“, schätzt Torsten Mattuschka die Ausgangslage im Abstiegskampf für die Grün-Weißen ein. Die lebende Legende des nächsten Bremer Gegners 1. FC Union Berlin, der vor zwei Jahren seine aktive Laufbahn beendet hat und inzwischen als Experte beim TV-Sender Sky regelmäßig die Zweite Liga beleuchtet, spricht über die Offensivprobleme bei Werder Bremen, Führungspersönlichkeiten wie Niklas Moisander und über den Trainer Florian Kohfeldt, der die Nervenbelastung eines Existenzkampfes im vergangenen Jahr in der Relegation schon mal bestanden hat.

Torsten Mattuschka, der Publikumsliebling an der „Alten Försterei“, von 2005 bis 2014 in Köpenick aktiv und eine der Stützen beim Durchmarsch von der Oberliga bis in die Zweite Liga, spricht zudem über den Kultclub in Berlin, den Erfolgstrainer Urs Fischer sowie Max Kruse, den früheren Star des SV Werder Bremen bei Union Berlin: „Ein Unterschiedsspieler, alle wissen, wenn der Max die Pille hat, passiert etwas.“

Sie analysieren als Co-Kommentator und Experte für den Privatsender Sky die Zweite Bundesliga. Stellen Sie sich schon darauf ein, in der kommenden Saison Ihr Urteil über Werder Bremen abgeben zu müssen, Torsten Mattuschka?

Erst einmal stelle ich mich auf die Schalker ein, weil deren Abstieg bereits fix ist. Das ist aus meiner Sicht traurig genug. Ob dazu auch noch ein Traditionsclub wie Bremen kommt, wird sich zeigen. Es wird jedenfalls für Werder sehr eng.

Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung bei den Bremern?

Sechs Niederlagen am Stück, während der Rest punktet – es ist enorm hart für Bremen im Moment. Hart für den Kopf, wodurch die Beine, wie jeder weiß, besonders schwer werden. Eine solche Negativserie ist immer schlimm, doch gerade in der entscheidenden Phase der Spielzeit wird es umso schwerer, aus dieser Abwärtsspirale herauszukommen.

Haben Sie in Ihrer Laufbahn mal eine ähnliche Lage durchgemacht?

Einmal in Cottbus, kein Mensch braucht das. Wir hatten in Cottbus eigentlich eine gute Truppe beisammen, hatten uns die Saison ganz anders vorgestellt, doch es lief nicht viel zusammen. Am Ende stand der Abstieg in die Regionalliga. Ein Absturz, der nur schwer zu erklären war.

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Was muss bei Werder nun geschehen?

Eine brutale Situation für Werder. Der Gedanke an die Relegation, der Gedanke an die Zitterspiele gegen Heidenheim kommt unweigerlich auf, was den Endspurt nicht gerade erleichtert. So schnell wie möglich muss dieser negative Lauf durchbrochen werden. Ich hoffe, dass Werder bald wieder ein Erfolgserlebnis feiern kann, ich wünsche ihnen Punktgewinne. Nur nicht am Samstag bei Union. Denn ich bin weiterhin durch und durch Unioner, also drücke ich meinem Ex-Club die Daumen für einen Dreier.

Was spricht im Abstiegskampf überhaupt noch für Werder?

So blöd es klingt: die vor einem Jahr gemachte Erfahrung im Abstiegskampf. Es mag ein Vorteil sein, dass die meisten Spieler wissen, wie es funktioniert. Auch der Trainer ist in dieser Hinsicht gewappnet. Florian Kohfeldt hat diese Nervenbelastung schon einmal mitgemacht und überstanden. Wenn auch mit viel Glück, er hat es im letzten Jahr mit seiner Truppe geschafft.

Was halten Sie von Kohfeldt?

Er ist noch ein junger Trainer. Anfangs hat er erfolgreich gearbeitet. Auch in dieser Spielzeit sah es lange Zeit gut aus, Werder schien schon gesichert, ehe erst zuletzt die Puste aus ging. Übrigens sollte niemand vergessen, dass in Bremen nicht das ganz große Geld da ist, um eine gut besetzte Mannschaft auf die Beine zu stellen. Unter anderen Bedingungen hätte Kohfeldt gemeinsam mit Manager Frank Baumann gewiss vieles anders gemacht.

In Abstiegsgefahr sind Führungsspieler, wie sie einer bei Union Berlin gewesen sind, extrem gefragt. Welche Leitfiguren, die vorangehen könnten, sehen Sie bei der Kohfeldt-Truppe?

Es gibt schon einige, auf die dies zutrifft. Ich denke an die Leute in der Abwehr: ein Moisander beispielsweise oder ein Augustinsson. Toprak fällt ja leider aus, nun auch noch Veljkovic mit dem Bruch des Nasenbeins. Somit müssen sich andere behaupten.

Kann diese Rolle ein erfahrener Akteur wie Leo Bittencourt übernehmen?

Ich kenne ihn gut aus Cottbus. Dort habe ich mit seinem Vater Franklin damals zusammengespielt. Der Junge ist eine Bombe, hat einen großartigen Charakter. Leo gibt immer alles für die Mannschaft, solche Typen braucht Werder jetzt.

Was ist das grundsätzliche Problem bei Werder?

Ganz klar die Offensive, die Elf macht zu wenig Tore. Sie erarbeitet sich zu wenig Chancen – und wenn sich Gelegenheiten bieten, werden diese sträflich liegen gelassen. Frage: Wer ist der beste Torschütze?

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Drei Spieler kommen auf fünf Treffer: Joshua Sargent, Niclas Füllkrug und Kevin Möhwald.

Das besagt doch alles, wenn mit Möhwald ein Mittelfeldspieler ist in diesem Ranking mit vorn dabei ist. Sargent zeigt gute Ansätze. Füllkrug macht immer sein Tore, wenn er fit ist. Ich halte viel von ihm, doch ihn begleitet leider seit Jahren ein riesiges Verletzungspech. Und ein weiterer Beweis für die eklatanten Offensivprobleme: Rashica, ein Toremacher in der letzten Spielzeit, funktioniert aktuell gar nicht.

Und was ist mit einem Spieler, den Sie aus Berlin bei der Hertha kennen? Was ist mit Davie Selke?

Um es mal so zu formulieren: Er durchlebt eine recht unglückliche Zeit. Selke ist normalerweise ein guter Scorer, der sich in der Box wohlfühlt. Momentan fehlt ihm die Leichtigkeit, um aufzutrumpfen und zu treffen.

Wie sehen Sie insgesamt den Abstiegskampf? Was ist mit der Berliner Hertha?

Eine mehr als brenzlige Situation. Gut, Hertha hat noch zwei Nachholspiele bei vier Punkte Rückstand auf Bielefeld. Doch diese müssen erst mal gewonnen werden. Es kommt hinzu, dass ein strapaziöses Restprogramm droht wegen der Corona-Zwangspause: fünf Spiele in knapp zwei Wochen. Ohne Frage ein Wettbewerbsnachteil im Überlebenskampf.

In dieser Woche hat die DFL beschlossen, sogenannte Quarantäne-Trainingslager Anfang Mai abzuhalten. Ihre Meinung!

Eine richtige Entscheidung, anders geht es nicht. Hoffentlich kann in allen professionellen Ligen die Saison einigermaßen ordentlich zu Ende gespielt werden. Doch ich denke auch an einen Härtefall wie Kiel und leide mit. Holstein wird womöglich durch die Zwangspausen die Chance genommen, in die Erste Liga aufzusteigen und die beste Saison der Vereinsgeschichte zu spielen. Die armen Holstein-Spieler werden noch mal für drei Wochen isoliert und eingesperrt: ohne Familie, ohne Freunde, ohne links und rechts zu gucken. Wenn ich betroffen wäre, hätte ich einen dicken Hals.

Zu Ihrem Verein: Spielt Union über die Verhältnisse?

Mit einer solchen Darbietung und Platzierung konnte keiner rechnen. 43 Punkte schon jetzt, es ist atemberaubend. Union ist das genaue Gegenbeispiel zu Werder: Sie haben einen Lauf und befinden sich in einem regelrechten Flow.

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Was zeichnet die Mannschaft aus?

Sie stehen gut, sie verteidigen exzellent, aber sie spielen auch guten Fußball. Und sie besitzen in Max Kruse einen Unterschiedsspieler. Alle wissen, wenn der Max die Pille hat, passiert etwas. Daher laufen sie alle für Max, jeder springt für den anderen in die Bresche. Union tritt immer wie eine Einheit auf. Es ist schwer für alle Erstligisten, gegen diese Jungen zu bestehen.

Wie bewerten Sie den Trainer?

Ich kenne Urs Fischer, wir haben uns schon ausgetauscht. Ein Coach, der überragend rüberkommt, sehr empathisch agiert und vor allem immer die Ruhe behält.

Kommt Union nach Europa?

Ich habe den Namen dieser neuen Mumpelliga vergessen. Wenn sie Glück haben, können sie sich für diese „Conference-Spielklasse“, oder wie sie heißt, qualifizieren. Doch es muss sich finanziell lohnen, international dort dabei zu sein. Wenn nicht, sollte Union verzichten, denn ich sehe auch die Gefahr, dass in der nächsten Saison bislang unbekannte Probleme auftauchen könnten: eine andere Belastung, viele Englische Wochen, ein Stressprogramm gerade wegen eines nicht so breiten Kaders. Wenn Union am Ende Platz acht oder neun belegt, wäre dies ein perfektes Abschneiden.

Union gilt gemeinhin und sieht sich auch als Kultclub. Ist Union das neue St. Pauli?

Union ist anders, anders als St. Pauli. Union ist Union, einzigartig und ganz besonders. Es gilt für die Verantwortlichen und für die Fans. Ich beschreibe die Eigenart immer so: Alle hier sind total bekloppt und verrückt, die Fans geben ihr letztes Hemd für den Verein.

Ihr Abschied von Union 2014 gestaltete sich nicht gerade problemlos. Gab es inzwischen eine Versöhnung?

Ich hatte nur Probleme mit dem Trainer Norbert Düwel, ansonsten mit niemanden. Es gab dann das Angebot aus meiner Heimatstadt Cottbus, das ich angenommen habe. Meinen Abschied hatte ich mir auch anders vorgestellt. Doch es ist nun mal so passiert. Ich gebe zu: Auch ich habe nicht alles richtig gemacht. Präsident Zingler und ich, wir haben uns längst ausgesprochen. Alles ist ausgeräumt, ich bin als Botschafter für Union aktiv. Ich denke gerne an Union zurück: Es war eine geile Zeit.

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