Bremen. Werder Bremen steht vor einer Zäsur: Nach 14 Jahren im Amt ist eine Trennung von Trainer Thomas Schaaf ein realistisches Szenario geworden. Es stellt sich mittlerweile weniger die Frage nach dem Ob des bislang in Bremen Undenkbaren als vielmehr die Frage nach dem Wann.
So schnell geht es in Bremen nicht. Nicht nach 13 Jahren, elf Monaten und elf Tagen als Trainer, nicht nach all diesen Verdiensten und Erfolgen. Auch wenn die Mannschaft in Trümmern liegt. Auch wenn Ratlosigkeit und Angst regieren. Auch wenn Thomas Schaaf nach dem desaströsen 0:3 gegen Wolfsburg sein Schicksal in die Hände der Geschäftsführung gelegt hatte. Die Medienmeldung des Mittags allerdings, derzufolge Sportchef Thomas Eichin in einer Krisensitzung noch am späten Sonnabend die Erlaubnis bekommen habe, Schaaf zu entlassen, ging dem Führungszirkel doch zu weit. "Diese Meldung ist falsch. Einen solchen Vorgang hat es nicht gegeben", beeilte sich die Geschäftsführung via Internet unter dem Konterfei eines schwarz gekleideten Werder-Chefs Klaus Filbry mitzuteilen.
Geschäftsführung schweigt
Das über ein Jahrzehnt Undenkbare jedoch ist denkbar geworden: eine Trennung von Thomas Schaaf. Der Trainer selbst hat seinen Willen formuliert, den Weg freizumachen für einen Neuanfang bei Werder, auch wenn er das Wort "Rücktritt" dabei tunlichst vermied. Er würde zur Seite treten, wenn er das Problem sei, sagte Schaaf also am Sonnabend (wir berichteten) – seither steht dieses Angebot im Raum, ohne dementiert, eingeschränkt oder gar seitens der verantwortlichen Ebene im Klub zurückgewiesen zu werden.
Und doch geht es so schnell eben nicht mit der schwersten Entscheidung, die in diesem Klub zu fällen ist. Gestern verordnete sich die Geschäftsführung deshalb kollektives Schweigen, die Handys blieben ab Mittag ausgeschaltet, so dass weder Klaus-Dieter Fischer noch Thomas Eichin oder Klaus Filbry zu erreichen waren. Auch Thomas Schaaf schwieg nach dem Training am Vormittag, lediglich Mediendirektor Tino Polster stand für einige Stellungnahmen parat. Licht ins Dunkel der Spekulationen brachten aber auch diese Info-Krumen nicht.
So schwer die Entscheidung einer Schaaf-Entlassung emotional auch ist – es wäre nicht schwierig, sie rein rational zu begründen. Das Spiel am Sonnabend gegen den VfL Wolfsburg war eine Bankrotterklärung einer Mannschaft, für die Thomas Schaaf als Cheftrainer voll verantwortlich ist. In ihrer Zusammenstellung, in der taktischen Ausrichtung, in der personellen Bestückung der einzelnen Positionen. Überall gibt es Kritikpunkte, bis hin zu Details des jüngsten Spiels gegen Wolfsburg: Warum zum Beispiel Sokratis, der nachweislich beste Innenverteidiger des Kaders, nicht Werders anfällige Abwehrzentrale stärkte, sondern als Linksverteidiger aushelfen musste? Obwohl am Sonnabend eine Fachkraft für diese Position in Person von Lukas Schmitz auf der Bank saß (was gleicherdings eine Parallele zur Vorwoche darstellte, da in der Besetzung Pavlovic und Hartherz)? Die Bremer Krise, die die schlimmsten Befürchtungen von Woche zu Woche immer noch zu übertreffen vermag, hinterlässt viele solcher einfachen Fragen.
"Das entscheidet der Trainer", sagen die Spieler dann gern, wenn sie zu solchen taktischen Entscheidungen gefragt werden. Eine Floskel in der Regel, natürlich, mehr nicht, eine beliebte Worthülse, um die Autorität eines Trainers nicht in Abrede zu stellen. In diesen Bremer Tagen aber klingt sie wie ein Vorwurf – selbst diese sonst harmlosen Aussagen spiegeln ein Bild wider, das für die letzten vier Spieltage Schlimmstes befürchten lässt. Die Mannschaft, die gegen Wolfsburg nicht mehr als eine solche auftrat, ist in Teilen demotiviert, verunsichert, vor allem aber: verängstigt. Angst bestimmt das Stimmungsbild in der Kabine – Angst isst das Selbstbewusstsein auf.
Harte Hand regiert im Training
Ob die Politik der harten Hand, die in dieser Trainingswoche eingeschlagen werden soll, die Mannschaft noch auf den rechten Weg zurückführen kann? Schaaf hatte seine Spielern direkt nach dem 0:3 in die Kabine beordert, sie teilweise direkt aus Interviews herausholen lassen. Sie erwartete ein energischer Auftritt des Trainers: "Deutliche Worte" (O-Ton Kapitän Fritz) habe Schaaf gefunden und dabei, wie später bekannt wurde, eben auch mit verschärftem Training in dieser Woche gedroht. Einen Vorgeschmack erhielten die Spieler bereits gestern: Schaaf schickte den gesamten Kader mit Intervallläufen über den Platz, statt es – wie sonst üblich – für die eingesetzten Spieler beim Auslaufen zu belassen.
Wie lange Schaaf allerdings noch das Sagen haben wird, blieb gestern offen – und soll es auch zu Wochenbeginn noch bleiben. "Nach meinem Kenntnisstand", sagte Tino Polster gestern Mittag, "kann ich ausschließen, dass es heute und morgen eine Sitzung der Geschäftsführung geben wird." Es wäre nach all den Jahren und Monaten und Tagen wohl einfach zu schnell.