Bremen. Es ist noch keine zwölf Monate her, da posierten Tom Trybull, Florian Hartherz und Niclas Füllkrug auf dem Titelbild des hauseigenen Werder-Magazins. Die drei Teenager hatten damals in einer absolut enttäuschenden Rückrunde immerhin für ein paar Lichtblicke gesorgt.
Trybull war mit 18 Stammspieler geworden. Hartherz debütierte ebenfalls mit 18 und brachte es als Linksverteidiger auf zehn Einsätze. Füllkrug schließlich, seinerzeit auch 18, hatte bald nach seinem Debüt sein erstes Bundesligator geschossen. Das Trio verkörperte Werders Zukunft.
Heute, gut ein Jahr später, sieht die Welt ganz anders aus. Für Füllkrug ist die Saison nach einer Knieoperation beendet, Hartherz und Trybull sind in dieser Spielzeit verletzungs- und leistungsbedingt in der Bundesliga noch gar nicht zum Einsatz gekommen.
"Das ist überhaupt kein Grund zur Panik", sagt Werders U23-Trainer Thomas Wolter, unter dem die drei Talente den Sprung in den Herrenbereich geschafft haben, "ihre Entwicklung ist nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist eher, dass sie im vergangenen Jahr so schnell so viel gespielt haben."
Während sich Hartherz und Trybull zurückarbeiten müssen in die erste Reihe, ist Özkan Yildirim plötzlich ganz nahe dran. Quasi über Nacht, beziehungsweise während des Trainingslagers im türkischen Belek, hat sich der 19-Jährige ins Rampenlicht gespielt. Eingewechselt beim 0:5 gegen Dortmund, eingewechselt beim 2:0 gegen Hannover. Gegen 96 bereitete er prompt das zweite Tor von Nils Petersen mit einem gekonnten Zuspiel vor.
"Ich gehöre zur Mannschaft", sagte der Aufsteiger hinterher zu seiner Rolle. Er ist bescheiden. Yildirim, vor den Toren Bremens in Sulingen groß geworden, weiß, wie schnell es im Fußball gehen kann. Ein Wadenbeinbruch und später eine Meniskusoperation hatten den eleganten Techniker in den vergangenen zwei Jahren zweimal abrupt gestoppt. Quälend lange Monate mit quälend langer Reha und der Ungewissheit, wie es weitergeht, liegen hinter Yildirim. Das ist eine riesengroße Herausforderung an jedes Talent, das von einer Karriere als Profifußballer träumt.
Damit kommt nicht jeder klar. In den deutschen Buchhandlungen steht seit ein paar Wochen eine Neuerscheinung in den Regalen, die den Titel "Nachspielzeit – Eine unvollendete Karriere" trägt. Timo Heinze hat das Buch geschrieben. Heinze war U16-, U17- und U19-Nationalspieler sowie Kapitän bei der zweiten Mannschaft des FC Bayern München.
Die heutigen Nationalspieler Thomas Müller und Holger Badstuber sowie spätere Bundesligaprofis wie Andreas Ottl und Thomas Kraft waren Team- und Jahrgangskollegen. Mit 19 lagen Heinze acht Angebote von Erst- und Zweitligisten vor. Trotzdem schaffte er es nie bis ganz nach oben. In dem Buch schildert Heinze die vielen Kleinigkeiten, erzählt von Zufällen und Verletzungen, die Jahr für Jahr dafür sorgen, dass nur wenige hochtalentierte Spieler ihren Traum vom Bundesligageschäft auch tatsächlich leben können. Heinze beendete seine Karriere frustriert mit 24, er studiert jetzt.
"In dieser extremen Form ist das ein Einzelschicksal", sagt Wolter, "das Beispiel Yildirim zeigt doch, dass der Weg auch andersherum geht." Allerdings sagt auch Wolter, dass es auf weit mehr als nur Talent und Durchsetzungsvermögen ankommt: "Man braucht auch Glück – und Geduld". Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, etwa wenn Spieler wegen Verletzungen ausfallen und Plätze im Kader oder der Startelf frei werden. Und Geduld, um auf diese Chance zu warten.
Gerade mit der Geduld aber täten sich viele Nachwuchsleute schwer, hat Wolter festgestellt. "Das ist eine Entwicklung, die zugenommen hat in den letzten Jahren", sagt Wolter, der es Anfang der 80er Jahre von der Hamburger Landesliga mehr oder weniger direkt in die Bundesliga schaffte, sogar Nationalspieler wurde und für Werder mehr als 300 Bundesligaspiele absolvierte. "Solche Karrieren wie meine sind heute nahezu unvorstellbar", sagt Wolter. Das liege an der inzwischen flächendeckend "erstklassigen Ausbildung in den Nachwuchsleistungszentren der Profiklubs", wie Wolter sagt.
Mit der Qualität der Ausbildung wachse laut Wolter aber auch der Anspruch vieler Spieler an sich und die eigene Karriere. "Weil die Ausbildung super ist, will man jetzt auch schneller oben ankommen", sagt Wolter, "dabei ist aber auch Geduld gefordert." Zwar haben in den vergangenen zwei Jahren gleich neun Spieler, die 20 Jahre oder jünger waren, bei Werder in der Bundesliga debütiert, etwa die beiden U17-Europameister Florian Trinks und Lennart Thy. Sie wollten zuletzt aber nicht länger auf neue Chancen warten. Trinks wechselte soeben nach Fürth, im Sommer zuvor war Thy zum FC St. Pauli gegangen.
Die nächsten Talente indes drängen schon wieder nach. Verteidiger Cimo Röcker, 19, und Mittelfeldmann Levent Aycicek, 18, beide Junioren-Nationalspieler, halten schon seit über einem Jahr engen Kontakt zum Profikader. Ihr weiterer Weg ist nicht absehbar, alles scheint möglich: Röcker lief schon in Testspielen auf. Aycicek dagegen geht es wie Yildirim lange Zeit. Er ist seit über 16 Monaten verletzt.