Florian Kohfeldt ist Geschichte beim SV Werder Bremen – und damit auch eine besondere Idee. Mit dem jungen, talentierten und zu Beginn sehr erfolgreichen Coach, in dessen Adern nach über 20 Jahren im Verein längst grün-weißes Blut fließt, wollte der Traditionsclub an alte Zeiten anknüpfen. So wie es einst mit Thomas Schaaf funktioniert hatte. Wichtigster Treiber dieser Idee war Frank Baumann. Auch deshalb hielt der Sportchef so lange an seinem Coach fest – und muss nun selbst um seinen Job fürchten.
Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch intern – also im Aufsichtsrat – wird längst über die Zukunft des 45-Jährigen diskutiert. Aber eine Veränderung auf diesem Posten ist längst nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Gut möglich, dass Baumann noch eine Bewährungschance für einen Neuaufbau bekommt, weil der Club in diesen besonderen Zeiten gar nicht anders kann. Speziell der Aufsichtsrat befindet sich in einer Zwickmühle.
Es gibt da nämlich diese Grundsatzentscheidung in Sachen Baumann – die ist zwar schon älter, aber immer noch aktuell. Eigentlich wäre der Vertrag des Ex-Profis am 30. Juni 2021 ausgelaufen. Normalerweise soll ein Sportchef nicht mit einem am Saisonende auslaufenden Vertrag in die Spielzeit starten. Es geht um Kontinuität, Vertrauen und Respekt. Bei Werder wird das sehr groß geschrieben. Fast genau vor einem Jahr wurde das Thema Verlängerung dennoch vertagt. Das lag nicht nur am Fast-Abstieg, sondern auch daran, dass im November eigentlich Wahlen zum Aufsichtsrat anstanden. Deshalb wollten Marco Bode als Vorsitzender und seine fünf Mitstreiter im Kontrollgremium, Marco Fuchs, Kurt Zech, Thomas Krohne, Andreas Hoetzel und Axel Plaat den Vertrag mit einem der wichtigsten Mitarbeiter nicht vorzeitig langfristig verlängern. Aus Respekt vor den wählenden Mitgliedern – und natürlich vor dem neuen Gremium. Übrigens unabhängig davon, dass Bode und Co. eine Wiederwahl anstrebten.
Weil die Mitgliederversammlung wegen der Corona-Pandemie ausfiel, blieb das Problem, aber die Zeit drängte. Dazu gab es öffentlichen Druck, ausgesprochen zum Beispiel von Ex-Manager Willi Lemke, der eine mehrjährige Vertragsverlängerung als unanständig empfunden hätte. Dazu muss erklärt werden: Lemke unterstützt eine Opposition um TV-Moderator Jörg Wontorra und Fan-Vertreterin Maria Yaiza Stüven Sanchez. Das Duo will in den Aufsichtsrat und dann für Veränderungen im Club sorgen.
Der aktuelle Aufsichtsrat fand dann gemeinsam mit Baumann eine Lösung: Dessen Vertrag wurde nur um ein Jahr bis zum 30. Juni 2022 verlängert. Mit dem neuen Kontrollgremium sollen nach der Wahl umgehend neue Vertragsgespräche geführt werden, so ist es vereinbart.
Doch die nächste Mitgliederversammlung kann aufgrund der Pandemie frühestens im September stattfinden. Und das stellt Bode und Co. im Fall Baumann gleich vor das nächste Problem. Den Sportchef zu entlassen, wäre zwar grundsätzlich kein Problem, es gibt auch intern deutliche Kritik an der Arbeit von Baumann, aber was dann? Ein Nachfolger müsste her. Über Kandidaten wurde auch schon gesprochen. Doch wirklich interessante Alternativen würden nur nach Bremen kommen, wenn sie einen langfristigen Vertrag bekommen. Mindestens zwei, eher drei Jahre. Und da kommt wieder die Grundsatzentscheidung des aktuellen Aufsichtsrats ins Spiel, der seine möglichen Nachfolger nicht vor vollendete Tatsachen stellen will – zumal die finanziellen Auswirkungen enorm wären. So ein Sportchef, der womöglich auch noch einen Kaderplaner oder Scouts mitbringen möchte, ist nicht gerade billig.
Und noch etwas hemmt den Aufsichtsrat in der Personalie Baumann. Werder ist aufgrund der finanziell extrem angespannten Lage darauf angewiesen, noch im Juni Spieler zu verkaufen. Deshalb gibt es große Bedenken, gerade jetzt einen Wechsel auf dem Manager-Posten vorzunehmen. Außerdem muss gleichzeitig eine neue Mannschaft aufgebaut werden. Aber kann Baumann das? Seine Transfers in den vergangenen Jahren waren wenig kreativ. Der Plan, auf gestandene Profis zu setzen, vornehmlich aus der Bundesliga, und dabei auch mal dicke Krankenakten in Kauf zu nehmen, darf als gescheitert bezeichnet werden. Aus der finanziellen Not heraus hat es Werder in dieser Saison mit vielen jungen Spielern versucht und war damit im defensiven Mittelfeld nicht wettbewerbsfähig. Ein Shootingstar wurde schon mal gar nicht gefunden. Einer, der es hätte werden sollen, ein gewisser Tahith Chong, die Leihgabe von Manchester United, war im Winter schon wieder weg.
Bei Werder wird gerne darauf verwiesen, dass Baumann auch so gute Transfers wie die von Thomas Delaney, Ludwig Augustinsson, Jiri Pavlenka oder auch Milot Rashica gemacht hat. Spieler aus dem Ausland, die sich positiv entwickelt haben. Allerdings waren die auch nicht umsonst, kosteten zum Teil keine geringen Ablösesummen. Nun müsste Baumann wohl wesentlich tiefer ins Regal greifen und dort die berühmten Perlen finden. Wenn er denn wirklich darf – und auch will? Noch gibt es keine Anzeichen, dass der Sportchef an einen Rücktritt denkt. Sollte es doch so kommen, wäre zumindest der Aufsichtsrat aus seiner Zwickmühle befreit.