Sieben Siege in sieben Testspielen, eine selbstbewusstere Mentalität, dazu gute Trainingseinheiten: Von einer schlechten Vorbereitung konnte man bei Werder Bremen in diesem Sommer wirklich nicht sprechen. Doch dann kam der Bundesligastart – und eine harte Landung in der Realität, herbeigeführt durch eine verdiente 1:4-Niederlage gegen Hertha BSC.
Diesen Bruch zwischen der guten Saisonvorbereitung und dem ersten Ligaspiel kann man zum Beispiel an Josh Sargent festmachen. Der Stürmer galt als einer der Gewinner dieses Sommers, er zeigte sich stark im Torabschluss und körperlich gefestigter. Der Platz im Sturm war ihm sicher. Und dann kam Hertha. Sargent stand tatsächlich in der Startelf, begann jedoch sehr weit links draußen an der Seitenlinie. Trainer Florian Kohfeldt erklärte später, Sargents Rolle sei links in einem Drei-Mann-Sturm gewesen. Auf dem Feld aber, in der Realität gegen einen drückenden Gegner, lief Sargent oft sehr weit hinten im linken Mittelfeld herum. Viel zu weit weg war er vom gegnerischen Tor, wo er seine Stärken hätte einbringen können. Dafür aber gefährlich nah am eigenen Tor, wo er seine Defensivschwächen nicht kaschieren konnte. So fiel das erste Gegentor: Sargent ließ seinen Mann laufen, Peter Pekarik, und der bedankte sich mit dem erst zweiten Bundesligator in seiner achtjährigen Karriere. Sargent war in dem Moment zwar ein zweites Mal im Strafraum gewesen, aber im falschen. Seine offensiven Qualitäten kamen nicht zur Geltung. Seinen einzigen Torschuss wehrte Berlins Torwart Schwolow ohne größere Mühe ab.
Man könnte nun einige Namen durchgehen und fragen, ob Niclas Füllkrug nicht doch die bessere Wahl im Angriff gewesen wäre, auch wenn er noch keine 90 Minuten durchhält. Vielleicht hätte er aber mehr Zug zum Tor entwickelt und wäre nicht erst ins Spiel gebracht worden, wenn der Zug mal wieder längst abgefahren war. Gegen die großen Herthaner hätte auch Patrick Erras mit seiner Körperlänge helfen können, sein simples, aber klares Passspiel hätte das Niveau des Mittelfeldes an diesem Nachmittag sicher nicht weiter nach unten gezogen. Und Yuya Osakos schwache Darbietung lässt die Frage zu, ob ein Johannes Eggestein, Romano Schmid oder Leo Bittencourt nicht mehr Mentalität und Willen eingebracht hätten, auch wenn sie nicht so filigrane Fußballer sind wie der Japaner.
Ein verwunderter Kohfeldt
Fragen über Fragen also, über die bei Werder intern zu reden sein wird. Das Problem, wie so oft: Hinterher ist man immer schlauer. Florian Kohfeldt war nach eigenen Angaben verwundert über das schwache Auftreten seiner Mannschaft im ersten Saisonspiel. „Es gab dafür keine Anzeichen“, sagte der Trainer, „in der Vorbereitung nicht und in den Testspielen nicht, auch wenn man die nicht überbewerten darf.“ Kohfeldt vermisste Galligkeit und Griffigkeit, die Spieler seien nicht angefasst genug gewesen. Das Fachmagazin „kicker“ folgerte daraus, bei Werder liege „Grundsätzliches im Argen“, der Auftakt schreie geradezu nach personellen Korrekturen.
Gegen Berlin stellte Kohfeldt weniger danach auf, was in der Vorbereitung geboten wurde oder wo Werders Zukunft liegen könnte. Der Trainer fokussierte sich mehr auf taktische Aspekte, wie man diesen Gegner vor Probleme stellen könnte. An der eigenen Überzeugung eines „Werder-Fußballs“ fehlte es hingegen, auch an entsprechenden Typen auf dem Platz. Zudem scheint die Saisonvorbereitung trügerisch gewesen zu sein: Die Siege gegen kleinere oder unterklassige Mannschaften vermittelten offenbar das Gefühl, für den Erfolg nicht mehr an die Grenzen gehen zu müssen.
„Wir wollen selbst Fußball spielen“, erklärte der enttäuschte Kohfeldt, „wir müssen aber auch griffig und gallig sein, um ein Bundesligaspiel gewinnen zu können. Nur spielerisch wird es nicht funktionieren.“ Wie Kohfeldt hatte auch Baumann mit seiner Erfahrung aus einem langen Profi-Leben gemahnt, dass Siege in der Vorbereitung zwar nicht schaden, aber erst die Ergebnisse beim Saisonstart relevant sind. Einem schwachen Pokalspiel beim 2:0-Sieg gegen Regionalligist Jena folgte die Chancenlosigkeit gegen Hertha. „Wir haben intensiv und hart gearbeitet in diesem Sommer“, sagte Baumann nun, „die Vorbereitung war größtenteils in Ordnung. Wir haben aber auch gesagt, dass es erst jetzt zählt. Das war ein richtig schlechter Start. Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen, auch wenn Hertha eine richtig gute Mannschaft hat.“
Flexibilität als Trumpf?
Baumann wollte die nicht vorhandenen Abläufe im Bremer Spiel nicht an der selten geprobten taktischen Variante festmachen, mit Sargent und Chong zwei eher zurückgezogene Flügelspieler neben einer Doppel-Sechs aus Klaassen und Eggestein aufgeboten zu haben. Grundsätzlich sei es eine Stärke von Werder und könne sich noch auszahlen, flexibel in verschiedenen Systemen agieren zu können. Eine Sicherheit und ein Mindestmaß an Vertrauen in diese Spielweise war auf dem Feld jedoch nicht zu erkennen. Vieles sah trotz der guten Vorbereitung nicht souverän aus. Hierfür hatte Baumann eine logisch klingende Erklärung: „Wir haben eine Saison hinter uns, in der wir uns gerade so über die Relegation gerettet haben. Man kann deshalb nicht erwarten, dass wir in jedem Spiel mit Souveränität auf den Platz gehen. Wir müssen uns das in einem langen Prozess wieder erarbeiten. Die Vorbereitung war ein Teil davon, jetzt muss es in den Pflichtspielen weitergehen. Wir kriegen das nicht geschenkt und das kommt nicht von alleine.“
Eine selbstverständliche Souveränität habe vielleicht der FC Bayern, betonte Baumann, „aber der hat auch erst vor wenigen Wochen die Champions League gewonnen. Wir müssen kleine Schritte gehen und uns alles in kleinen Aktionen tagtäglich erarbeiten.“ Auch wenn es in Teilen der Vorbereitung schon sehr viel besser aussah ...